|
Leipziger Buchmesse: Lesefest & Literaturerlebnisse im digitalen Raum
11 Donnerstag Mrz 2021
11 Donnerstag Mrz 2021
|
11 Donnerstag Mrz 2021
Posted Aktuelles, Bildende Kunst, Lebensart, Literatur
in
Am Mittwoch, den 24. März sind Autor und Zeichner im Hamburger Literaturhaus im Rahmen der 9. Hamburger Graphic Novel Tage gemeinsam mit der Zeichnerin Tina Brenneisen um 19 Uhr zu Gast im Livestream „Inhaltliche Vielfalt als Lustprinzip“. Moderiert wird der Abend ebenfalls von Andreas Platthaus. Mehr Informationen dazu hier.
Weitere Lesungstermine findet Ihr hier.
»„Nachtgestalten“ ist eine Elegie auf das versäumte Leben, nicht nur zu Lockdown-Zeiten.« Welt am Sonntag
In „Nachtgestalten“ lassen sich zwei Freunde in einer Nacht von Bier zu Bier und von Geschichte zu Geschichte treiben und erzählen scharfsinnig, klug und mit subversivem Witz von der Tragik der Liebe, dem Wahnsinn des Lebens sowie den Spuren der Geschichte, die allem zugrunde liegt und nie ganz verschwindet.
Vom tschechischen Schriftsteller, Drehbuchautor und Dramatiker Jaroslav Rudiš erschien zuletzt der Roman „Winterbergs letzte Reise“, der 2019 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde. Für sein Werk wurde er außerdem mit dem Usedomer Literaturpreis, dem Preis der Literaturhäuser sowie dem Chamisso-Preis/Hellerau ausgezeichnet. Der Zeichner und Illustrator Nicolas Mahler lebt in Wien. Seine Comics und Illustrationen erscheinen unter anderem in Die Zeit, NZZ am Sonntag, FAZ und in der Titanic. Für sein Werk wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Max-und Moritz-Preis als „Bester deutschsprachiger Comic-Künstler“ und mit dem Preis der Literaturhäuser.
Text:
Elsa Antolín
Pressereferentin
Luchterhand Literaturverlag | Neumarkter Straße 28 | 81673 München
Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
www.luchterhand-literaturverlag.de
Rudis: Das würde sie traurig machen aber sie würden
mit Sicherheit Bier kaufen.
Mahler: Oder Wein trinken.
Rudiš: Ja, schrecklich, der Lockdown hat aus mir auch einen Weintrinker gemacht. Es geht vielen Biertrinkern so. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Nachtgestalten mit zwei Flaschen Bier losziehen würden. Oder mit zwei Flaschen Wein. Was meinst du, Nicolas?
Mahler: Ich bin mir nicht so sicher. Ich habe zum Beispiel einen Freund, den kriege ich nicht zum Spaziergehen. Eigentlich will er nur Auto fahren und das ist natürlich mit Alkohol schwierig.
Rudiš: Ja, manchmal ist es schwer. Auch bei den Nachtgestalten würde der Eine mehr unter dem Lockdown leiden und sich in seine Geschichten verkriechen. Der Andere würde all seine Kraft einsetzen, um ihn aus der mit Geschichtsbüchern vollgestopften Wohnung herauszuzerren und ihn auf einen Spaziergang zu überreden.
Wie kam es überhaupt dazu, dass ihr gemeinsam die Graphic Novel herausgebracht habt?
Rudiš: Ich fahre oft über Wien. Wien ist sozusagen mein Umsteigebahnhof. Dort treffe ich mich immer mit Nicolas im „Steman“ oder im „Rüdigerhof“ und wir essen gemeinsam Schnitzel und trinken böhmisches Bier dazu. An einem Abend, nach ungefähr sechs Budweiser vom Fass, haben wir gesagt: Lass uns etwas zusammen machen.
Rudiš: Ich hatte tatsächlich mal eine kleine Erzählung mit dem Namen „Nachtgestalten“ geschrieben, die Nicolas gut fand. Wir haben dann gemeinsam mehrere Geschichten dazu erfunden. Ich bin jemand, der gerne
und viel erzählt, mein Roman „Winterbergs letzte Reise“ ist über 500 Seiten
lang. Gleichzeitig mag ich es sehr, wie reduziert Nicolas‘ Zeichnungen sind.
Daher fand ich es super, dass er meinen Text nahm und radikal kürzte.
