Hochwasser

Der Fluss tritt ans Ufer
zwei Jungen holen sich nasse Füße
ganz und gar freiwillig
der Kleinere planscht vergnügt
die Schuhe voll Wasser springt drin herum
als wäre es eine große Pfütze
die kleinen Hände greifen hinein
ziehen Geschling heraus kreisen
und werfen es zurück jauchzend
lächelt er mich an der kleine Wassermann
die gestreifte Hose schon schlammig
sein größerer Bruder holt sein Skateboard
rot mit türkisen Rädern und stellt sich
halb im Wasser darauf balanciert etwas
hält sich gerade freudestrahlend
eine junge Frau ihr blonder Zopf geflochten
in luftigen Sachen und ihr dunkelhaariger Begleiter
schauen vom Ufer aus zu

Es stört sie nicht im geringsten
dass ihre Kinder im Nassen stehen und spielen
sie scheinen ganz anderes gewohnt
sie spricht russisch mit ihnen
lächelt mich herzlich an
und bietet mir eine große Scheibe Honigmelone an
ich lehne dankend ab
sie lächelt immer noch
und fragt mich: Alles in Ordnung
ich halte ihr ein Bild mit meinen zwei Katzen hin
vor meinen Körper und in den Himmel
und sehe schweigend mit ihnen auf den Fluss

der breiter und weiter wird
manches heran anderes fortträgt
Sträucher Gräser und den Stein umspült
wie eine Insel auf dem ich gern sitze
auf dem jetzt eine Ente allein sitzt
auf die Strömung schaut auf das viele Wasser
und mit einem gellenden Ruf hinein steigt
und am Rand entlang schwimmt

Der größere Junge bringt mir zwei Täfelchen
Schokolade
ich nehme nur die kleine zwei wären zu viel
er will schon beide wieder mitnehmen
doch ich mag Schokolade esse das Täfelchen
gleich vor ihnen
er freut sich die Mutter lächelt
einen Moment schaukelt meine Traurigkeit davon
mit dem kleinen Baumstamm im Wasser
auf den der kleinere Junge im Davongehen zeigt
später schwingt sich ein Band aus vielen Farben
in den Abendhimmel

LV
5.6.2024

Blütenregen

Unfassbar viele winzige
weiße Blütensterne liegen
vor mir
versinke mit ihnen
in der Blütenfülle
lautlos fallen sie zur Erde
verstreut überall
im Gras auf Steinmauern Asphalt
ich sammle sie auf
in meinem Haar
auf dem Körper

Ich liege ihnen zu Füßen
kniee nieder vor ihrem himmlischen
Duft
würzig herb erdig
verführerisch nach Leben
jede einzelne
Holunderblüte

LV
18.5.2024

Herzblumen

Herzwund gerieben an Nachttiefen
kein Taglicht kein Wasser konnte
es stillen die Sternblumen am Flussufer
verdorrt Wildgänse und Tauben schwirren
umher der Stein drückt schwer eine Last
die nicht meine ist aus dunklen Erzählungen
aufsteigt ungestillte unerlöste Wunde
mit den Schatten fast übersehen
erst der Wind rüttelt dreht euch mir zu
hauchzarte Herzblumen auf wilder Wiese
wie ein lang vermisstes warmes
Leuchten in den Augen

LV
14.5.2024

Regen

Rinnt rauscht strömt
im Grünmeer vor dem Fenster
Langersehnte Frische
spült nicht weg
die Schatten in mir
der Regen fällt zu dir
in die Erde
und ich kann dich nicht
schützen nicht mehr
sie umhüllt dich
du liegst still da
und immer noch wach
bei mir Tag und Nacht
seh dich als du nicht
aus deiner Höhle
wolltest
und ich nicht einfach
zusehen konnte was wird
du wolltest bleiben

Ich musste dich losreißen
hast den Blumenkasten
samt Erde umgerissen im Wintergarten
schwarze frische Erde blieb liegen

gestern flog ein kleiner weißer Falter
vor mir her immer wieder bei den
Pflanzen vor dem Balkon
wo du gern saßest streichst weiter
um mich
die grauweiß getigerte legte eine grüne
Stoffmaus und einen Federball unters Sofa
als kämst du gleich wieder

LV
5.5.2024

Alle Texte: Lilli Vostry
Fotos folgen noch.