
Verlassene Orte im Schwebezustand zwischen Verfall und Veränderung holt die Wehlener Künstlerin Anne Kern faszinierend, farb- und spannungsreich auf die Leinwände. Hier ihre neue Bilderserie „Lost Places“.

Spurenreiche Landschaften aus der Kernzone
Faszinierende Fels- und Wasserspiegelungen, Steinbrüche und verlassene Orte im Schwebezustand von Verfall und Wandel holt die Wehlener Künstlerin Anne Kern ausdrucksstark ins Blickfeld ihrer Bilder. Am 1. Dezember, von 11 bis 18 Uhr lädt sie zum offenen Ateliertag Besucher zum Bilder-Spaziergang ein.
In sandigen Farbtönen, die im Sonnenlicht pulsieren, recken sich Felsen neben ockerfarbenen und weiß leuchtenden Steintreppen wie Himmelsleitern. Es scheint als verneigten sich Fels und Wasser voreinander. Kantige, starre und weiche Formen verfließen im Wechselspiel der Farben, von Licht und Schatten. Felslandschaften, Spiegelungen von Gestein im Wasser, „gekippte Landschaften“ nennt sie diese, Steinbrüche und verlassene Orte ziehen die Künstlerin Anne Kern magisch an. Eine neue Bilderserie mit dem Titel „Lost Places“ (übers.: Verlassene Orte) füllt in kleinen und größeren Formaten eine Wand in ihrem Atelier- und Wohnhaus in Wehlen, Sächsische Schweiz.
Grau verwaschene Häuser, die Gesteinsquadern ähneln, blasslila verfroren mit dunklen Fenstern und zerbrochenen Scheiben sieht man da auf den Leinwänden, umstanden von hohen wie stützenden Stäben oder dünnen Baumstämmen. Im Schwebezustand zwischen Verfall, Chaos, Rissen im Mauerwerk, eingestürztem Dach und heraus brechendem Gebälk der alten Steinarbeitshütten und ehemaligen Ateliers im Steinbruch Dorf Wehlen wirken sie in den Bildern von Anne Kern wie herausgerissen aus der Zeit und mit ihrer Zurückeroberung durch die Natur und Veränderungen auch wie eine Metapher auf gegenwärtige Zustände, Auf- und Umbrüche in der Gesellschaft. Es sind auch einige farbige Bilder mit rot lodernden Farbflächen als Kontrast zu den erdigen und lichtvollen grünen Tönen rings um die Hütten mit morschen Holzbalkendächern zu sehen. Es wurde dort auch schon eingebrochen und einiges abgebrannt, so die Künstlerin.
„Das Rot sehe ich als Feuer auch der Transformation, in Neues verwandelt.“ Ihre Bilder gehen den Spuren dieser ehemals lebendigen Orte und ihrer Geschichten nach. „Es sind kleine, einstige Wirtschaftsgebäude von Steinarbeitern und Ateliers, in denen bekannte Künstler wie Robert Sterl, Pol Cassel und Elfriede Lohse-Wächter in den 20er und 30er Jahren im Sommer weilten und malten im Steinbruch Wehlen“, erzählt Anne Kern. „Es ist ein Stück Zeitgeschichte, man spürt den Geist und das menschliche Tun der damaligen Zeit noch, kann noch mal eintauchen in die Relikte der Vergangenheit.“
Die Natur holt sich Terrain zurück, lässt neues Leben entstehen, im Mauergebälk wachsen Birken und Blumen, zeigen die Bilder ebenso wie die Endlichkeit des Lebens. „Es geht auch um das Zerbrechliche, Fragile. Alles hat seine Zeit. Jeder Mensch hinterlässt auch Spuren wie hier, durch diese Häuser und Orte der Steinbrecherarbeiter und Künstler.“ Für Anne Kern ist der Wehlener Steinbruch deshalb eine besondere, erhaltenswerte Kulturlandschaft. „Doch es ist nichts Vorzeigbares, das hat eher einen morbiden, rauen Charme.“
Anne Kern hat im Frühjahr dort begonnen mit ihrer Bilderserie „Lost Places“. Weitere Bilder entstanden im Herbst. Am Reformationstag malte sie auch in der Pol Cassel-Ruine im Steinbruch. „Alle die vorbeikamen waren begeistert von dem alten Steinhausensemble“, sagt Anne Kern. Sie staunte selbst wie bekannt der Steinbrecherpfad mit Gedenktafel und Ausschilderung inzwischen bei Wandereren, Einheimischen wie Touristen ist. Beginnend am Elbradweg in Stadt Wehlen, führt er am Steinbruch in Dorf Wehlen entlang zum Ort Zeichen bis nach Pirna. Den Steinbrecherpfad hat Andreas Bartsch eingerichtet in Privatinitiative aus Faszination an der Natur und Kulturhistorie dieses Ortes.