Mahler: Ausschlaggebend waren für mich die Dialoge, die ich richtig gut fand.
Mich hat bei den Nachtgestalten auch angesprochen, dass es nur zwei Figuren
sind. Da meine Zeichnungen sehr reduziert sind, ist es für mich am besten,
wenn es einen kleinen Dicken und einen großen Dünnen gibt. Die kann man gut unterscheiden. Bei vier Protagonisten muss ich gleich mit den Frisuren arbeiten. So habe ich gar keine Frisuren gebraucht.
Rudiš: Ich hatte Nicolas mehrere Geschichten mit einem wiederkehrenden Grundgedanken geschickt: Zwei Freunde gehen durch die Prager Nacht von Gasthaus zu Gasthaus und erzählen sich kleine private Geschichten. Dabei kommt immer wieder die ganz große Geschichte zum Vorschein. Nicolas hat ziemlich schnell die ersten Zeichnungen angefertigt und ich dachte: Wow, das hat er wirklich perfekt getroffen!
Kein Theaterstück, kein Roman könnte das so gut einfangen wie eine Graphic Novel mit Nicolas.
Mahler: Schwierige Frage… Ich könnte sagen, weil ich selbst so schlecht schreibe.
Rudiš: Und ich kann nicht zeichnen! Wo wir uns treffen ist Wien und die Welt der mitteleuropäischen Literatur, die Nicolas immer wieder in seinen Comics porträtiert. Seine „Alten Meister“ zum Beispiel finde ich großartig! Die Gradwanderung zwischen Groteske und Tragödie, das verbindet uns – und davon leben auch die Nachtgestalten.
Mahler: Da müsste ich jetzt überlegen…. Nein, Elfriede Jelinek lebt auch noch!
Bei ihr war jedoch der Text schon längst veröffentlicht, und das macht doch
einen Unterschied. Wenn der Schriftsteller sich nicht mehr wehren kann, ist
das natürlich einfacher. Aber wir sind bei den Nachtgestalten so auf einer
gemeinsamen Wellenlänge gewesen, dass keiner irgendetwas durchsetzen
musste, was der andere nicht wollte.
Rudiš: Humor ist für mich Lebensrettung. Meine Geschichten sind oft traurig,
düster und abgründig, aber letztendlich rettet der Humor die Helden immer
vor dem Untergang.
Mahler: Ich glaube, das ist bei den Allermeisten so. Wenn man Menschen fragt, was sie beim eigenen Partner am meisten schätzten, kommt als Antwort fast immer Humor. Wobei Männer oft damit meinen, dass die Partnerin über ihre Witze lacht. Bei mir ist es so, dass ich im Endeffekt mein Leben damit verdiene, Witze zu machen und Cartoons zu zeichnen. Der Humor ist immer auch das Ziel meiner Arbeit. Nur traurig
ist mir zu wenig. Traurig ist schön und gut, aber am besten ist es, wenn es schön traurig und lustig ist. Dann ist mir die Sache gelungen.
Rudiš: Vielleicht ist das Selbstoptimierung auf böhmische Art.
Mahler: Ja, unsere Nachtgestalten tendieren zur Selbstzerstörung – aber mit Humor! Ich glaube, dieser Zugang ist ziemlich out, oder?
Rudiš: Ja, vielleicht ist es wieder an der Zeit, dass er zurückkommt.
Mahler: Lieber das, als Selbstzerstörung ohne Humor. Selbstzerstörung ohne Humor ist schlimm, da möchte man nicht dabei sein.
Rudiš: Hm, in der Tat waren alle meine Figuren in letzter Zeit männlich… Vielleicht hängt das damit zusammen, dass viele Dialoge aus den Nachtgestalten echt sind. Ich habe sie irgendwo in Gesprächen mit Freunden aufgeschnappt.
Mahler: Mit Frauen sprichst du nicht?
Rudiš: Doch, denen höre ich auch zu! In der „Nationalstraße“ gibt es zum Beispiel eine sehr starke Frauenfigur. Aber vielleicht fällt es mir leichter, über Männer zu schreiben.
Rudiš: Absolut. Es ist eine Geschichte über eine lange und tiefe Freundschaft. Die beiden stehen zueinander und streiten auch manchmal. Es geht aber auch ums Zuhören. Heute steht der Individualismus sehr im Mittelpunkt: ICH lebe gesund, ICH mache Sport. Aber hier haben wir zwei Freunde, die zuhören.
Mahler: Ja, aber der eine kann sich den Namen der Freundin des anderen
nicht merken.
