Litauen – Schwerpunktland der Leipziger Buchmesse präsentiert sein Programm: Rund 100 Autoren und Künstler treten in über 60 Veranstaltungen auf im März.
Auf der heutigen Pressekonferenz „Leipzig liest“ der Leipziger Buchmesse hat das Lithuanian Culture Institute unter der Leitung von Direktorin Aušrinė Žilinskienė das Programm des Schwerpunktlandes Litauen präsentiert sowie die litauischen Autorinnen und Autoren vorgestellt, die im März nach Leipzig kommen, darunter der Lyriker und Essayist Eugenijus Ališanka.
„Was verbindet so unterschiedliche Städte wie Leipzig und Troja?“, fragte Ališanka. „Erstens kann die Literatur Verbindungen auch dort schaffen, wo es gar keine gibt. Zweitens bereitet Litauen der Stadt Leipzig ein Geschenk – das Trojanische Pferd –, mit dem sich eine Truppe bewaffneter Autoren nach Leipzig drängt: bewaffnet aber nicht mit Schwertern und Speeren, sondern mit Büchern. Ich bin froh, einer dieses litauischen Trupps zu sein, und wünsche mir zugleich, dass die Stimme jedes einzelnen Schriftstellers gehört werde. Wenn überhaupt irgendwo, dann ist dies bestimmt in Leipzig möglich, denn Leipzig ist die Literatur-Stadt!“
„Die Literaturen kleinerer Sprachräume wie des Litauischen haben es schwerer, sich international durchzusetzen. Die Buchmesseschwerpunkte helfen, das Interesse der Verleger für die litauischen Titel zu gewinnen. Der deutsche Markt ist besonders wichtig für die Autorinnen und Autoren, weil er als Sprungbrett in die internationale Verbreitung gilt. Wir freuen uns, dass die litauische Literatur in diesem Jahr über den Länderauftritt Litauens in Leipzig deutlich präsent und unübersehbar ist“, so Aušrinė Žilinskienė, Direktorin des Lithuanian Culture Institute.
Rund 100 litauische Autoren und Künstler treten in über 60 Veranstaltungen auf. Zentrale Themen sind der litauischen Kultur, Geschichte und Politik gewidmet: der polyglotten Tradition der Stadt Vilnius und den Beziehungen Litauens zu seinen deutschen, polnischen und russischen Nachbarn. Darüber hinaus geht es um das Thema Ostpreußen, das zwischen der litauischen und deutschen Literatur eine wichtige Brücke bildete, über die Autoren wie Thomas Mann und Johannes Bobrowski wirkten. Zudem machen Grafiker, Komponisten, Buchgestalter, Musiker und Textildesigner neugierig auf die litauische Künstlerszene.
„Mit unserem Schwerpunktlandkonzept rücken wir bewusst kleinere literarische Landschaften ins Scheinwerferlicht“, erklärt Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse. „Damit wollen wir die Aufmerksamkeit von Büchermachern und Lesern auf die vielfältigen europäischen Wirklichkeiten und Perspektiven erhöhen.“
Auf dem Messegelände werden litauische Bücher in Halle 4 D 300 präsentiert, ein weiterer Stand in Halle 3 G 400 widmet sich der jungen litauischen Grafikkunst. Studenten der Vilnius Art Academy laden hier in Workshops zum kreativen Gedankenaustausch. Das Autorenprogramm des Schwerpunktlandes findet auf der Messe, 23. bis 26. März, im Forum OstSüdOst, Halle 4 E 505, statt sowie an verschiedenen Orten der Innenstadt. Das kulturelle Rahmenprogramm, das litauische Künstlerinnen und Künstler gestalten, beginnt bereits vier Wochen vor Messestart:
Kulturelles Rahmenprogramm
Vom 23. Februar bis zum 6. April präsentiert das Lithuanian Culture Institute gemeinsam mit seinen Partnern ein Rahmenprogramm, das das Kulturland Litauen in seiner großen Vielfalt zeigt.
