Hans-Christian Schink vor seinem großformatigen Foto Antarctica
Kaiserliche Forscher mit dem Gewehr in der Hand
„Scenerie und Naturobjekt“: Technische Sammlungen Dresden zeigen in Sonderausstellung ganz alte und ganz junge Antarktis-Fotos
Ein Mann in kaiserlicher Marineuniform hat sich auf einen der kargen Felsbrocken der antarktischen Geröllwüste gekauert. Die Flinte hält er fest in beiden Händen. Vor ihm eine kleine Robbe. Erlegt? Schlafend? Fasziniert schaut der Sitzende auf eine schreiende große Elefantenrobbe, wohl das Muttertier. Auf das läuft gerade ein älterer Herr in Wettermantel zu. Auch er hat eine deutsche Uniformmütze auf dem Kopf, einen Stock in der Hand. Mit „489“ ist das Graustufen-Foto nummeriert und es wirft ein fernes Schlaglicht auf Wissenschaft voller ganz eigener Entdeckerromantik, wie sie vor 118 Jahren praktiziert wurde.
Aufgenommen wurden nämlich dieses und weitere Fotos von Landschaft, Fauna und Flora der Antarktis während der ersten deutschen Tiefsee-Expedition, zu der das Forschungsschiff „Valdivia“ 1898 startete. Dabei entstanden zahlreiche wissenschaftliche Fotografien und Zeichnungen. Eine Auswahl davon ist derzeit in der Sonderausstellung „Scenerie und Naturobjekt“ in den Technischen Sammlungen Dresden (TSD) an der Junghansstraße zu sehen. Als Kontrapunkte zu den alten „Valdivia“-Bildern mit Forscherfokus sind daneben junge Antarktis-Fotografien platziert, die eher einem fotokünstlerischen Impetus folgen: Der ostdeutsche Fotograf Hans-Christian Schink war im Jahr 2010 während einer Kreuzfahrt auch in die Antarktis gelangt. Dort waren ihm mit seiner Großformat-Kamera ausgesprochen eindrucksvolle Landschaftsaufnahmen gelungen.
„Scenerie und Naturobjekt“ zeige sehr schön die Rolle der Fotografie für die Wissenschaften, schätzt Dr. Andreas Krase ein, der TSD-Kustos für Fotografie. Gerade in Dresden sei der Einsatz dieser damals noch jungen bildgebenden Technologie für die Forschung gut dokumentiert, beispielsweise durch die Krone-Fotografiesammlung an der Technischen Universität Dresden (TSD) oder die wissenschaftlichen Fotobestände der Senckenberg-Sammlungen in Dresden.
Die neue Sonderausstellung in den TSD spiegelt aber nicht nur ein Stück Wissenschaftsgeschichte, sondern auch die Erkundungshistorie eines Kontinents, der wie kaum ein anderer heute ein Indikator für die globale Erderwärmung ist – und in Gefahr gerät, durch Massentourismus überflutet zu werden. Als der Zoologe Carl Chun und seine Kollegen am 1. August 1898 mit der zum Forschungsschiff umgebauten „Valdivia“ zur ersten deutschen Tiefsee-Expedition aufbrachen, war die Antarktis ein noch wenig erforschter Kontinent. Erst wenige Menschen hatten sich dort blicken lassen. Auf der neunmonatigen Reise gab es das typische Auf und Ab einer Forschungsexpedition, erzählt Ausstellungs-Kuratorin Beatrice Staib. „Da gab es Phasen, in denen manche schon aufgeben wollten, und dann plötzlich den Tag, als der erste Offizier ganz aufgeregt herumlief, weil man eine verschollene Insel wiedergefunden hatte.“
Aquarell ergänzte fehlende Farbe der Schwarzweiß-Fotoplatte
Die Forscher nutzten die Zeit nicht nur für Beobachtungen und Experimente, sondern fertigten auch viele Fotos von kargen Landschaften, von Eisbergen, Pinguin-Rutschbahnen, von der überlebenswilligen Fauna in der Antarktis an. Expeditionsfotograf Friedrich Wilhelm Winter, der Zoologe Carl Apstein und ein fotografierender Navigationsoffizier konnten dabei ein eigens eingerichtetes Fotolabor mit Dunkelkammer an Bord der „Valdivia“ nutzen. Weil ihnen keine Farbaufnahmen möglich waren, fertigten sie von einigen Motiven zudem Zeichnungen und Aquarelle anhand der Fotos an – auch von diesen künstlerisch verdichteten Werken sind einige in der TSD-Ausstellung zu sehen.