Rudiš: Das stimmt auch wiederum.
Rudiš: Naja, wenn man sich da die Nachtgestalten ansieht, kann man schnell den kleinen Dicken und den großen Dünnen erkennen, diesmal auch mit Frisuren! Irgendwie sind es auch wir, die durch die Geschichte gehen.
Februar 2021. Das Gespräch führten Elsa Antolín und Madlen Reimer, Luchterhand Literaturverlag.
08 Montag Mrz 2021
Träume kennen keine Grenzen. Nah dran an den turbulenten Ereignissen wie die Fotografin im Buch erzählt Katharina Fuchs in ihrem Roman „Lebenssekunden“ zwei bewegende Lebensgeschichten von Frauen aus der Zeit des Mauerbaus. Foto: Jürgen Bauer
Die Geschichte der ersten deutschen Fotojournalistin und einer Leistungsturnerin aus der DDR. Um zwei starke Frauenfiguren und ihre Lebensträume geht es im Roman „Lebenssekunden“ von Katharina Fuchs (Droemer, 416 S., 20 Euro). Es sind Sekunden, die das Leben der jungen Leistungsturnerin Christine Magold für immer verändern werden. Sie wohnt in Ostberlin. Ihr Freund Thomas in einem möblierten Zimmer im Wedding und studiert Betriebswirtschaft an der Freien Universität in Westberlin. Ihr sehnlichster Wunsch, zusammen mit Thomas bei den Olympischen Spielen in Rom anzutreten, erfüllt sich nicht. Der Deutsche Turn- und Sportbund DTSB hatte 1961 kurzfristig und ohne offizielle Begründung entschieden, keine weibliche deutsche Kunstturn-Mannschaft zur Olympiade zu entsenden.
Wann würde aus irgendwann jetzt? Fragt Christine sich immer wieder mit Blick auf ihr Leben, die Strapazen des Leistungssports und das ersehnte Zusammensein mit Thomas, der auf der anderen Seite der Sektorengrenze für sie unerreichbar lebt, manchmal auf der anderen Straßenseite vor ihrem Haus mit einer Blume steht und ihr in seinen Briefen seine Liebe beteuert.
Angelika Stein hatte sich als erste deutsche Fotojournalistin einen Namen gemacht. Sie hat viel in ihrem Leben erreicht, führt eine glückliche Ehe, aber es gab einen schwarzen Fleck in ihrem Lebenslauf und zwei tiefe Schrammen in ihrer Seele, erfährt man über sie. Sie wohnt in Charlottenburg mit ihrem Mann Rudi, der als Leiter der Haushaltswarenabteilung bei Hertie arbeitet und ihr vor eineinhalb Jahren aus Kassel nach Berlin mit seinem aufregenden Nachtleben gefolgt war.
Beim Bau der Berliner Mauer 1961 treffen die beiden jungen Frauen unter dramatischen Umständen aufeinander. Wie sie dieses Ereignis dies- und jenseits der Mauer erleben, wie sie aufwachsen, von ihrem Ehrgeiz, Talent, Mut, Erfolgen, Enttäuschungen und Hoffnungen erzählt der Roman „Lebenssekunden“ packend, lebendig und mitfühlend mit viel Zeitkolorit und detailfreudig. Angelika und Christine erzählen im Wechsel über ihre Kindheit und Jugendzeit in der Zeit vor und nach dem Mauerbau, im Westen und Osten, und der Leser erhält die Gelegenheit, intensiv in eine aufregende, turbulente wie schicksalsreiche Zeit deutscher Geschichte einzutauchen in Katharina Fuchs` Roman. Manchmal trägt dieser etwas dick auf wie in den reißerisch geschilderten Szenen mit spektakulären Fluchten und Fenstersprüngen mittels Bettlaken in den Westen, in die Freiheit, die Vopos, Volkspolizisten ihnen dicht auf den Fersen.
Die Stärke des Romans ist die Gratwanderung, wie Alltägliches, privates Glück und die Welt draußen beiden Protagonistinnen immer wieder in die Quere kommen und deren Schilderung der Geschehnisse aus den jeweils anderen Lebensumständen, Erfahrungen und Blickwinkeln heraus. Da wünscht sich die Fotojournalistin Angelika manchmal, sie könnte wegsehen, weghören, aber… Sie kann sich nicht einfach die Decke über den Kopf ziehen, wenn vor der Haustür die Lage eskaliert. Sie greift sich die Fototasche und fährt mit dem Moped nach Ostberlin und wird Augenzeugin der aufreibenden Ereignisse. Doch die Euphorie der Geflüchteten weicht bald der Angst vor einer ungewissen Zukunft im Westen.