Experimentelle Klangkunst
Am 23. Februar wird junge experimentelle Klangkunst in der Schaubühne Lindenfels zu Gehör gebracht: die Orgelsafari-Chroniken von Arturas Bumšteinas. Der litauische Komponist reiste entlang der deutsch-tschechischen Grenze durch Sachsen, besuchte Kirchen und nahm deren Orgelmusik auf. Von dieser Reise mit all ihren überraschenden Begegnungen und Klängen erzählen die Orgelsafari-Chroniken. Die Installation kombiniert Videoprojektionen und Sprachperformances mit Original-Tönen und Improvisationen an selbstgebauten Instrumenten.
Nach Messeende, am 29. und 30. März, gibt es einen Nachklang des Buchmesseprogramms im Lofft: mit der Monoper im Dunkeln „Confessions“, präsentiert von der Spatial Opera Company. Das siebenteilige Libretto der Monoper umkreist die Todsünden Habgier, Hochmut, Völlerei, Neid, Zorn, Wollust, Trägheit. Alle Zuschauer tragen während des gesamten Stücks eine Augenbinde. Auf diese Weise werden ihre Klangerlebnisse verstärkt und intensive emotionale Bilder erzeugt.
Ausstellungen
In der Leipziger Baumwollspinnerei wird am 25. Februar die Kunst-Ausstellung „Oxymora“ gezeigt, die gleich drei Ausdrucksformen verbindet: Malerei, Text und Textildesign. Die Ausstellung, die bis zum 25. März zu sehen sein wird, zeigt eine Kollektion aus Grafiken, Malerei und Texten der Berliner Malerpoeten, einer 1972 von der in Litauen geborenen Künstlerin Aldona Gustas gegründeten Autoren- und Künstlergruppe. Ergänzend dazu werden Werke litauischer Gegenwartskünstlerinnen vorgeführt, die verschiedene Kulturtechniken eindrucksvoll verbinden: Tapisserie oder Stickerei mit Digitaldruck oder Videoanimation.
Vom 17. bis 30. März wird in der Galerie Hier + Jetzt eine Fotoausstellung anlässlich des 100. Geburtstages von Johannes Bobrowski gezeigt: „Johannes Bobrowskis Litauen: Beiderseits der Memel, zwischen Osten und Westen“ von Arturas Valiauga. Keiner repräsentiert die kulturelle Verbindung zwischen Deutschland und Osteuropa besser als Johannes Bobrowski, geboren im ostpreußischen Tilsit, verbrachte er die Sommer in Dörfern entlang der Memel. Der litauische Fotograf Arturas Valiauga besuchte Orte, in denen Bobrowski lebte und über die er schrieb.
Konzerte
Am 21. März tritt der akademische Mädchenchor „Liepaitės“ in der Leipziger Nicolaikirche auf und zeigt höchste Gesangskunst aus Vilnius. Die ‚Besten der Besten‘ zwischen 14 bis 17 Jahren geben unter der Leitung von Jolita Vaitkevičienė Konzerte in aller Welt. In der Nicolaikirche präsentieren die Sängerinnen litauische Volkslieder, Werke von Bach, Mendelssohn-Bartholdy, Holst und anderen litauischen und internationalen Komponisten.
In der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ ist am 24. März ein Gesprächskonzert zu erleben: Vytautas Landsbergis spricht über den litauischen Künstler M. K. Čiurlionis und spielt dessen Werke am Klavier. Vytautas Landsbergis wurde an der Litauischen Musikakademie zum Pianisten ausgebildet. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit wurde Landsbergis zu Litauens erstem Staatsoberhaupt gewählt. Von 2004 bis 2014 Mitglied des EU-Parlaments, war er insgesamt 25 Jahre in Parlamenten tätig.
Filmkunst
Den Abschluss des litauischen Rahmenprogramms bilden vier Filmpräsentationen, 3. bis 6. April, in der Schaubühne Lindenfels: ein Oskar prämierter Stummfilm, eine Familiengeschichte, ein Episodenfilm und eine Romanverfilmung als Rockoper. „Sonnenaufgang“ zählen viele Filmhistoriker zu einem der zehn schönsten Filme aller Zeiten. „Für immer zusammen“ führt disparate Lebensentwürfe vor. „Wenn wir vom KGB reden“ handelt von sowjetischen Verbrechen und wiedererrungener Freiheit, und „Teufels Braut“, einer der populärsten Filme Litauens, basiert auf einer nationalen literarischen Legende.
