Im Rausch der Walpurgisnacht: Befeuert von Mephisto und den Geistern der Nacht mit der Aussicht auf Liebe, verfällt der wissbegierige Faust immer mehr der Vergnügungssucht. Fotos (2): Hans-Ludwig Böhme

Ein teuflisches Vergnügen

Von Glaube, Liebe, Hoffnung und der Flüchtigkeit und Zerbrechlichkeit des Glücks erzählt in starken Bildern voller Farbkontraste, Gegensätze und Ironie die Inszenierung „Faust I“ von Johann Wolfgang von Goethe in den Landesbühnen Sachsen in Radebeul.

Das Titelplakat zur Aufführung zeigt eine geballte Faust. Es werden auch viele Kämpfe ausgefochten, sobald zwei aufeinander treffen, im Kleinen wie im Großen. Und auch Faust, der Gelehrte, Magier und Alchemist, ringt ständig mit sich, den hellen und dunklen Kräften in sich und der Außenwelt. Es geht um Wissendrang und seine Grenzen, Größenwahn, Allmachtsfantasien, Glaube, Liebe, Hoffnung und die Flüchtigkeit und Zerbrechlichkeit des Glücks und Lebens. Davon erzählt „Faust – Der Tragödie erster Teil“ von Johann Wolfgang von Goethe. Das wunderbare, zeitlose Schauspiel, der Stoff und die Figur, begleiteten ihn bis ans Lebensende, alterten und reiften mit dem Dichter. Beide Teile des „Faust“ wurden 1832, kurz vor seinem Tod, 60 Jahre nach den ersten Zeilen fertig. Passend zur Frühlingszeit, der Zeit des Neubeginns in der Natur und Neuerwachens der Lebensgeister, war die Premiere von „Faust I“  am Sonnabend in den Landesbühnen Sachsen in Radebeul. Dies ist zugleich die Abschlussinszenierung von Oberspielleiter Peter Kube, der in den Ruhestand geht. Zu erleben war intensives, eindringliches Theaterspiel in prägnanten Bildern, die Geist und Fantasie Raum lassen und auch Humor und Ironie kommen nicht zu kurz. Auffallend in der Ausstattung sind vor allem die starken Farbkontraste, es dominieren Rot und Schwarz (Bühne und Kostüm: Barbara Blaschke).

„Die Posten sind, die Bretter aufgeschlagen und jedermann erwartet sich ein Fest…“, tönt es erwartungsfroh von der Bühne. Von wegen! Eine bunte Figurenschar drängt sich um den Theaterdirektor (Alexander Wulke), sein Frack mit Orden dekoriert, der amüsiert zusieht, wie die Menge wild durcheinander einredet auf den Dichter in altertümlicher Tracht (Moritz Gabriel), was er alles berücksichtigen soll, bis er geschafft am Boden liegt. Er will das Schöne, Gute, Wahre zur Gehör bringen. Doch die Menge dürstet vor allem nach Unterhaltung. Der Theaterdirektor hängt ihm einen goldenen Lorbeerkranz um. „Der Worte sind genug gewechselt, nun lasst uns Taten sehen…“

Die Drehbühne zeigt abwechselnd ein schwarzes, leeres Bücherregal, Fausts Studierstube, und auf der anderen Seite eine weiße Wand und eine Treppe, auf der die Darsteller das pralle Leben zeigen und Himmel und Hölle in Bewegung setzen. Fast alle spielen mehrere Rollen, Menschen, Engel und Teufel, Hexe oder lustige Person. Ihre Kostüme sind mal fantasievoll schillernd, mal heutig in schnellem Szenenwechsel. Da packt Gott in weißem Anzug, Goldkette mit Kreuz und Bart (Grian Duesberg) Mephisto (schalkhaft-listig: Matthias Avemarg), der einen dunklen Anzug und eine verwegene rote Feder an der schwarzen Kappe trägt, am Kragen und schickt ihn auf die Erde, um Faust eine Lektion zu erteilen und ihn zu bekehren. Denn „es irrt der Mensch, solang er strebt.“ Eigentlich mag Gott Mephisto. Von allen Geistern, die verneinen, ist ihm der Schalk am wenigsten zur Last. Im Spagat steht er auf der Treppe nach diesem Bekenntnis und wird vom Dichter auf den Schultern hinausgetragen.