Zu ihrem Roman „Lebenssekunden“ hat Katharina Fuchs Barbara Klemm inspiriert, eine der ersten Redaktionsfotografinnen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, deren Bilder sie schon lange faszinierten und die sie 2016 bei einer Auktion ihrer berühmten „Bilder der Einheit“ in Frankfurt am Main persönlich kennenlernte. „Ihre Fotografien kreisen immer um Menschen und behandeln sie mit Respekt und Mitgefühl, werben beim Betrachter um Verständnis und Anteilnahme“, gefällt ihr an deren Arbeiten. „Und dann gab es in der Auktion noch diese eine Fotografie einer blutjungen Kunstturnerin, einem Kind, das weit oben in einer leeren, maroden Halle an Ringen hängt, über einer Grube voller Schaumstoffschnitzel – aufgenommen in der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig. Ein Bild, das die monströse Menschenverachtung, Härte und Einsamkeit des Leistungssportsystems in der DDR in sich trug.“ Katharina Fuchs, geboren 1963 in Wiesbaden, verbrachte ihre Kindheit am Genfer See. Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften in Frankfurt am Main und in Paris wurde sie Rechtsanwältin und Justiziarin in einem Unternehmen. Sie lebt mit ihrer Familie im Taunus. Ihre Romane „Zwei Handvoll Leben“ und „Neuleben“ basieren auf ihrer eigenen Familiengeschichte.
Text (lv)
23 Dienstag Feb 2021
|
10 Mittwoch Feb 2021
Posted Aktuelles, Lebensart, Literatur, Zwischenmenschliches
in„Ich greif` ja gar nicht an, ich schreib ja nur. Es ist ja kein Angriff, ist ein geschriebenes Buch, kein angreifendes. Ich schreib` ja mit der Maschine und nicht mit dem Geschütz“, sagte Thomas Bernhard (1931 – 1989) einmal. Tatsächlich ist der österreichische Schriftsteller und Dramatiker für seine „literarischen Beschimpfungen“ und Lust an der Provokation weit über die Landesgrenzen hinaus berühmt-berüchtigt geworden.
Am 9. Februar wäre Bernhard, der Meister der Übertreibungskunst, 90 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass sind diese Woche in der „Lesezeit“ im MDR Kultur Radio einige Erzählungen von Bernhard, gelesen von ihm selbst und von Schauspieler Bruno Ganz vorgetragen, zu hören. Insgesamt fünf Folgen bis zum 12. Februar (täglich um 9.05 und 19.05 Uhr) mit Texten, die unter dem Titel „Midland in Stilfs“ wie all seine Bücher bei Suhrkamp erschienen sind.
Den Anfang machte am Montagabend die Erzählung „Die Mütze“ in einer Aufnahme von 1969. Darin beschreibt Bernhard herrlich absurdkomisch, sich immer mehr hineinsteigernd, einen Mann, 25 Jahre alt, der eine Mütze findet und sie unbedingt dem Besitzer zurückbringen will, zumal er es allein im Haus seines in Amerika weilenden Bruders und in düsterer Stimmung ohnehin nicht aushält. Angetrieben von seiner „Kopfhitze“ und kurz davor, verrückt zu werden, bei verschiedensten Ärzten und allen möglichen „Kopfspezialisten“ gewesen, die ihm seine Krankheit nicht erklären konnten, läuft er los, um seine Angst vor der beklemmenden Finsternis zu vertreiben. Er geht von Haustür zu Haustür und wird überall abgewiesen. Die Mütze ist ihm eine Last und beherrscht ihn bald vollends bis zur völligen Erschöpfung. Er wollte sich „nicht auf erbärmlichste Weise der Mütze entledigen durch Wegwerfen…“ Hinterher beim Aufschreiben des Erlebten wird ihm kalt, ob seiner eigenen Ausweglosigkeit, die Mütze behalten zu müssen und der Gleichgültigkeit der Mitmenschen.
