
Dr. Daniele Ganser bei seinem Vortrag am Sonntagnachmittag bei den Jazztagen Dresden.


Nach dem Vortrag gab es eine Gesprächsrunde mit Daniele Ganser. Mit lebhafter Diskussion über Verschwörungstheorien, Aufrufe zum Boykott der Jazztage Dresden, etablierte und alternative Medien und Umgang mit unliebsamen Themen.

Historiker Daniele Ganser und Sängerin Julia Neigel bei der Podiumsdiskussion.
Keine Scheu vor Querköpfen und Widerworten
Zwei vielbeachtete Vorträge mit Blicken hinter die Kulissen der Macht mit dem Schweizer Zeithistoriker Daniele Ganser waren bei den 20. Jazztagen Dresden am Sonntagabend im Ostra-Dome zu hören. Hinterher gab es eine lebhafte, dreistündige Diskussion mit dem Publikum über Verschwörungstheorien, die Rolle der Medien und den Umgang mit schwierigen Themen, zu der Jazztage-Intendant Kilian Forster auch die Kritiker von Gansers Vortrag eingeladen hatte. Doch die kamen nicht.
Die Wellen schlugen hoch schon im Vorfeld des Vortrages „Geostrategie. Der Blick hinter die Kulissen der Macht“ von Daniele Ganser bei den diesjährigen Jazztagen Dresden (noch bis 23. November). „Der Medienrummel trug dazu bei, dass der zweite Vortrag noch besser besucht war als der erste, was sicher nicht die Absicht der Kritiker war“, sagte Kilian Forster, Musiker und Intendant der Jazztage erfreut zu Beginn. 600 und 700 Besucher seien zu den beiden Vorträgen in der Veranstaltungsstätte am Sonntag im Ostra-Dome gewesen.
In den letzten Wochen hatten Forster diesbezüglich sowohl „viel Kritik als auch viel Zuspruch erreicht.“ Daher schloss sich an die Veranstaltung eine Diskussion mit Zuschauern und Gesprächsrunde auf der Bühne in den Ostra-Studios an, um dem Phänomen von Verschwörungstheorien und deren mögliche Auswirkungen auf die Gesellschaft gemeinsam auf den Grund zu gehen. Unter dem Motto: „Wir reden miteinander, nicht übereinander.“
„Ganser sagt selber, prüft das selbst nach, seid kritisch und das passt wunderbar zur Freiheit des Jazz“, so Forster. „Wir brauchen die Dissonanz, ein bisschen Spannung, um wieder zur Harmonie zu finden.“ Das 20-jährige Jubiläums-Jazzfestival stellte Forster mit kleinem Team vor zwei Monaten auf die Beine dank der Corona-Hilfe von Stadt und Land. Ursprünglich war neben den Konzerten eine Vortrags- und Gesprächsreihe mit „Querköpfen“ und ihren Gedanken zum Zeitgeschehen geplant. Darunter der Schweizer Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser, der schon letztes Jahr da war und gut ankam. Der Vortrag Gansers unterstütze auch finanziell die Jazztage. „Wenn man für eine sechsstellige Summe Technik reinstellt in die leeren Räume, muss sich das ja auch rentieren. Indem man sich die Kosten teilt durch viele Veranstaltungen“, so Forster. „Die Musik steht aber weiterhin im Vordergrund der Jazztage.“
Daniele Ganser wurde vom Vortragspublikum, junge und ältere Zuhörer bunt gemischt im vollbesetzten Saal, mit langem Beifall begrüßt. Er zeigte sich „überrascht von dem Tumult im Vorfeld.“ Er ist 48 Jahre alt, hat zwei Kinder und lebt mit seiner Familie in der Schweiz. Ganser ist Historiker für Zeitgeschichte, mit dem Spezialgebiet verdeckte Kriegsführung. Das ist ebenso spannend wie heikel, weiß er. Wenn er zur Mittelaltergeschichte wechselte, würde er ruhiger leben. Doch er habe sich der Aufklärung kriegerischer Konflikte und der Friedensforschung verschrieben. Er veröffentlichte bereits vier Bücher und 50 Vorträge von ihm sind auf Youtube zu hören.