Besonders wirkungsstark sind aber die Groß-Repros von Schinks Fotos: Er ist als Fotograf eigentlich auf die Zivilisationsspuren in Landschaften spezialisiert. Auf der besagten Kreuzfahrreise in den äußersten Süden wollte er 2010 eigentlich mit Solarisations-Techniken herumexperimentieren. Die kamen aber mangels Sonne nicht zustande. Da entschied sich Schink, ergriffen von den eisigen Landschaften „aus der Situation“ heraus, auf dem so zivilisationsfernen Kontinent intensiver zu fotografieren. Dank Stativ, Langzeitbelichtung und Großformatkamera und natürlich seiner langen Berufserfahrung gelangen ihm ganz außerordentliche Aufnahmen eines Kontinents, der so großartig wie lebensfeindlich wirkt.
Heute tummeln sich Zehntausende in der Antarktis
„So erhaben und weltentrückt, wie die Antarktis hier aussieht, war es aber nicht immer“, sagt der 55-jährige Profi. Denn der Zutritt auf den antarktischen Boden ist zwar für Laien limitiert, in der Praxis aber tummeln sich jährlich dennoch rund 11.000 Touristen auf dem Südkontinent – sowie bis zu 4000 Wissenschaftler. Insofern sind die menschenleeren Landschaftsaufnahmen Schinks nur ein Ausschnitt der antarktischen Wirklichkeit. „Doch auf dem Foto sieht hinterher keiner, dass hinter mir 80 Mitreisende in roten Jacken herumgelaufen sind und die Pinguine vor mir furchbaren Krach und Gestank verbreitet haben“, sagt der Fotograf.
Heiko Weckbrodt
Über den Autor
Der Autor Heiko Weckbrodt ist freier Journalist in Dresden. Er betreibt das Online-Magazin oiger.de, das unter anderem Neues aus Forschung und Wirtschaft berichtet.
Heiko Weckbrodt war 16 Jahre als Redakteur bei den Dresdner Neuesten Nachrichten tätig und betreute dort neben anderen Themen die Schwerpunkte Wirtschaft, Technologieunternehmen und Forschung sowie die Multimedia-Seite.
Studiert hat er Publizistik und Geschichte mit dem Fokus DDR-Wirtschaftsgeschichte. Inzwischen ist er als freiberuflicher Journalist tätig und publiziert vor allem auf der Nachrichtenplattform „Oiger“, schreibt aber gelegentlich auch für andere Magazine und Publikationen.
Bildunterschriften:
Titelfoto oben: Die deutschen Forscher landeten 1898 gut bewaffnet in der Antarktis.
Foto unten: Zeichnungen von Mitgliedern der Valdivia-Expedition 1898, die auf SW-Fotografien basieren.
Repros/Fotos: Heiko Weckbrodt
Ausstellung: „Scenerie und Naturobjekt“ – Antarktisfotografien von Hans-Christian Schink (2010) und der Valdivia-Expedition (1898-99)
Ort: Technische Sammlung Dresden (TSD), Junghansstraße 1
Öffnungszeiten: 12. März bis 26. Juni 2016, jeweils Dienstag bis Freitag, 9-17 Uhr, Samstag und Sonntag 10-18 Uhr
Eintrittspreise: Erwachsene 5 Euro, ermäßigt 4 Euro, Kinder bis 7 Jahre gratis
Mehr Infos im Netz: tsd.de