Autorenprogramm
Die Buchpräsentationen und Diskussionen des Autorenprogramms gestalten u.a.: der Lyriker und Essayist Eugenijus Ališanka, der Kulturgeograf Laimonas Briedis, der Lyriker Antanas A. Jonynas, der Essayist Laurynas Katkus, der Kulturhistoriker Rimvydas Laužikas, der Autor Kęstutis Navakas, der Lyriker Sigitas Parulskis, die Autorinnen Undinė Radzevičiūtė, Giedra Radvilavičiūtė und Renata Šerelytė, der Erzähler Alvydas Šlepikas, der Lyriker Rimvydas Stankevičius, der Lyriker und Menschenrechtler Tomas Venclova sowie der Grafiker, Illustrator und Essayist Mikalojus Vilutis, zudem deutsche Übersetzerinnen und Übersetzer wie Saskia Drude, Cornelius Hell, Markus Roduner und Claudia Sinnig.
Auch Themen des Kinderbuchmarkts sind vertreten, u.a. mit dem Kinderbuchautor und Illustrator Kęstutis Kasparavičius. Außerdem werden neu übersetzte litauische Klassiker präsentiert, darunter Grigori Kanowitsch, Jurgis Kunčinas, Romualdas Granauskas und Antanas Škėma.
Neue Literatur aus Litauen
Eine „Nacht der litauischen Literatur“ wird am 23. März im Schauspiel Leipzig/ Baustelle gefeiert: mit Autoren, Verlegern, Übersetzern und Musikern. Dabei sind moderne Romane und Erzählungen von Renata Šerelytė, Jurgis Kunčinas, Kęstutis Navakas, Grigori Kanowitsch u. a., präsentiert von ihren Autoren, Übersetzern oder Verlegern in Kurzlesungen und Gesprächen.
In Horns Erben heißt es am 25. März: „Wir sind die Neuen. Eine junge Autorengeneration stellt sich vor“. Auch, wenn jeder der 14 Autoren die Welt aus ganz eigener Perspektive betrachtet, haben sie etwas gemeinsam: Sie stammen aus einer Epoche, die man als das „sowjetische Litauen“ bezeichnet. Wie sich die Zeiten des Umbruchs in Literatur verwandeln lassen, zeigen sie in Prosa, Lyrik und Poetry-Slams.
Große Lyriker Litauens werden am 25. März in der „Nacht der litauischen Poesie“ vorgestellt. Im Schauspiel Leipzig/ Baustelle treten zehn Dichterinnen und Dichter auf: Rimvydas Stankevičius, Kęstutis Navakas, Gytis Norvilas, Antanas A. Jonynas, Giedrė Kazlauskaitė, Agnė Žagrakalytė, Aivaras Veiknys, Sigitas Parulskis, Laurynas Katkus, Eugenijus Ališanka. Sie lesen ihre aktuelle Lyrik, umrahmt von litauischen Klängen.
Vilnius: Herzstadt Litauens
„Vilnius, Wilno, Wilna, eine multikulturelle Stadt“ heißt die Diskussion am 24. März mit Tomas Venclova, Laimonas Briedis, Eugenijus Ališanka und Felix Ackermann. Jerusalem des Nordens, Zentrum polnischer Kultur, litauische Hauptstadt, belarussischer Sehnsuchtsort, Heimat russischsprachiger Einwohner: Vilnius ist ein Fixpunkt für viele Suchbewegungen, die in der Historie der Stadt ein Bergwerk für Rohstoffe sehen, aus denen heutige Erzählungen gemacht sind.