Diesmal sprach Daniele Ganser über sein neues Buch mit dem Titel „Imperium USA – die skrupellose Weltmacht“. Darin geht er bis heute ungelösten Fragen zum Kennedy-Mord vor nunmehr 60 Jahren nach. „Manches sieht man heute klarer.“ Er stellt zwölf Thesen zu den Auftraggebern und Hintergründen des Mordes am amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy 1963 in Dallas auf, gestützt auf Aussagen einstiger Zeitzeugen, Berichte aus Untersuchungsausschüssen und anderer Buchautoren wie Mark Lane, Rechtsanwalt und Bürgerrechtsaktivist mit seinem 1966 erschienenen Bestseller „Rush To Judgement“ über den Kennedy-Mord. Eine langwierige Wahrheitssuche. Ganser rekonstruierte das Verbrechen in seinem Vortrag anhand von historischen Fotos, die den Präsidenten und seine Frau in offener Limousine zeigen, denen die Leute zujubeln. Wenig später fielen auf der seltsamerweise kurz vorher noch geänderten Fahrtroute die tödlichen Schüsse, von vorn und hinten im Kreuzfeuer, wie in der einzigen kurzen Liveaufnahme vom Tatort ersichtlich.
Doch noch immer sei umstritten unter Historikern, ob es die Tat eines Einzeltäters war oder mehrere schossen, dann war es eine Verschwörung, so Ganser. Alles deute auf letzteres hin, doch 100 %ig beweisen könne er es nicht. Ganser erklärte und rekonstruierte die damaligen Ereignisse anschaulich, locker und teils bissig ironisch, was ihm auffiel an Ungereimtheiten und Vertuschungsversuchen seitens des Geheimdienstes CIA, der eine eigene Abteilung für Mordanschläge auch auf ausländische Staatschefs hatte. Den damaligen CIA-Chef Allen Dulles sieht Ganser als Auftraggeber des Mordes an Kennedy, der ihn vorher entlassen hatte. Der Demokrat Kennedy lehnte die versuchte Militärinvasion in Kuba ab, er wollte die US-Berater aus Vietnam abziehen und die Lage entspannen und er war entsetzt über den Mord am ersten frei gewählten Präsidenten im Kongo, Patrice Lumumba. „Daher musste Kennedy weg, da er nicht mitmachen wollte, mit der Militärmacht USA Kriege führen“, so Ganser. Er weiß, dass er mit seinen Theorien und Nachforschungen, ob zu NATO-Geheimarmeen oder dem Einsturz des World Trade Centers am 11. September 2001 in New York bei manchen aneckt.
„Ich bringe schwierige Themen in den öffentlichen Raum und dann bekomme ich den ganzen Wind ab“, so Ganser. „Ich hab die Türme nicht gesprengt. Das muss man auseinander halten.“ Nur weil er eine Verschwörung des Geheimdienstes mit dem Kennedy-Mord aufdeckte, sei er kein Verschwörungstheoretiker.
Der Trick mit der Wiederholung zur Gewöhnung
In seinem Vortrag zog Ganser auch Parallelen zu heute, wie aktuelle Ereignisse in der Öffentlichkeit reflektiert werden, wie das allgegenwärtige Thema Corona und der Umgang mit Kritik. „Alles in der Kommunikation funktioniert bekanntlich über Repetitio. Und jetzt haben wir Corona-Repetitio“, so Ganser. Politik und Medien nutzen die Wiederholung und könnten damit gezielt die Gedanken im Gehirn steuern und lenken. Schon in der Schule lernt man durch ständiges Wiederholen. Schmunzeln im Publikum, als er hin und wieder fragte und erinnerte: „Habe ich schon erwähnt, dass ich ein Buch herausgebracht habe…“ und Einzelheiten zum Kennedy-Mord wiederholte.