Faust ist in Kubes Inszenierung kein Greis, der die berühmten Verse sagt: „Da steh ich nun, ich armer Tor/und bin so klug als wie zuvor“, sondern ein junger Mann um die 30, in schwarzem Hemd und Hose (wissbegierig und voller Selbstzweifel: Felix Lydike), unzufrieden mit sich selbst. Er hat alles Mögliche studiert und dennoch das Gefühl, nichts zu wissen und zu nichts nütze zu sein. Er kommt sich vor wie ein Wurm und fühlt sich doch zu Höherem berufen, will wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Faust schlägt ein Buch auf, beschwört Geister und verfällt immer mehr der schwarzen Magie. Das Spiel wird begleitet von zwei Musikern (Hendrik Gläßer, Stefan Köcher) an Marimbaphon und Vibraphon, die Klänge sind sphärisch, hell, leicht und geheimnisvoll. Die Bühne ist mit Neonröhren behängt, die abwechselnd grell weiß, gelb, rot glühend oder nachtblau leuchten.

Zuerst erscheint Faust eine wunderliche Gestalt in weißer Hülle auf Rädern, der Erdgeist (Julia Vincze) wie in einen Kokon eingesponnen. Sie lacht ihn aus, sei zu groß für ihn. „Du gleichst dem Geist, den du begreifst!“ Faust geht enttäuscht raus ins Freie zusammen mit dem Studiosus Wagner (Moritz Gabriel), oben von der Treppe aus betrachten sie das Volksgetümmel, hören die Glocken und feierliche Männerchöre. Faust sagt den berühmten Osterspaziergang auf und geht hinunter zu der Menge. Die Leute bestaunen und belächeln den weltfremden Gelehrten, sie tragen alle ähnliche, grell orangene und erdfarbene Sachen und Plastbecher. Auf der Wiese sitzen sie beim Picknick, grillen Würstchen, spielen Federball, eine Frau massiert ihrem Mann den Rücken. Zwei Nachbarn unterhalten sich, über die Welt draußen, in der die Menschen sich die Schädel spalten und zuhause bleibt alles beim Alten, sagt einer zum anderen.

Ein schwarzer Hund umkreist Faust und Wagner mit einen Feuerschweif. Als lustig knopfäugige Handpuppe nimmt Wagner ihn hoch. Hinter des Pudels Kern steckt Mephisto, der bald mit teuflischem Vergnügen Faust heimsucht. Er spricht rätselhaft, stellt sich vor als „ein Teil jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ Faust versteht nicht, Mephisto stehe doch ganz vor ihm?! Der Mensch hält sich für ganz, vollständig für gewöhnlich, antwortet der ihm spöttisch. Alles hat zwei Seiten. Das Böse tarnt sich gern. Beide, Faust und Mephisto, tragen schwarze Sachen. Manchmal sitzen sie Kopf an Kopf am Bühnenrand und sehen sich an, wie ein Spiegelbild des anderen. Mephisto tritt elegant in schwarzem Frack auf, das schwarze Haar gescheitelt. Den Namen Satan hört er nicht gern, wie ihn eine reizende Hexe (Maria Sommer) nennt, als er sie nimmt. Er sieht sich lieber als Genussmensch, Verführer, Wortführer. Matthias Avemarg zieht als Mephisto raffiniert alle Register, gibt sich mal cool, abgeklärt, schelmisch grinsend oder tobt bedrohlich umher, umhüllt von Rauch und Donner auf glutroter Bühne. Er macht sich lustig über Fausts Wissensdrang, Naivität und Ungeduld. Der zögert nicht lange, als er mit Mephisto die Wette abschließt, mit Blut unterzeichnet, der ihm zeigen will, was noch kein Mensch gesehen hat und das Leben erscheint ihm lang genug, alles auszukosten. Sobald er zum Augenblicke sagt: Verweile doch, du bist so schön!, will er sterben und Mephisto gehören.