Meine erste Begegnung mit seinem Werk war das Stück „Der Theatermacher“, das ich Mitte der 1990er Jahre im damaligen Schlosstheater in einer Inszenierung des Staatsschauspiels Dresden sah, voll bissiger Ironie zum Geschehen vor und hinter den Kulissen des Kulturbetriebes in seiner Heimatstadt Wien und einer selbstgefällig im eigenen Saft schmorenden Kulturszene, die er auch in seinem Roman „Holzfällen. Eine Erregung“ drastisch direkt auf`s Korn nimmt. Die Aufführung von Bernhards Komödie „Alte Meister“, die ursprünglich im Wiener Kunsthistorischen Museum im Bordone-Saal spielt, war in den Räumen der Gemäldegalerie Alte Meister im Zwinger vor zwei Jahren immer ausverkauft. Dort wettert ein Mann, der regelmäßig auf der Sitzbank gegenüber den Gemälden Stellung bezieht, in aberwitzigen Tiraden gegen die Kunst im allgemeinen, die Maler im besonderen, sucht mit Hingabe nach Fehlern in den Meisterwerken und wünscht sich doch nichts sehnlicher als ein menschliches Gegenüber zum Reden und Streiten.
Vom Umgang mit den „Alten Meistern“, der Lust oder Unlust an Schöpferischem bis hin zu Stumpfsinnigkeit gegenüber der Vergangenheit seiner Landsleute, erzählt in einer imaginären Begegnung mit dem Schriftsteller Thomas Bernhard und ihrem Vater in seinen zeichnerischen Anfängen Teresa Präauer, die als Schriftstellerin in Wien lebt, in einem Beitrag in der Literaturbeilage der Zeitung „Die Welt“ vom vergangenen Wochenende. Eine Hommage für den „Erregungskünstler“, der doch das Bestehende vielmehr benannt habe und anstatt es zu übertreiben, in seinen Beschreibungen verallgemeinert und wiederholt habe. Woraufhin es derart wiederholt und wiederholt, aus der Komödie eine Tragödie und umgekehrt machend, dann zur „Thomas-Bernhard-Wurst“ verkocht werden kann, meint süffisant ihr Vater. Die gebe es in der Feinkostabteilung neben den Mozartkugeln und sie schmecke, nach mildem Rezept, nun auch den Abonnenten am Pausenbuffet vom Theater in der Josefstadt. Wie Bernhard selbst das wohl fände?!
Und was würde Thomas Bernhard, der selbst wegen einer Lungentuberkulose im Landeskrankenhaus Salzburg behandelt wurde und mehrmals nah am Tod war, wohl zum Leben in Corona-Zeiten sagen? Vielleicht, sich weder zu viel Sorgen machen, noch zu unbesorgt sein. Vielleicht schrieb er gerade deswegen so trocken lakoniscn und erbarmungslos über existenzielle Fragen von Leben und Tod, menschliches Sein, Unsinn und Nichtigkeiten, um sie maßlos übertrieben der Lächerlichkeit preiszugeben.
Seine Texte über zu viel oder zu wenig Denken, kleingeistige Verhältnisse und seine Hassliebe zu seiner Heimatstadt Wien sind scharf- und feinsinnig zugleich. Derb, ätzend komisch, traurig, verzweifelt und anrührend von einem Moment zum anderen. Ein ständiges Ringen mit den (Un)möglichkeiten und Zumutungen des Lebens, die er durch Schreiben sucht zu bannen, abgrundtief ehrlich zu sich selbst und immer um Wahrhaftigkeit bemüht. Das fasziniert, fesselt, verstört und man ist hin und her gerissen zwischen schallendem Gelächter und gleichzeitig Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein angesichts all dieser menschlichen Ungeheuerlichkeiten und Verrücktheiten, an denen es auch in der Gegenwart nicht mangelt. Das macht Bernhards Texte zeitlos und immer noch treffsicher.
Thomas Bernhard gehört zu meinen Lieblingsschriftstellern. Weniger bekannt, aber eine Entdeckung für sich ist er als Lyriker, der er zuerst war. Sein erstes Gedicht „Mein Weltenstück“ und alle weiteren enthält der Band „Gesammelte Gedichte“, bei Suhrkamp Taschenbuch erschienen, voll eigener Sprachbilder und Kraft. Mir gefällt sein offen unerschrockener Blick auf die Welt, oft selbstironisch, niemandem außer sich selbst verpflichtet, oft zum Heulen komisch, der auf die erkennende und befreiende Kraft des Lachens setzt. „Das ist ja das Schöne an meinen Büchern, dass das Schöne überhaupt nicht beschrieben ist, dadurch entsteht es von selbst“, schrieb Bernhard einmal schön ironisch.