Doch es birgt die Gefahr, wenn man immer das Gleiche hört, dass es sich erschöpft, abnutzt und man nicht mehr hinhört. Den „Trick mit den Nervenzellen“ erklärte er so: „Das was Sie lesen und hören, formt Ihre Nervenzellen im Gehirn. Also überlegen Sie sich, was Sie lesen.“ Er übt sich auch schon länger in der Technik der Achtsamkeit. „Glauben Sie nicht alles, was Sie denken! In dem Moment stehen Sie hinter dem Wasserfall, wie sich die unentwegt auf einen einhämmernden Gedanken anfühlen.“
„Bleiben Sie achtsam. Bleiben Sie friedlich !“, sagte Ganser abschließend in seinem mit viel Beifall bedachten Vortrag. Nach einer Verschnaufpause fand unter dem Titel „Concertare!“ eine Diskussion & Session von Jazzmusikern mit Daniele Ganser und interessierten Vortragsbesuchern in den etwas kleineren Ostra-Studios statt. Vollbesetzt die Sitzreihen auch hier. „Wir nehmen Kritik ernst und wollen über die Vorwürfe reden“, so Kilian Forster. Er hatte Kritiker des Ganser-Vortrages zu der Gesprächsrunde eingeladen, die jedoch nicht kamen. Darunter eine junge Musikerin, Laura Totenhagen aus Köln, die Forster die Absage der Veranstaltung nahelegte und mit anderen Musikern auf Facebook zum Boykott der Jazztage aufrief, obwohl Forster gerade jungen Musikern auch ein Podium geben will. Durch dem Aufruf zum Boykott seien Sponsoren abgesprungen und zwei Künstler sagten Auftritte ab bei den Jazztagen Dresden. Das habe sich derart hochgeschaukelt, so Forster, dass sogar der neugegründete Jazzverband Sachsen e.V. , eine Stellungnahme von ihm verlangte (nachzulesen auf meinwortgarten.com in der Ankündigung zum Ganser-Vortrag.)
Haltung zeigen und verschiedene Meinungen aushalten
In der Diskussionsrunde saßen neben Ganser eine Moderatorin, Julia Sszarvasy, die in alternativen Medien unterwegs ist. Außerdem Sängerin Julia Neigel und Werner Patzelt, emeritierter Professor für Politikwissenschaften, der bis 2019 an der TU Dresden lehrte und dort als AfD- und Pegida-Experte wegen angeblich „zu großer Nähe“ zu seinem „Untersuchungsgegenstand“ umstritten war. Zu Verschwörungstheoretikern nannte er seinen „Freund Machiavelli“, ein italienischer Philosoph, Politiker, Chronist, Schriftsteller und Dichter, der vor 500 Jahren lebte und Ideal und Wirklichkeit von Macht und Moral in der Politik seiner Zeit untersuchte und entlarvte. „Warum soll es keine Theorien über Verschwörungen geben, wenn es Verschwörungen gibt?“, fragt Patzelt. Ein junger Zuhörer fragte, ob es eine „neue Welle der Aufklärung jetzt gibt? Und wie man von präsentativer Demokratie zu echter, bürgerlicher Mitbeteiligung komme?“ Patzelt meinte dazu, eine neue Welle von Aufklärung sei zu hoch gegriffen.
„Es braucht eher eine neue Welle schon mit der Fähigkeit, kritisch mit Informationen umzugehen und wieder die Bereitschaft, sich des eigenen Verstandes zu bedienen.“ Wenn man woanders als in den etablierten Medien Informationen höre, werde es schnell als „Verschwörungstheorien“ abgetan. „So tragen die Medien, die eigentlich aufklären sollten, bei zu Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft“, sagte Patzelt unter Beifall der Diskussionsteilnehmer. Er beobachtet ein „Kampf- und Abwehrverhalten und Glaubwürdigkeitsprobleme der etablierten Medien gegenüber Kritik.“
Das Wort Verschwörungstheoretiker sei inzwischen zum „Schimpfwort, Kampfbegriff und Erkennungszeichen für Corona-Leugner ebenso wie Kritiker der derzeitigen Politik geworden“, sagte ein älterer Zuhörer und erinnerte an das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern.