Er zeigt Faust die kleine und die große Welt, sie feiern und trinken ausgiebig mit den Gästen im Leipziger Auerbachs Keller, bis sie kopfüber mit den Köpfen in den Weineimern verschwinden. Er befeuert seine Liebeslust in der Begegnung mit Gretchen (anmutig und sehnsuchtsvoll: Tammy Girke) und lockt sie mit einem Schmuckkästchen, das sie in ihrem harten Bettgestell findet. Sie trägt ein orangenes Kleid und Turnschuhe. Ihre Augen leuchten viel mehr als die Ohrringe, die sie anlegt, sich kokett dreht auf dem Bett stehend und weiß: „Am Golde hängt, zum Golde drängt doch alles…“ Ein Genuss für sich in Goethes „Faust“ sind all die geballt auftauchenden Sprüche und Lebensweisheiten, viele kennt man auswendig, an denen man sich freut oder reibt und die in immer neuem Licht erscheinen. Wie Gretchens Frage an Faust, bevor sie sich ihm hingibt: „Wie hast du`s mit der Religion?“ „Ich habe keinen Namen dafür. Alles ist Gefühl, Schall und Rauch. Alles ist Liebe, Gott“, antwortet er.

Nach der romantischen Liebesnacht das schmerzliche Erwachen und der Schatten von Mephisto immer nah bei ihnen. Erst feurig sinnlich, dann gruslig dramatisch die rauschhafte Walpurgisnacht, in der die Gestalten der Nacht in schwarzen Sachen und roten Luftschlangen wild ekstatisch tanzen zu hämmernden Trommelklängen. In der Bühnenmitte liegt Gretchen in weißem Kleid mit Blutfleck ihnen wehrlos ausgeliefert. Verführt und allein gelassen steht sie später, dem Wahnsinn nahe. Faust eilt zu ihr, sie lehnt sich an ihn, Liebe und Schutz suchend. Doch er weicht ihr aus. Sehr berührend ihre Verzweiflung, Schmerz und Trauer um das verlorene Kind und ihre Ohnmacht, allein als Frau und als „Sünderin“ verurteilt, bittet Gretchen die Göttin Nike, die Schmerzensreiche um Schutz. Die Trommelklänge prasseln wie Schläge auf sie nieder. Der Morgen dämmert herauf. Mephisto ruft Faust, mit ihm zu kommen. Hin und her gerissen zwischen seiner Liebe zu Gretchen und der Angst, mit ihr in den Abgrund gerissen zu werden, lässt er sie los. Sie sieht ins Licht, ergeben, doch sie kann nicht verstehen, dass er Mephisto folgt, der nach hinten im Zuschauersaal untertaucht, und sagt zum Abschied: „Heinrich, mir graut vor dir!“ Bevor das Licht ausgeht. Ein abruptes Ende. Und schwer zu begreifen, dass ein Liebender ins Dunkle flieht, dem unheilvollen Geist nach, doch Faust weiß keinen anderen Ausweg. Er tut es in der Hoffnung, dass er doch noch eines Tages zum Augenblick sagen kann: Verweile doch, du bist so schön! Begeisterter Beifall vom Publikum, insbesondere für die Darsteller von Faust, Mephisto und Gretchen und eine tolle Ensembleleistung. Eine Aufführung, die man nicht so schnell vergisst und viel Stoff zum Nachdenken bietet.

Text (lv)

Nächste Termine: 14.4., 20 Uhr und 16.4. 19 Uhr

http://www.landesbuehnen-sachsen.de


Von der Sehnsucht, den Augenblick festzuhalten: Faust (Felix Lydike) und Gretchen (Tammy Girke).