Doch allein, ohne finanzielle Förderung sei es nicht zu schaffen, das verfallene Areal kulturell wiederzubeleben. Außerdem findet Anne Kern ihre bevorzugten Malmotive markanter Felsformationen im Lohmener Steinbruch und in den Granitsteinbrüchen der Lausitz. Sie malt am liebsten draußen vor der Natur. „Mit der Landschaftsmalerei fühle ich mich sehr verbunden“, sagt Anne Kern. Sie kennt und liebt die Felsen und Wege in der Sächsischen Schweiz seit ihrer Kindheit. Anne Kern wurde 1981 in Dresden geboren und mit vier Jahren kam sie mit ihrer Familie nach Wehlen. „Wir wohnten auf einem Felsengrundstück bei den Großeltern mit parkähnlichem Garten und hohen alten Bäumen. Es war ein kleines Paradies zumindest von der Natur her und wir waren viel wandern.“ Als Jugendliche war Anne Kern mit einer Gruppe Bergsteigern oft klettern. Dieses Draußensein und Erlebnis am Felsen, ein bisschen Abenteuerlust und Experiment, ließen sie nicht mehr los und in ihr Skizzenbuch zeichnete sie fasziniert davon den Fels und und seine vielfältigen Strukturen. Anne Kerner besuchte die Zeichenschule bei dem Maler, Grafiker und Plastiker Klaus Drechsler in Pirna, studierte Malerei und Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig in der Fachklasse bei Prof. Annette Schröter und wohnt und arbeitet seit 2009 als freischaffende Künstlerin in Stadt Wehlen.
Ihr Atelierhaus Schöne Aussicht 14 steht auf einer Anhöhe mit Blick auf Wald und die Felslandschaft. Die Fähre fährt hinüber. Fast menschenleer, nebelverhangen traumversunken ist der Urlauberort um diese Jahreszeit. In dem vorher leer stehenden Atelierhaus, das in den 30er Jahren der Maler Willy Illmer als Sommersitz erbauen ließ, wohnt nun Anne Kern mit ihrem 13-jährigen Sohn und hat es zusammen mit ihrem Mann saniert und wieder zum Leben erweckt.
“Kernzone“ steht auf einem Aufkleber an ihrer Ateliertür im Erdgeschoss. „So wird das Herz, der am meisten geschützte Teil im Nationalpark Sächsische Schweiz genannt“, erklärt die Künstlerin. Da sie viel dort unterwegs ist und malt, hieß auch der Bildtitel ihrer Diplomarbeit an der Hochschule: „Landschaftsbilder aus der Kernzone“ und ist seitdem ein geflügeltes Wort und Markenzeichen ihrer Kunst.
In ihren Bilderlandschaften wandern können Besucher beim offenen Ateliertag bei Anne Kern zum ersten Advent am 1. Dezember, von 11 bis 18 Uhr.
Im Frühjahr will sie eine Ausstellung mit ihren Fels-Bildern in der Pol Cassel-Ruine im Wehlener Steinbruch zeigen. Vielleicht zieht das weitere künstlerische Aktionen und kreative Nutzer im Gelände nach sich. Ihre nächste Ausstellung ist ab 6. April nächsten Jahres im Schloss Königshain in der Lausitz zu sehen.
Text + Fotos (lv)






























































