Frühlingsabend

Der Himmel ein riesig graublaues
Aquarell nach dem Regen
ein paar rosige und helle Schimmer
am Saum die Sonne brach noch einmal hervor

vor dem Fenster fährt der Bus
vorbei in dem ich und das kleine Fellwesen
in der blauen Box saßen eine Woche Zittern
und Hoffen
schau ihm hinterher
gibt kein Zurück mehr

ich sitze an der Balkontür
seh den Streifen Licht am Himmel
die grauweiß getigerte inspiziert an den
Pflanztöpfen
das frische Grün wo Du vorher standest
die Zweige noch leer

und springt auf den Tisch räkelt sich hin
und schaut wo Du bleibst
fegt davon und wieder zurück
immer noch leer der Platz
träumt still vor sich hin

die kleinen Sonnen auf der Wiese
schlafen die Blätter eingerollt und die
vielen Gänseblumen wo wir saßen
leuchten wie Sterne

4.4.2024

Rhabarberzeit

Die Magie der zart grünen rosigen Stangen
weckt mein Verlangen
feinfaserig die Stiele
gelöst in Stücke federleicht
Frühlingsduft in jeder Pore
weckt Wohlbehagen aus Kindertagen
im hohen Gras liegen an nichts sattsehen
auf verschwiegenen Wiesen
warme Hände spüren
butterweich vom Teig
vom Rühren
geschwungene Formen
öffnen vertiefen sich
fließen ineinander

die grauweiß getigerte sieht
ungerührt zu vom Balkon aus
ein weißer Falter fliegt mir zu
ich weiß das bist du
Aromen kitzeln den Daumen
mit jedem Stück
kehrt die Vorfreude auf
Rhabarberkuchen mit Eischnee
und Puderzucker überzogene
Küsse zurück

LV
13.4.2024

Sonniges Wesen
(Für Lina)

Ich zähl die Tage
nicht mehr
die durch mein Leben
rinnen
nicht auf und ab halten
all die Licht und Schattengeister
kommen und gehen

gestern Abend tobte ein Sturm
zitterte um die Blütenbäume
heute Mittag reißt ins graue
Wolkenschiff ein Leck
die Sonne bricht hervor
ein weißer Vogel fliegt
am Fenster vorbei
was war ist weg

doch du bist überall
dein sanftes Lächeln
und Staunen über alles
was blüht sprießt fliegt
über mir und dir
der nachtblaue Himmel
voll rosa Wolken
springst nun mein weißschwarzes
Fellknäuel weiter da vertreibst meine Schwermut
wir bleiben uns nah

LV
16.4.2024

Katz und Maus

Die Pfoten des roten Katzentiers
zucken wild
als es die weiße Katze
mit der Maus traulich sieht
Na los, leg deine Krallen ran
herrscht er sie an
sonst schnapp ich mir
das süße Ding
die weiße Katze zittert vor Schreck
und hält das Mäuslein von ihm fern
nicht alle haben sich zum Fressen gern

LV
28.4.2024

Lebensgeister/William Shakespeare
(Für Lina)

I
Mir fielen die Worte wieder ein:
Wir halten ihr Herz und ihre Atmung an
helfen nur nach
sagten sie nach der Untersuchung
Es war die richtige Entscheidung
nach der Einschlafspritze
Sie lässt mich nicht los
ihr Lebensrest das letzte Lebensfünkchen
schwelt in mir weiter

II
Der Name stand über einem Foto
im Netz mit zwei Katzen
eine weiß die andere grau
wie Romeo und Julia
lagen die kleinen Fellknäuel
vornüber mit großen Augen
auf dem Pflaster
auf dem weiten fast menschenleeren Platz
hinter ihnen das Theater

LV
28.4.2024

 

Wolkenschafe

Sie ziehen weiter mit den Wolken
am Himmel
ohne Stillstand
vielmehr stete Bewegung
und Beständigkeit
watteweiche Tupfer
auf der Wiese am Fluss
grasen sie kitzeln die Erde
neigen sich tief zu ihr
sanftmütig in der Herde
ab und zu ein Mäh schallt
weithin mit den Vogelstimmen

am Ufer gegenüber die Gefiederten
spitzen die Schnäbel im Sand
nach Essbarem Apfelstücke
bleiben liegen die Weißbrotscheiben
holen die Raben
flattern wild mit den Tauben
ein Junge zeigt aufgeregt eine weiße
hin zu den hingeworfenen Sonnenblumenkernen
die sie mögen

Wildgänse fliegen kreischend auf
an der weißen Herde vorbei
ziehen sie am Fluss entlang
der nie ruht alles spiegelt

LV
28.4.

Wonnetag

Das Licht wandert
über das Meer aus Sternblumen
das empor wächst am alten Hafen
seh es von weitem
dort sitzt heute schon jemand
auf dem Stein inmitten unzähliger Sterne
ohne hinzusehen starr der Blick aufs Display
ziehe weiter mit dem Fluss
auf einer Anhöhe im Gewirr der Gräser
die sich biegen wiegen wieder aufrichten im Wind
im Gezweig wildes Gezwitscher und Lüste hinterm
Blättervorhang blinzelndes Sonnenlicht breitet sich
aus
zerfließt in Wonne auf dem Fluss
über mir die hinreißend leichten Flügelschwünge der
Wasservögel
das erste Mal barfuß im Gras verankere ich mich
neu
an diesem ersten Maientag

LV
1.5.2024

Die Früchte des Lebens

Ein wenig kafkaesk
vor seinem Schloss
back ich einen Kuchen
als Wegzehrung wenn der Landvermesser
durch die Niederungen irrt
keiner nichts vermisst
Gebt der Erde ihren Früchten
mehr Gewicht
streut Puderzucker auf die Wunden
des Lebens wärmt Euch am Teig
auf dem Rhabarber und Erdbeeren
saftig zerschmelzen im Tanz
der Aromen auf der Zunge
haltet Euch ans Licht
die Kunst der Trennung
Eiweiße und Eigelbe
aus der Schale lösen
ihren Saft und Dotter auffangen
schaumig schlagen
kommen wieder zusammen
unter der Eischnee Kuchenhaube
mit gerösteten Mandelblättchen
und Puderzucker
zerfließt im Mund
das allerschönste Gedicht

LV
4.5.2024

Regen

Rinnt rausch strömt
im Grünmeer vor dem Fenster
Langersehnte Frische
spült nicht weg
die Schatten in mir
der Regen fällt zu dir
in die Erde
und ich kann dich nicht
schützen nicht mehr
sie umhüllt dich
du liegst still da
und immer noch wach
bei mir Tag und Nacht
seh dich als du nicht
aus deiner Höhle
wolltest
und ich nicht einfach
zusehen konnte was wird
du wolltest bleiben
ich musste dich losreißen
hast den Blumenkasten
samt Erde umgerissen im Wintergarten
schwarze frische Erde blieb liegen

gestern flog ein kleiner weißer Falter
vor mir her immer wieder bei den
Pflanzen auf dem Balkon
wo du gern saßest streichst weiter
um mich
die grauweiß getigerte legte eine grüne
Stoffmaus und einen Federball unters Sofa
als kämst du gleich wieder

LV
5.5.2024

Alle Texte + Fotos: Lilli Vostry
(Weitere Fotos folgen.)