Rhabarber
Intensivrote und zartgrüne
feste Stangen
wie Fernrohre der Blick
nach innen gerichtet
offenbaren nach dem Schälen
feinfaserig zerteilt und aufgelöst
in weiche Stücke beim Kochen
ihre eigenwillige Süße
die mich als Kind schon faszinierte
wenn ich meiner Großmutter in ihrer
geblümten Schürze zusah
wie aus den unscheinbar sperrigen Stielen
solch köstliches Kompott entstehen kann
in dem die Säfte der Natur
und feine Fäden verschmelzen
zu einem rosa fruchtigen Brei
betörender Duft kitzelt die Nase
die Aromen tanzen auf der Zunge
wie es Worte nicht vermögen
in ihrer unwiderstehlichen Mischung
aus herb sauer und frühlingssüß
auf ofenwarmem Teig
zur Feier des Lebens
LV
16.5.2020
geschrieben vor dem Backen und vor der Premiere meiner ersten Gedicht-Lesung „Vom Zauber endloser Anfänge“ im KlangLabor Dresden
Fotos (lv)
Lichtblick
Letzte Nacht lag
ich wach und hörte dem Regen zu
er rann flüsterte streichelte
floss zu mir herüber
das Wasser stieg
und stieg
fast bis zu den Bäumen
in denen die Vögel sangen
am Morgen im Rausch
der Regensinfonie
stand ich in der Frische
am Fenster und sah dich
ein winziges Herzblumenleuchten
umwuchert von Gräsern
wogend im Wind
überstrahlte alles
Verlorene ich vermisse mich
schrieb einer im Netz
ich bin bei mir
doch habe mich
noch nicht gefunden
LV
23.5.2020