„Vilnius als Spiegelkabinett“ erklärt der Kulturgeograf Laimonas Briedis am 25. März. Selbst in Vilnius geboren und aufgewachsen ging er zum Studium nach Vancouver, wo er seit über 25 Jahren lebt. Der Blick von außen bestimmt auch „Vilnius. Reisen in die ferne Nähe“, mit dem Briedis internationales Aufsehen erregte. Virtuos verknüpft er Briefe, Tagebücher, Äußerungen von Napoleon, Dostojewski, Stendal, Döblin und anderen zu einer ganz persönlichen (Stadt-)Geschichte.
Litauen im Spannungsfeld der Politik
Gleich zu Beginn des Litauischen Messeprogramms, am 23. März, steht die Diskussion „Quo vadis, Europa? Außen- und sicherheitspolitische Herausforderungen aus der baltischen Perspektive“, u.a. mit Linas Linkevičius, Außenminister der Republik Litauen. Das hochkarätige Podium diskutiert, welche außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen sich den Ländern Litauen und Deutschland stellen.
In der Bibliotheca Albertina geht es am 23. März um „Chiffren, Mythen und Schweigen in sowjetlitauischer und DDR-Literatur“, u.a. mit Tomas Venclova und Ines Geipel. Ob in annektierten Sowjetrepubliken wie Litauen oder in Satellitenstaaten wie der DDR: Als Dogma und Kanon war hier wie dort einzig der sogenannte sozialistische Realismus zulässig. Wie wirkte und wirkt sich das bis heute auf die Literatur beider Länder aus?
Über die Beziehungen zwischen Litauen, Polen und Russland diskutieren am 24. März im Forum OstSüdOst Tomas Venclova, Adam Michnik und Lilija Schewzowa. In der heutigen Kontroverse zwischen dem Westen und Russland heben sich die Stimmen Litauens und Polens aus dem Chor der europäischen Staaten heraus. Beide Länder dienten dem nach Demokratie strebenden Teil der russischen Gesellschaft als Orientierung.
Litauisch-deutsche Beziehungen
Wie kaum ein anderer hat Thomas Mann die Verbindung zwischen Litauen und Deutschland befördert. Drei Sommer verbrachte er auf der Kurischen Nehrung. Heute beherbergt sein ehemaliges Domizil das Thomas-Mann-Museum und -Kulturzentrum. Am 23. März resümieren dessen Kurator Antanas Gailius und der Präsident der Deutschen Thomas Mann-Gesellschaft Hans Wißkirchen den literarischen Ertrag der Niddener Sommer 1930 bis 1932 und sprechen mit Ruth Leiserowitz über die Perspektiven des Hauses.
Eine Diskussion über die „Wolfskinder: das geweckte Schicksal Ostpreußens“ steht am 25. März auf dem Programm – mit Alvydas Šlepikas und Ula Lachauer. Das Schicksal der sogenannten Wolfskinder war in Litauen und Deutschland weitgehend bekannt. Nun findet das tragische Kapitel der Nachkriegsgeschichte auch Einzug in die Literatur: „Mein Name ist Marytė“ von Alvydas Šlepikas oder „Salz für die See“ von Ruta Sepetys geben der Erinnerung an den Untergang Ostpreußens einen eigenen Raum.
Aus Anlass der Leipziger Buchmesse haben Rimvydas Laužikas und Antanas Astrauskas das Buch „Wie der gepökelte Stier nach Konstanz fuhr“ geschrieben: die erste Studie über die Wechselbeziehungen der litauischen und der deutschen Küche und ihrer kulinarischen Traditionen. Am 24. März lädt das Lithuanian Culture Institute zur Buchpremiere – „Meschkines, Schuppnis und Spirgel: das deutsch-litauische Verhältnis als Leib- und Magengeschichte“.
Alle Veranstaltungen und Informationen zu Autoren und Programm unter: http://www.litaueninleipzig.lt
Litauen – Schwerpunktland der Leipziger Buchmesse 2017 wird veranstaltet vom Lithuanian Culture Institute und der Leipziger Buchmesse in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium der Republik Litauen, dem Kulturrat Litauen, der Botschaft der Republik Litauen in Deutschland, dem Litauischen Verlegerverband, dem Staatlichen Tourismusamt Litauen sowie dem Goethe-Institut Litauen.
Text: Pressestelle Leipziger Buchmesse