Träume kennen keine Grenzen. Nah dran an den turbulenten Ereignissen wie die Fotografin im Buch erzählt Katharina Fuchs in ihrem Roman „Lebenssekunden“ zwei bewegende Lebensgeschichten von Frauen aus der Zeit des Mauerbaus. Foto: Jürgen Bauer

Momente des Glücks und die Welt draußen

Bestsellerautorin Katharina Fuchs erzählt in ihrem neuen Buch „Lebenssekunden“ über zwei starke Frauen aus Ost und West. Der zeithistorische Roman erschien Anfang März in der Verlagsgruppe Droemer Knaur in München.

Die Geschichte der ersten deutschen Fotojournalistin und einer Leistungsturnerin aus der DDR. Um zwei starke Frauenfiguren und ihre Lebensträume geht es im Roman „Lebenssekunden“ von Katharina Fuchs (Droemer, 416 S., 20 Euro). Es sind Sekunden, die das Leben der jungen Leistungsturnerin Christine Magold für immer verändern werden. Sie wohnt in Ostberlin. Ihr Freund Thomas in einem möblierten Zimmer im Wedding und studiert Betriebswirtschaft an der Freien Universität in Westberlin. Ihr sehnlichster Wunsch, zusammen mit Thomas bei den Olympischen Spielen in Rom anzutreten, erfüllt sich nicht. Der Deutsche Turn- und Sportbund DTSB hatte 1961 kurzfristig und ohne offizielle Begründung entschieden, keine weibliche deutsche Kunstturn-Mannschaft zur Olympiade zu entsenden.

Wann würde aus irgendwann jetzt? Fragt Christine sich immer wieder mit Blick auf ihr Leben, die Strapazen des Leistungssports und das ersehnte Zusammensein mit Thomas, der auf der anderen Seite der Sektorengrenze für sie unerreichbar lebt,  manchmal auf der anderen Straßenseite vor ihrem Haus mit einer Blume steht und ihr in seinen Briefen seine Liebe beteuert.

Angelika Stein hatte sich als erste deutsche Fotojournalistin einen Namen gemacht. Sie hat viel in ihrem Leben erreicht, führt eine glückliche Ehe, aber es gab einen schwarzen Fleck in ihrem Lebenslauf und zwei tiefe Schrammen in ihrer Seele, erfährt man über sie. Sie wohnt in Charlottenburg mit ihrem Mann Rudi, der als Leiter der Haushaltswarenabteilung bei Hertie arbeitet und ihr vor eineinhalb Jahren aus Kassel nach Berlin mit seinem aufregenden Nachtleben gefolgt war.

Beim Bau der Berliner Mauer 1961 treffen die beiden jungen Frauen unter dramatischen Umständen aufeinander. Wie sie dieses Ereignis dies- und jenseits der Mauer erleben, wie sie aufwachsen, von ihrem Ehrgeiz, Talent, Mut, Erfolgen, Enttäuschungen und Hoffnungen erzählt der Roman „Lebenssekunden“ packend, lebendig und mitfühlend mit viel Zeitkolorit und detailfreudig. Angelika und Christine erzählen im Wechsel über ihre Kindheit und Jugendzeit in der Zeit vor und nach dem Mauerbau, im Westen und Osten, und der Leser erhält die Gelegenheit, intensiv in eine aufregende, turbulente wie schicksalsreiche Zeit deutscher Geschichte einzutauchen in Katharina Fuchs` Roman. Manchmal trägt dieser etwas dick auf wie in den reißerisch geschilderten Szenen mit spektakulären Fluchten und Fenstersprüngen mittels Bettlaken in den Westen, in die Freiheit, die Vopos, Volkspolizisten ihnen dicht auf den Fersen.

Die Stärke des Romans ist die Gratwanderung, wie Alltägliches, privates Glück und die Welt draußen beiden Protagonistinnen immer wieder in die Quere kommen und deren Schilderung der Geschehnisse aus den jeweils anderen Lebensumständen, Erfahrungen und Blickwinkeln heraus. Da wünscht sich die Fotojournalistin Angelika manchmal, sie könnte wegsehen, weghören, aber… Sie kann sich nicht einfach die Decke über den Kopf ziehen, wenn vor der Haustür die Lage eskaliert. Sie greift sich die Fototasche und fährt mit dem Moped nach Ostberlin und wird Augenzeugin der aufreibenden Ereignisse. Doch die Euphorie der Geflüchteten weicht bald der Angst vor einer ungewissen Zukunft im Westen.

Zu ihrem Roman „Lebenssekunden“ hat Katharina Fuchs Barbara Klemm inspiriert, eine der ersten Redaktionsfotografinnen der  Frankfurter Allgemeinen Zeitung, deren Bilder sie schon lange faszinierten und die sie 2016 bei einer Auktion ihrer berühmten „Bilder der Einheit“ in Frankfurt am Main persönlich kennenlernte. „Ihre Fotografien kreisen immer um Menschen und behandeln sie mit Respekt und Mitgefühl, werben beim Betrachter um Verständnis und Anteilnahme“, gefällt ihr an deren Arbeiten. „Und dann gab es in der Auktion noch diese eine Fotografie einer blutjungen Kunstturnerin, einem Kind, das weit oben in einer leeren, maroden Halle an Ringen hängt, über einer Grube voller Schaumstoffschnitzel – aufgenommen in der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig. Ein Bild, das die monströse Menschenverachtung, Härte und Einsamkeit des Leistungssportsystems in der DDR in sich trug.“ Katharina Fuchs, geboren 1963 in Wiesbaden, verbrachte ihre Kindheit am Genfer See. Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften in Frankfurt am Main und in Paris wurde sie Rechtsanwältin und Justiziarin in einem Unternehmen. Sie lebt mit ihrer Familie im Taunus. Ihre Romane „Zwei Handvoll Leben“ und „Neuleben“ basieren auf ihrer eigenen Familiengeschichte.

Text (lv)

http://www.droemer-knaur.de

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