Text + Foto (lv)
07 Sonntag Feb 2021
|
24 Donnerstag Dez 2020
Bücher aussuchen ohne liebevolles Miau zur Begrüßung und schnurrende Zuneigung von Ladenkater Musashi ist nur halb so schön. Hoffentlich kann er im neuen Jahr bald wieder die Besucher im Buchladen Büchers Best empfangen. Foto: BB
„Auch wir müssen unsere Ladentüren mindestens bis zum 10. Januar 2021 geschlossen halten. Wir blicken dennoch optimistisch nach vorn – Dank Euch und Ihnen“, sagt Jörg Stübing, Inhaber der Buchhandlung Büchers Best in der Dresdner Neustadt.
„In den finsteren Zeiten, wird da auch gesungen werden? Da wird auch gesungen werden. Von den finsteren Zeiten.“ So Bertolt Brecht in einem seiner späten Gedichte.
So ist es auch heute: An Lesebedarf ist trotz oder wegen der Krise kein Mangel, den kleinen Buchläden mit treuer Kundschaft geht es (bilanztechnisch) vorerst immer noch recht gut.
Vielen Dank an alle Beteiligten für die massive Unterstützung vor und nach dem Lockdown durch zahlreiche Bestellungen im Webshop:
https://buechersbest.buchkatalog.de/ ,
Dieser hat natürlich auch die nächsten Tage rund um die Uhr geöffnet.
„Wer uns auf diese Weise unterstützen möchte, den kleinen und unabhängigen Buchhandel, der oder die teile diesen Link und/oder bestelle selber.“
Der Versand ist deutschlandweit kostenfrei. Die Lieferzeit kann aber Corona- und Weihnachtsbedingt (was für eine Ineinssetzung!) durchaus eine Woche und mehr betragen.
Das heißt: wer noch etwas Weihnachtliches per Paket von Büchers Best erhalten möchte sollte eher jetzt, als später einen kleinen Surfausflug in das beste Land der Bücher unternehmen.
„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ schrieb Ingeborg Bachmann. An dies glaubend, schrieb Jörg Stübing diese Zeilen.
Bleibt und bleiben Sie gesund und uns gewogen,
Herzliche Grüße aus der vernetzten Klause
stue
Text: Team Büchers Best
24 Donnerstag Dez 2020
Auszeit in einem andalusischen Schweigekloster mit ungeahnten Turbulenzen. Davon erzählt der neue Roman von Linus Reichlin, der im Februar 2021 im Verlag Galiani Berlin erscheint. Fotos: David Biene
Jetzt, da tatsächlich der zweite Lockdown andauert, möchten wir Ihnen sehr einen Roman ans Herz legen, der sich – Zufall oder auch nicht – tatsächlich perfekt für die nächsten Wochen zur Lektüre anbietet: Linus Reichlins Señor Herreras blühende Intuition.
Denn auch in diesem Roman geht es einerseits ums bewusste Abschalten, und andererseits um die Frage, was es ist, woraus der Mensch die Wirklichkeit kreiert, die ihn umgibt. Wie sehr sind wir selbst mitverantwortlich für die Verzauberung oder Entzauberung unseres Daseins?
Der Protagonist des Romans – ein Schriftsteller – begibt sich in eine freiwillig gewählte Einsamkeit, er mietet sich in einem andalusischen Schweigekloster ein. Die Auszeit und die damit einhergehende Langeweile, so sein Kalkül, sollen einen Kreativitätsschub auslösen – den vor allem sein Romankonzept dringend nötig hat. Jedoch hat der Autor seine Gleichung ohne Señor Herrera gemacht, einen ehemaligen Matador, der sich inzwischen als Koch der Klosterküche ausprobiert.
Denn Herrera lässt einfach keine Langeweile aufkommen. Schon am ersten Abend beginnt er, den Schriftsteller auf allerlei Ungereimtheiten im Kloster aufmerksam zu machen. Vor allem eine der Nonnen – Schwester Ana Maria –, da ist Herrera sich sicher, könnte ein Doppelleben führen… Eine verwirrende Angelegenheit, denn auch der Roman des Autors soll sich um eine junge Frau drehen, die sich als Nonne getarnt vor der Mafia in einem Kloster versteckt.
