Über Ostern war ich endlich mal wieder weg. Raus aus dem Großstadttrubel aufs Land. Ich wollte endlich einmal die Osterreiter sehen und sah dabei auch die Landschaft meiner Kindheit in der Oberlausitz wieder. Es lebt keiner mehr dort aus unserer engeren Familie. Mit dem Zug reiste ich zurück in eine andere Zeit, mit jeder Bahnstation rückte sie näher, tauchten Bilder und Erinnerungen auf, pochte das Herz schneller.
Was ich unterwegs erlebte während dieser kleinen Auszeit, was mir am Landleben gefällt, warum es allein auch nicht das Gelbe vom Ei ist und was ich von hier für meinen Alltag in der Großstadt mitnahm, lest Ihr hier.
Die Namen der Orte sind unverändert, die Bahnstrecke ist ausgebaut, es sieht aus wie überall. Ich vermisse die alten Backsteinbahnhöfe, die Kioske mit Zeitungen und Krimskrams und Gaststätten, wo sich Reisende und Einheimische trafen, es immer nach Zigarettenrauch, Essen und Bier roch. Wo wir als Kinder scheu vorbeiliefen, aber doch auch neugierig hinein lugten.
Der Zug nach Kamenz hält nicht mehr in Arnsdorf zum Umsteigen, wir machten gern Witze, wer gleich dort bleiben könnte. Auf dem Bahnsteig standen manchmal ein paar Verrückte aus der nahegelegenen Anstalt, die Ausgang hatten, vor sich hin erzählten, umher liefen und den Zügen nachwinkten. Sie wirkten immer irgendwie traurig und verloren. Ob dort heute noch welche stehen weiß ich nicht. Das Leben ist inzwischen so bunt und verrückt, dass kaum mehr auffällt, wer es tatsächlich ist. Der Zug ist fast leer an diesem Ostersonntag gegen Mittag. Ein kleiner Junge macht als er mich sieht Faxen, versteckt und zeigt sich auf seiner Sitzbank und ich denke an die Zeit als es noch keine Computerspiele, kein Internet und nicht mal Telefon zu Hause gab. Als man sich spontan verabredete auf der Straße, von der Telefonzelle aus zuhause oder Freunde anrief, dass man vorbei kommt oder Zettelchen an der Wohnungstür hinterließ. Das Haus meiner Kindheit, wo meine Oma wohnte mit dem großen Hof mit vielen Winkeln zum Spielen und Verstecken, gibt es nicht mehr. Die ganze Häuserzeile wurde abgerissen, dort ist jetzt ein Parkplatz. Leer und öde wirkt die Fläche.
Ich fühle mich fremd in meiner Heimatstadt. Vertraut sind mir nur die Landschaft und die noch erhaltenen Gebäude von einst rund um den Marktplatz. Meine Jugendfreundin Kathrin holt mich ab vom Bahnhof, wir fahren mit dem Auto über die Dörfer und sehen die Osterreiter in Crostwitz, die gerade eintreffen. Sie reiten um den Friedhof und die Kirche und dann die Dorfstraße hinunter in den Ort, wo die Bewohner, Freunde und Familienangehörige sie schon erwarten, einige grüßen die Osterreiter auf sorbisch. Die Reiterprozession ist feierlich, altehrwürdig, ihr dunkler Aufzug wird aufgelockert durch die farbenfroh mit Blüten und Bändern, schönen Halftern und Schleifen geschmückten Pferde. Zwischendurch halten sie inne und singen hingebungsvoll alte Kirchenlieder. Dann ziehen sie weiter. Und hinterlassen Freude und lächelnde Gesichter.
Wir fahren weiter, begleitet von Sonne und Regen im Wechsel, zu Kathrins Eltern, die auf dem Lande leben. Es werden Ostereier versteckt auf dem Hof für jeden. Ich schaue vom Küchenfenster aus Hühnern und einem Hahn in der Abendsonne in Nachbars Garten zu, die zwischen den blühenden Obstbäumen spazieren und schon bald in ihrem Holzhäuschen mit dem langen Gang verschwunden sind. Die anderen spielen Rommée in der Stube. Während sie das Abendbrot vorbereitet, erzählt Kathrins Mutter, dass es im Ort keine Kirche gibt, auch keine Geschäfte oder Gaststätte. Zum Einkaufen und anderen Anlässen muss man mit Auto oder Bus ein ganzes Stück fahren in den nächst größeren Ort. Einfach mal schnell an der Ecke in den Laden oder zurück laufen, wenn noch etwas fehlt, geht hier nicht.
Der Vater füttert einstweilen die Kaninchen in den selbst gezimmerten Stallgehegen, füllt Gras, Heu und Wasser auf. Früher hatten sie auch ein Schwein und noch mehr Hühner, erzählt er. Die Kaninchen haben keine Namen, sie werden als Nutztiere gehalten und je nach Bedarf auch verzehrt. Bei unserer Oma gab es sonntags manchmal auch Kaninchen. Doch die sahen wir nicht lebend. Wenn ich diesen hier in die Augen schaue, könnte ich sie nicht mehr essen. Vielleicht wenn ich keine andere Wahl hätte.
