Vom Spirit der Ahnen bis zu Graffitis und Comics

Indigene Kunst zwischen Tradition und Moderne zeigt die neu eröffnete „Turtle Island Galerie“ in der Villa „Nscho-Tschi im Karl-May-Museum Radebeul, Karl-May-Straße 5.

Ein Büffelkopf in kräftigen Farben entführt in die Weiten der Prärie auf dem Titelbild der Ausstellung. Schönheit, Stolz, Würde, Kraft und Leid strahlt das Tier aus, das den indianischen Ureinwohnern am nächsten ist, gejagt, getötet, beschützt und verehrt. „Tasiwoo“ heißt das Bild von J. Nicole Hatfield, das zusammen mit zeitgenössischen Werken weiterer nordamerikanischer indigener Künstlerinnen und Künstler in der neu eröffneten „Turtle Island Gallery“ derzeit im Karl-May-Museum Radebeul zu sehen ist.

Sie befindet sich in der Villa „Nscho-Tschi“, einem Holzhaus im hinteren Teil des einstigen Gartens von Karl May. Dort können die Besucher auf den Spuren des großen Fantasten und Abenteuerschriftstellers wandeln, am Teich mit einer großen, geflügelten Figur vorbei und an Hochbeeten mit indianischen Heilpflanzen. Ein Holzspielplatz mit Klettergeräten und Totempfahl lädt Kinder zum Erkunden ein. Auf der Veranda aus Baumstämmen steht eine hölzerne Skulptur, ein Kanu mit einem indianischen Liebespaar, geschnitzt von Jochem Knie. Urwüchsig gestaltet, zeigt es jedoch auch einen romantisch verklärten Blick auf indianisches Leben. Im Holzhaus kann man nun in den wechselnden Sonderausstellungen der „Turtle Island Gallery“ eintauchen in die farbreiche Welt indigener Kunst zwischen Tradition und Moderne. Mythen und Wirklichkeit der Nachfahren indianischer Ureinwohner in Nordamerika zeigen die Werke der Künstler facettenreich und setzen sich damit subjektiv auseinander in ihrer Malerei, Grafik, Fotografie, holzgeschnitzten Figuren und bemalten Keramikobjekten bis zu Graffiti und Comics. Die Arbeiten stammen aus der Sammlung von Martin Schulz, einige befinden sich im Besitz der Karl-May-Stiftung. Den Werken beigefügt sind kurz Texte zu den Künstlern.

Das farbenfrohe Graffiti-Bild „Turtle Island“ von Quentin Commanda bricht Klischees über Indianer auf mit dem goldfarbenen Schriftzug „Legend!“, hoch über der Landschaft schwebenden, zeichenhaft abstrahierten, schwarz-weißen und farbigen Figuren mit Federn als Symbol für die Vielfalt der Kulturen auf dem heutigen „Turtle Island“. Neben dem Büffelbild sind von J. Nicole Hatfield leuchtend farbige Porträts zu sehen, darunter ein Häuptling der „Puha-Commanchen“, ein idealer, edler indianischer Krieger aus dem Kinofilm „Der mit dem Wolf tanzt“, eine markante Indianerin und ein Bildnis der mexikanischen Malerin Frida Kahlo, ein Auftragswerk von Sammler Schulz. Unter den Bildern hängen weiße und braune Büffelfelle. Ein Stück weiter hockt ein Rabe mit aufgespannten Flügeln aus hellem Zedernholz, vergnügt auf einem Auge blinzelnd, auf einem Kästchen, aus dem menschliche Gesichter schauen. Den ältesten Schöpfungsmythos der indigenen Kulturen der amerikanischen Nordwestküste hat der Künstler Doug Lafortune dargestellt. Aus dunklem Tom geformt ist ein Mann mit Büffelkappe und Fellmantel von Chippewa. Eine kleine erdfarbene Hochzeitsvase, bemalt mit Taube und Blumenranken, zeigt C. Tosa. An der Stirnseite des Raumes hängt ein großes, ausdruckstarkes, poetisch-spirituelles Bild voller Magie in zarten Pastellfarben von Dwayne Frost (1964-2013), der seit 2007 oft als Künstler und Tänzer bei den Karl-May-Festtagen in Radebeul war und beeindruckende Felsmalereien im Hohen Stein im Lößnitzgrund schuf. In diesem Bild spürt man eindrucksvoll den Spirit uralter indianischer Kultur, die Lebensweisheit und tiefe Verbundenheit mit der Natur und ihren Kräften.

Eine indianische Frau sitzt auf einer Waldlichtung bei Vollmond und beschwört die Natur und Geister der Ahnen. In ihrem Rücken ein Bild wie eine Erinnerung, eine junge und eine alte Frau sitzen sich meditierend gegenüber, in ihrer Mitte ein Wolf als Krafttier. Die weise Frau hält einen Spiegel, aus dem Sterne in die Welt fliegen. Am unteren Bildrand schauen aus der Erde und entlang der Wege weiße Gesichter, die Ahnengeister. Verbunden mit den Lebenden durch Wurzelgeflecht, das nach oben und unten in die Erde führt. Digitaldrucke mit Fantasybildern, die alte indigene Legenden vor allem der jungen Generation vermitteln wollen, mit grünen Naturgeistern und der dunklen Figur Darth Vader zeigt Andy Everson. Ein Farbdruck von Steven Paul Judd mit einer Indianerfamilie als Comicfiguren nimmt Stereotypen humorvoll auf die Schippe. Zu sehen ist auch die Umweltaktivistin Greta Thunberg in indianischem Kleid in einer Fotografie, die 2019 entstand bei ihrem Besuch in der Reservation in Nordh Dakota und Protesten der Indigenen gegen den Bau einer Pipeline durch das Gebiet. Das Foto „Standing For Us All“ von Balkowitsch ging um die Welt und wurde millionenfach im Internet gesehen und geteilt. Die derzeitige Sonderausstellung in der „Turtle Islands Gallery“ ist noch bis Frühjahr 2024 zu sehen. Dann werden neue Bilder von indigenen Künstlern aus der Sammlung des Karl-May-Museums gezeigt.

Text + Fotos (lv)

http://www.karl-may-museum.de

Öffnungszeiten der Sonderausstellung:

Dienstag–Sonntag: 10:00–18:00 Uhr
montags geschlossen (außer feiertags)