Wir finden, Linus Reichlin legt mit Señor Herreras blühende Intuition ein Meisterstück vor. Denn selten zuvor wurde so geistreich und gewitzt über die Frage philosophiert, ob der Mensch seine Wirklichkeit selbst schafft, oder ob umgekehrt die Wirklichkeit unsere Wahrnehmung beeinflusst. Ein poetisches Buch, das in seiner Schrägheit an Filme von Pedro Almodóvar erinnert – randgefüllt mit Einfällen und überraschenden Wendungen. Und zugleich ein Vexierspiel voller Finten und doppelter Böden.
Am liebsten möchte man sich sofort selbst auf den Weg nach Andalusien begeben. Oder zumindest Señor Herrera einladen, in den nächsten Tagen mal vorbeizukommen.
Das Buch erscheint am 11. Februar 2021.
Text: Esther Kormann und Theresa Feldhaus
Können wir unser Leben verändern oder verändert das Leben uns? Vielleicht ist ja schon alles, was uns passiert, irgendwo aufgeschrieben – wie in einem Romankonzept? Señor Herrera jedenfalls war einmal Matador und ist jetzt Koch und Gästebetreuer. Und er hat da seine ganz eigene Theorie … Auf unserer Magazinseite oder unserem Youtube-Kanal finden Sie jeden Morgen ab 8 Uhr die neuste Hörprobe, ab jetzt jeden Tag als Countdown bis zum Erscheinen des Buches.
Text: Kristin Hinz & das Galiani Team
17 Donnerstag Dez 2020
Am Sonntag, dem 20. Dezember 2020, steht auf der Webseite ww.staatsschauspiel-dresden.de von 10.00 bis 24.00 Uhr der kostenfreie Stream von Der Unnachahmliche – Lars Jung erzählt aus dem Leben von Charles Dickens – zur Verfügung. Lars Jung, der langjährige Darsteller des Ebenezer Scrooge in A CHRISTMAS CAROL – EIN WEIHNACHTSLIED, stellt in dieser Online-Lesung Leben und Werk von Charles Dickens vor, ein kleiner Ersatz und Trost für den Corona-bedingten Vorstellungsausfall im Palais im Großen Garten.
Eine kleine Weihnachtsüberraschung für die ganze Familie wartet an den Feiertagen! Gezeigt wird am Freitag, dem 25. Dezember 2020 ab 10.00 Uhr und am Samstag, 26. Dezember 2020 ganztägig eine Aufzeichnung der Generalprobe von DER ZAUBERER VON OZ in der Regie von Christina Rast. Die Aufführung der Familieninszenierung, ursprünglich nicht für einen Stream geplant, kann natürlich nur ein kleines Trostpflaster sein für den ersehnten Besuch im Theater. Wir freuen uns daher schon darauf, wenn wir in der nächsten Spielzeit den ZAUBERER VON OZ endlich so zeigen können, wie er gedacht ist: live und in Farbe – und mit vielen aufgeregten Kindern im vollbesetzten Saal des Schauspielhauses!
An den Feiertagen kann man damit zumindest virtuell Dorothy, die Vogelscheuche, den Blechmann und den Löwen in die Smaragdenstadt begleiten. Die abenteuerliche Reise der vier Freunde in dieser unglaublichen Welt ist eine große Geschichte über innere Stärke, den Glauben an sich selbst und die unbändige Kraft der Freundschaft.
Der Stream wird über die Webseite www.staatsschauspiel-dresden.de kostenfrei angeboten.
Am 14. Dezember 2020 fand die MONTAGSGALA DIGITAL des MONTAGSCAFÉS statt, in diesem Jahr per Livestream auf Facebook. Virtuelle Gäste waren u. a. Bernadette La Hengst, DOTA, Kriwi und 123comics. Moderiert wurde der Abend von Schauspieler Philipp Lux und Wanja Saatkamp, der Leiterin des Montagscafés. Wer den Livestream verpasst hat, kann sich das Video ab sofort auf Facebook oder YouTube anschauen. Im Rahmen der Gala wurde vom Förderverein Staatsschauspiel Dresden e. V. eine Spendenaktion für das MONTAGSCAFÉ initiiert, die auch weiterhin auf http://www.betterplace.org zu finden ist. Mit Hilfe von Spenden kann das Team des Montagscafé im ersten Quartal 2021 durchgängig weiterarbeiten.