Als ich die Kaninchen anfassen und streicheln will, ziehen sie sich scheu in eine Ecke zurück. Sie mümmeln friedlich vor sich hin und wissen nicht was auf sie zukommt. Wir Menschen ja auch nicht. Im Unterschied zu den Tieren machen wir uns aber immerzu Gedanken darum, was ist und sein könnte, was fehlt und was wir uns wünschen. Betrachte ich sie aber nur in diesem Moment, sehen sie einfach nur zufrieden und glücklich aus.
Auf dem Land vergeht die Zeit anders, sie dehnt sich mit der Weite der Felder und des Himmels. Plötzlich hab ich alle Zeit der Welt, während ein Tag in der Stadt oft schnell um ist, angefüllt mit Erledigungen und dem Gefühl, nie alles zu schaffen.
Letzten Sonntag vor Ostern erst sind Kathrin und ich uns in Dresden zufällig über den Weg gelaufen. Wir stammen nicht nur aus der gleichen Gegend und kennen uns schon lange, sondern sind beide seit vielen Jahren auch Journalistinnen mit Leib und Seele. Sie als Redakteurin bei der SZ in Großenhain, ich freiberuflich für verschiedene Redaktionen. Sie hatte sich die Ausstellung „Macht und Mode“ im Residenzschloss angesehen und wollte gerade zum Bahnhof, ich schnell in den Supermarkt und dann zu einer Theaterpremiere. Es blieb nur Zeit für ein kurzes Hallo. Weg waren wir.
In der Stadt ist viel Abwechslung und Ablenkung, auf dem Land, in der Natur finde ich die ersehnte Ruhe und Klarheit, wird der Blick fürs Wesentliche wieder gestärkt. Nur noch das zu tun, was einem gut tut und wirklich Freude bereitet. Das ist bei mir nun mal hauptsächlich das Schreiben. Wird aber immer schwieriger davon zu leben angesichts der derzeitigen Umbrüche und Einsparungen in der Medienlandschaft. Daher hab ich seit über einem Jahr meinen wortgarten-Blog eingerichtet, um etwas Eigenes aufzubauen. Mit erfreulich wachsender Leserschar und fast 17 000 Aufrufen jetzt schon. Aber leider noch keinen Einnahmen. Ich hab mal überlegt, wenn jeder Leser für seinen Lieblingstext im wortgarten nur einen symbolischen Euro (darf gern auch mehr sein) überweist auf das Blog-Spendenkonto, das am Seitenrand steht neben den täglich neuen Beiträgen, wäre mir schon sehr geholfen. Da geht doch was oder?
Ich werde auch weiter fleißig wortgärtnern mit immer neuen besonderen Kulturgewächsen.
Ich übe mich ebenso darin, mich an einfachen Dingen zu erfreuen, räume gerade innen und außen gründlich auf, will mir Wohlfühlinseln im Alltag einrichten. Die in Kathrins Garten überall zu finden sind. Wie das kleine Tonkamel mit Laterne vor der urigen Laube, filigrane Vogelwesen im Gras, knorrige Baumfiguren und der kleine Teich mit den sich aalenden Zipfelmützen. Wir haben außerdem Rehe im Stadtpark in Großenhain gesehen und ein Storch flog vor unseren Augen vorbei. Hier auf dem Land gibt es noch viele freie Gärten, sagt Kathrin, während sie in der Stadt rar sind. Doch die Jobs und das Kulturangebot sind eben dort und am liebsten würde man alles nebeneinander haben. Doch alles ist nie beisammen. Leider.
Dafür kann man kann sich hin und wieder Auszeiten gönnen und auch in der Stadt nach Orten Ausschau halten, wo man beides verbinden kann. Grüne Oasen mit Möglichkeiten zum Kreativsein, Selber gestalten und Genießen wie urbane Gartenprojekte oder den internationalen Golgi Park hinter dem Festspielhaus Hellerau. Dort war ich noch nie.
Diesen Donnerstag abend (20.4., 20 Uhr, Frauenkirche, Eintritt frei) wollen ich und Kathrin zusammen zur Lesung mit Hans-Joachim Maaz aus seinem neuen Buch „Das falsche Leben: Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft“. Es geht darum, was uns daran hindert das Leben zu führen, das wir wollen und uns erfüllt.
Text + Fotos (lv)
Herzlichen Dank an Kathrin Krüger-Mlaouhia und ihre Familie für die schöne Zeit.






Im Garten von Kathrin
















Im Stadtpark Großenhain










Balkon als Bühne: Kathrins Sohn Danny (14) zaubert (auch auf Youtube unter dem Namen Creepy hd) und spielt gern Theater. Er spielt den Bösewicht Balor im Märchenstück „Arkadien“ der Spielbühne Großenhain im Alberttreff und in der Inszenierung „In Gottes eigenem Land“ an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul an der Seite von Gojko Mitic einen Häuptling der Sasqueaner und einen Bewohner eines Indianerdorfes. Die Premiere ist dort am 29.4. und die Matinee zur Aufführung am 23.4. um 15 Uhr.




Zeit zum Genießen bei Kathrin auf dem Land: Lilli Vostry von meinwortgarten.com


Wieder zu Hause