„Es ist grundsätzlich richtig, Haltung zu zeigen gegen Gewalt“, sagte die Sängerin Julia Neigel. „Doch wenn man eine Haltung haben will, muss man erst mal wissen, um was es geht, fundiert und sachlich.“ Die Aufforderung auf FB an die Jazztage Dresden, den Vortrag mit Ganser abzusagen, sei aber keine Haltung. „Das ist öffentliche Erpressung!“ Ähnlich problematisch sieht sie das sogenannte „Framing“, dh. das Umdrehen von Begriffen und fälschlich jemand bezichtigen. „Das benutzen immer diejenigen, die keine Widerworte wollen“, so Julia Neigel. „Wir sollten dabei bleiben, offen unsere Meinung zu vertreten, sonst kommen wir in die Situation wie vor vielen Jahren in Deutschland.“ Zur Rolle der Medien sagt sie: „Der investigative Journalismus mit seinem Qualitätsanspruch wird auf ein Minimum heruntergefahren und gespart. Wenn die Medien nicht mehr finanziell und wirtschaftlich unabhängig arbeiten können, gibt es keinen Korrektiv mehr in der Gesellschaft.“
Daniele Ganser sieht sich verunglimpft als angeblicher „Verschwörungstheoretiker“ und „Neurechter“. Keiner habe vor seinem Vortrag mit ihm gesprochen, weder Journalisten noch Buchautoren. Er müsse als Historiker auch mit Rechtsextremen reden z.B. für sein Buch „Geheime Armeen in Deutschland“. Ein entsprechendes Gespräch wurde von Compact aufgezeichnet. Danach wurde Ganser mit dem Vorwurf der „Kontaktschuld“ konfrontiert. Michael Butter, ein Professor für amerikanische Literatur in Tübingen, der Ganser noch nie sah, bezeichnete den Historiker in Artikeln und einem Buch mehrmals als „Verschwörungstheoretiker“. „Die haben keine Dossier-Kenntnis und Tiefe über die Hintergründe“, sagt Ganser über seine Kritiker.
Auf die Frage Forsters, warum er sich nicht von rechten und rassistischen Kommentaren auf seiner FB-Seite distanziere oder solche Leute rausschmeiße aus seinen Vorträgen, sagte Ganser, seine Vorträge und Aussagen seien dokumentiert und für jeden auf Youtube einsehbar. Er wolle niemanden rausschmeißen, das sei unhöflich und die Leute haben sich ein Ticket gekauft. „Alle die in der Massenkommunikation tätig sind, haben dieses Phänomen. Ich finde diese Durchmischung verschiedener Meinungen gut und cool“, so Ganser.
Miteinander reden statt übereinander
„Es wird Ganser vorgeworfen, er spalte die Gesellschaft, dabei tut er genau das Gegenteil mit seinen Vorträgen“, so Jazztage-Intendant Kilian Forster. Im Januar diesen Jahres, noch vor Corona und dem Lockdown, hielt Daniele Ganser einen Vortrag vor rund 500 Zuhörern im Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen. Ein Fernsehteam von Ostsachsen TV zeichnete nun die Veranstaltung und Diskussion mit Ganser bei den Jazztagen Dresden auf.
Es gelang leider nicht, Kritiker seines Vortrages auf die Bühne zu bringen und es gab auch keine Sessionband mit Gegenstimmen an diesem Abend, bedauert Forster. „Wir hätten uns auch gern zusammen gestritten.“ Während es doch unterschiedliche Meinungen zur Corona-Thematik gebe in Bands, wodurch Proben mitunter schwierig seien, ebenso in der Öffentlichkeit bis in die Familien, dass sie sich nicht mehr verstehen und miteinander reden. Manche junge Musiker trauten sich auch nicht, öffentlich in der Corona-Debatte konträre Ansichten zu äußern, da sie Nachteile befürchten. Daher sollten wir alle überlegen, wie wir diese neue Spaltung überwinden, uns wieder verbinden, so Forster.
Drei Stunden dauerte die streitbare, sehr sachliche und nachdenkliche Gesprächsrunde. Zum Schluss gab es noch eine spontane Session der Forster-Brüder an Piano und Kontrabass, nebst einem Schlagzeuger und dem demnächst bei den Jazztagen auftretenden Saxofonisten Volker Schlott aus Berlin gemeinsam mit Julia Neigel. Sie sang mit warmer tiefer Stimme den Ohrwurm „What a wonderful World“ von Louis Armstrong. Ein schönes Zeichen das regenbogenfarbene Banner mit der Aufschrift Peace, das die Teilnehmer der Gesprächsrunde zusammen mit Daniele Ganser hielten.
Text + Fotos (lv)
Weitere Infos und Programm unter http://www.jazztage-dresden.de

Session & Gesprächsrunde mit Daniele Ganser bei den Jazztagen Dresden. Motto: „Miteinander, nicht übereinander reden.“