
Bewegung miteinander, um andere zu bewegen: Darsteller mit und ohne Behinderung in farbigen Sachen, die viel von ihren Träumen und Sehnsüchten widerspiegeln, agieren gemeinsam in der Aufführung „Hautnah Entfernt“ im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden. Foto: Sebastian Hoppe
Berührende Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz
Wie wir anderen begegnen und miteinander umgehen, davon erzählt eindrucksvoll mittels Körpersprache, Blicken, Gesten, Musik und Tanz die Aufführung „Hautnah Entfernt“ – eine Bewegungsrecherche von Menschen mit und ohne Behinderung auf der Bürgerbühne in Kooperation mit dem „farbwerk“ e.V. im Kleinen Haus in Dresden.
Menschen sitzen in einem Bahnabteil. Der Blick starr geradeaus, die Hände greifen mechanisch nach unten, in monotonen Handgriffen. Sie werden hin und her geschüttelt beim Fahren, ab und zu stoßen ihre Körper zufällig aneinander. Dann schauen sie erschreckt oder erstaunt auf. Hoppla, da ist ja noch jemand! Wie wir anderen begegnen und miteinander umgehen, davon erzählt die Aufführung „Hautnah Entfernt“ – eine Bewegungsrecherche von Menschen mit und ohne Behinderung unter Regie von Helena Fernandino. Die Uraufführung dieser Produktion der „Bürger: Bühne“ in Koproduktion mit dem Verein „farbwerk“ e.V. war am vergangenen Sonnabend im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden. Der Theaterraum unter dem Dach mit steilen Treppen hinauf ist leider nicht barrierefrei zugänglich. Das ist schade gerade bei diesem Thema der Aufführung!
Die Akteure sind zwischen 20 und 75 Jahre alt. Manche von ihnen arbeiten in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Außerhalb der gemeinsamen Proben wären viele von ihnen sich wahrscheinlich nie begegnet. Zusammen mit der Choreografin und Tänzerin Helena Fernandino hat die Gruppe zum Thema Berührung geforscht. Die zwölf Darstellerinnen und Darsteller tragen farbige Sachen, in denen schon etwas von ihrem Wesen, ihren Sehnsüchten und Stärken aufleuchtet und gesehen werden möchte. Sie erkunden mittels Bewegung,Tanz und Körpersprache, begleitet von vielfältig pulsierenden Klängen von Frieder Zimmermann, in eindrucksvollen Szenen von sensibel, spannend, nachdenklich, traurig bis skurril komisch und übermütig schwungvoll, warum es uns zu jemand hinzieht oder nicht, was das Näherkommen ermöglicht oder behindert. Wie es bereits im paradoxen Titel „Hautnah Entfernt“ anklingt, begeben sich die Darsteller dabei auf eine Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz, das immer erneute Ausbalancieren von aufeinander Zugehen, Einlassen, Zulassen und Fühlen. Es geht auch um Vorbehalte und Berührungsängste vor dem Anderssein, Fremden, Ungewohnten. Um Berührungen, die guttun oder Grenzen überschreiten.
Die Spielfläche mit zwei Bahnabteilen ist in der Mitte geteilt duch ein Geländer mit Haltegriff und Öffnung, durch die einzelne Darsteller auch auf die andere Seite gehen, sich nebeneinander setzen, gleichgültig oder neugierig betrachtend oder den anderen von sich weg schiebend, die tun es nach, reihum rutschen sie die Sitzbank herunter. Die Sitzabteile bewegen sich auseinander und wieder zusammen mit den Spielern, werden angeschoben von außen von den Mitspielern und drehen sich wie im Karussell auf dem Rummelplatz mit wechselnder Berg- und Talfahrt. Manchmal leuchten die Glühlämpchen über den Sitzabteilen, wenn zwei sich näherkommen, an den Händen halten und gemeinsam bewegen.
Am stärksten sind die Momente, wo das Alleinsein und die Suche nach Nähe buchstäblich greifbar werden. Wenn ein junger Mann in sonnengelben Sachen allein, isoliert im Abteil hinter dem Geländer steht, eine Hand hinaus streckt und vorsichtig außen entlang geht. Eine Frau und ein Mann, sie hochgewachsen und selbstbewusst in leuchtend orangenen Sachen, er schmal und scheu in türkisem Trikot, sehen sich aufmerksam an, tasten an einer Wand entlang, ihre Rücken berühren sich kurz und nah aneinander gehen sie vorbei. Oder wenn aus einer zunächst abwehrenden Geste, einem schüchternen, unsicheren Gang plötzlich ein Hinschauen und Erwidern der aufmunternden Hand auf der Schulter wird, sanft streichelnd im Gesicht des Gegenüber. Sehr berührend! Schön zu sehen auch, wie die Kreise und Bewegungen der Darsteller immer weiter und fließender werden in ihrem eigenen Rhythmus voll ansteckender Lebensfreude. Reichlich Beifall gab es für diese ungewöhnliche alle Sinne bewegende Theateraufführung.
Text (lv)
http://www.staatsschauspiel-dresden.de
Nächste Termine:
25.10., 20 Uhr und 26.10., 19.30 Uhr, Kleines Haus3, Glacisstraße 28 in Dresden

Berg- und Talfahrt der Gefühle zwischen Einsamkeit und Nähe: Eine Szene aus „Hautnah Entfernt“ mit Maria Will und Onyx Pertsch. Foto: Sebastian Hoppe














































































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