Holunderzeit
Vor grauschwerer Wolkenherde
wachsen holla
tausende Blütensterne in die Höhe
einige pflückte schon der Wind
mit heftiger Gebärde
verstreut die Lichtschimmer
auf steinigem Boden und weicher Erde
ziehen die Blütenpracht und der magische Duft
winzige Flatterwesen und Glückskäfer an
die Unterschlupf finden oder versonnen vom Zauber
diesen kosten wollen
der sich weithin holunder sonnenwärts
kaum greifen lässt
die schönsten Früchte hängen immer oben
da reicht keine Leiter hin
doch dem Traum sich nähern
heran wagen über sich
hinaus wachsen
treibt an
den Gang hinter das Geländer
der Uferböschung steil abwärts
ein paar Blütendolden angeln
begleitet von einem dunklen Augenpaar
Neugier und Verlangen im Blick
sammle ich noch mehr
geb die schönsten Blüten her
und erklär wie daraus Gelee wird
dem Mädchen das mir zusieht
ihr Papa isst so gern Marmelade
LV
27.5.2020
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Lichtblick
Letzte Nacht lag
ich wach und hörte dem Regen zu
er rann flüsterte streichelte
floss zu mir herüber
das Wasser stieg
und stieg
fast bis zu den Bäumen
in denen die Vögel sangen
am Morgen im Rausch
der Regensinfonie
stand ich in der Frische
am Fenster und sah dich
ein winziges Herzblumenleuchten
umwuchert von Gräsern
wogend im Wind
überstrahlt alles
Verlorene ich vermisse mich
schrieb einer im Netz
ich bin bei mir
doch habe mich
noch nicht gefunden
LV
23.5.2020
Haus der Liebe
Durchs Dachgebälk
leuchtet der Himmel
Fenster und Türen
starren ins Leere
im Haus der Liebe
keiner geht
ein und aus
die Außenhaut
verfallen begehren
wild umher wandernde
Träume Einlass
Nimmersatte Poeten
Herzriesen Zwerge und Vagabunden
fliegende Fische im herabtriefenden
Blumenwasser
ziehen ihre Kreise
in den Untiefen wuchernder Unkrautblüten
tauchen nach verborgenen Schätzen
an die Wand geschmiegt hält sich
Klimts Liebespaar
in einer letzten Umarmung
auf bröckligem Grund
hinter dem Baugerüst
LV
25.10.2012,
(angeregt von Wandgemälden an einem Abrisshaus an der Antonstr./Nähe Albertplatz.)
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Kind Sein
Sie hält kurz inne
vor dem Fenster schwirren
Kinderstimmen
sie hängt Wäsche auf
das Sonnenkleid
das sie einmal trug
ihre Finger sind klamm
sie wartet auf einen Anruf
ein Wort ein Zeichen
Warten auf Godot
wer ist das
Der Eine der nie kommen wird
weil es ihn nicht gibt
Sie tritt ans Fenster
die Kinderstimmen haben sich entfernt
Sie denkt an das Kind
das alle anlächelte
bevor es in den Wald ging
keiner es hörte
LV
14.6.2018
Herzblumenleuchten
Gerade noch verschlossen
in der Knospe
Flüstern innen
wie ein vergessener Brief
der heraus will
und nicht weiß an wen
trifft mich inniges Leuchten
unzähliger Herzblumen
lege mich zu ihnen ins hohe Gras
nah am Fluss dunkel von Gewitterwolken
und einsam krächzenden Raben
berührt vom zarten kecken wilden
und anmutigen Zittern Beben und Schweben
vor mir
der kleinen Blütensegel im Wind
hin und hergeworfen
öffnen sie ihre Blätter weiter
aus einer roten Blüte
schaut ein Wesen mit Krönchen
fast hätte ich es übersehen
bereit zum Herzsprung
nach langer Nacht
küsst du mich wach
aus erstarrten Träumen
LV
6.6.2020