MONTAGSCAFÉ@HOME heißt es wieder am Montag, 21. Dezember 2020 von 18.00 – 20.00 Uhr. Das Team des Montagscafés steht weiterhin als Ansprechpartner zur Verfügung. Angeboten wird u. a. die Möglichkeit, gemeinsam Deutsch zu üben, Hilfe bei Hausaufgaben und beim Briefeschreiben u.v.m. Wo? Auf https://meet.jit.si/montagscafe
„Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien trotz allem ein besinnliches Weihnachtsfest und erholsame Feiertage. Kommen Sie gut ins neue Jahr!“
Text: Gertrud Aringer
Leiterin Presse-und Öffentlichkeitsarbeit,
Staatsschauspiel Dresden
Theaterstraße 2, 01067 Dresden
Telefon +49 351 4913 755
Fax +49 351 4913 760
09 Mittwoch Dez 2020
Die Ich-Erzählerin ist verheiratete Mutter von vier Kindern und arbeitet zu Hause in der Speisekammer. Früher ist sie das jedenfalls gewesen. Die Schriftstellerin verbringt ihren Tag damit, Dingen auf den Grund zu gehen. „Ich habe beschlossen, alles zu erzählen“, verkündet Anke Stelling in ihrem Roman „Schäfchen im Trockenen“ (Verbrecher Verlag Berlin, 2018, 272 Seiten, 22 Euro) unumwunden. Im Buch erzählt sie es fiktiv ihrer Tochter Bea. Doch dem Leser wird schnell klar: Hier ist einiges passiert zwischen einstigen Schulfreunden aus dem Schwäbischen, die gemeinsam nach Berlin gezogen sind. Man kennt ja die Geschichten der reichen Westler, die den alteingesessenen Ostlern die Miete unbezahlbar machen und sie aus dem Prenzlauer Berg in der Stadtmitte vertreiben.
Im Roman wird die schwäbische Autorin mit ihrer Familie selbst zur Vertriebenen. Ein Freund kündigt ihren Mietvertrag. Sie hat die Regel verletzt, dass schmutzige Wäsche nicht in der Öffentlichkeit gewaschen wird. Doch diese Wäsche ist höchstens angegraut. Keiner hat einen ermordet, fremdgegangen ist auch niemand. Das Ganze spielt sich einige Ebenen tiefer ab: „Wer bist du, dass du deine Sicht über andere stellst?“
Lange weiß man nicht, worauf die zumeist in amüsantem Plauderton und auch selbstkritisch geschriebene Geschichte hinausläuft. Manchmal verliert sie sich in Banalitäten – die alltäglichen Sorgen einer kinderreichen Familie – dann wieder werden Gewissheiten und Bequemlichkeiten, wie wir sie alle kennen, sprachkritisch entlarvt. Man merkt schon, dass es Anke Stelling daran gelegen ist, allgemeine Floskeln und dahinter verborgene Haltungen auf dem literarischen Seziertisch auseinanderzunehmen. Doch wohin führt das?
Genau diese grundsätzliche Aufgabe eines guten Schreibers wird der Ich-Erzählerin zum Verhängnis. Dass sie alles „gnadenlos aufklären“ will, noch dazu öffentlich und offenkundig ohne Verfremdung, passt den handelnden Personen natürlich nicht. Es ist eine Stärke des Buches, dass dabei offenbleibt, ob das richtig ist oder nicht. Ob die Ich-Erzählerin ihrer Tochter Bea in dieser Direktheit ein gutes Vorbild ist. Oder nicht. Das muss jeder selbst für sich beantworten. Eine deutliche Schwäche des Buches ist es aber, dass nach Ansicht der Autorin materielle und Standesunterschiede Menschen eigentlich nicht trennen sollten. Anke Stelling selbst hat sie aber total verinnerlicht und reitet ständig darauf herum.
Die Ich-Autorin kann beim Leser auch auf Unverständnis stoßen, wenn der sich vorstellt, Teil des beschriebenen Freundeskreises zu sein. Vielleicht bildet sie sich zu viel ein, was gar nicht stimmt. Vielleicht ist sie nur neidisch. Was steckt dahinter, wenn sie gesagt bekommt, sie soll sich nicht so anstellen?‘
„Schäfchen im Trocknen“ ist kein handlungsreicher Roman. Es ist ein Buch der selbsternannten „Königin des Verstehens“, die dem „Ausweich- und Abwehrverständnis“ für das (unschöne) Handeln von sich selbst und anderen „gerechten Zorn und schneidende Erkenntnis“ entgegensetzt. Sie bezahlt es damit, dass ihre Familie in den Berliner Außenbezirk Ahrensfelde ziehen muss. Dorthin, wo kein Schwabe, der was auf sich hält, wohnen würde…