In eine düster romantische Welt voller Geister, Geheimnisse & Wunderbarem entführen mit Spiel, Gesang und sphärischen Klängen Tom Pauls und die Musiker des Freddie Ommitzsch Studio Ensemble in ihrem Gruselmärchenabend frei nach Grimm im Tom Pauls Theater Pirna. Foto: Siegfried Michael Wagner

Von der Sehnsucht, die Angst zu verlieren

Im romantischen Gruselabend frei nach Grimm wandern Tom Pauls und Ensemble zu düsterkomisch sphärischen Klängen durch die Gefilde des Geheimnisvollen und Magischen in seinem Theater in Pirna.

Es wird kein lustiger Abend, sagt Tom Pauls gleich zu Beginn seines neuen Programms. Schließlich kommen darin Geister, Irrlichter und Untote aller Art vor im Gruselmärchen „Von einem, der auszog das Fürchten zu lernen“ der Gebrüder Grimm, das mit Pauls und dem Freddie-Ommitzsch-Studio-Ensemble neu erzählt auf die Bühne kam am Mittwochabend im Tom Pauls Theater in Pirna. Vor vollen Rängen zogen der Komödiant und die anderen Darsteller alle Register mit Musik, Gesang und Spiel und ließen dabei nichts aus im Wechsel von Licht und Dunkel, schaurigen Gruseleffekten und romantischen Szenen mit bekannten Volks- und Wanderliedern.

Jedem gruselts vor etwas, dem einen vor seiner Frau oder vor der Regierung in Berlin, so Pauls. Dem anderen vor dem neblig trüben Novemberwetter. „Man sieht und hört nischd mehr!“ Während er aus dem Märchenbuch vorlas und erzählte, steckten seine Söhne Maximilian, Felix und Konstantin Pauls nacheinander, neugierig lauschend die Köpfe durch den roten Vorhang, denen er als sie noch klein waren auch oft Märchen vorlas. Pauls führte als Erzähler und in allen Rollen, mit ernster Miene und schelmisch ironischen Unterton, mal sachlicher, hoher und tiefer Stimme, erschrocken oder Schrecken einjagend, zögernd oder vorpreschend, raunend, zischelnd oder schallend lachend, herzhaft, wehmütig, still und aufbrausend in eine rätselhaft undurchschaubare Welt, die sich mit Seeelenzuständen wie Angst, Tod und Trauer beschäftigt. Das Motiv der Furcht wird variantenreich durchgespielt. Tom Pauls sieht es als Gleichnis für das „angstdurchzogene Lebensgefühl heutiger Menschen.“ Und spürt mit seinem romantischen Gruselbabend frei nach Grimm, neu erzählt von Autor Mario Süßenguth und inszeniert einschließlich Choreografie von Irina Pauls, dem romantischen Lebensgefühl zu Lebzeiten von Caspar David Friedrich nach.

In diesem Jahr seines 250. Geburtstages und inspiriert von Friedrich als herausragendem Maler von Licht und Atmosphäre und als Vorreiter der Moderne, nehmen Pauls und Ensemble dies zum Anlass für eine stimmungsreiche, märchenhaft-musikalische Wanderung in die Gefilde des Geheimnisvollen, Magischen, Wunderbaren, kontrastiert mit der rational nüchternen Suche nach dem unterschwelligen Gefühl der Angst. Da wechseln lyrische, mehrstimmige Männerchöre mit Melodien von Felix Mendelssohn-Bartholdy und Carl Maria von Weber und sphärische, geisterhafte und moderne Klänge, komponiert von Konstantin Pauls. Am Klavier begleitet und die musikalische Bearbeitung der Chöre hat Benjamin Rietz inne. Tom Pauls trägt ein weißes Hemd und Kniebundhosen wie ein Wanderbursche und fragt sich als Hauptfigur Hans in der Geschichte immer wieder, was es wohl mit dem Gruseln auf sich habe und seufzt laut: „Ach, wenn`s mich nur gruselte!“ Das klingt komisch und traurig zugleich, als wäre dies der Schlüssel zu einer anderen, ihm verborgenen Welt, als lebe er in einer Art Dämmerzustand. Das Getöse, Geister ohne Kopf und Stimmengewirr um ihn herum sieht er, doch es berührt ihn nicht.

Der furchtlose Hans weiß nichts von Leid und Schmerz, das er anderen Lebewesen zufügt, wenn er mit Stöcken Vögel tot schlägt, Katzen peinigt oder Fliegen die Beine ausreißt. Den Pfarrer hält Hans im Dunklen für einen Spitzbuben und stößt ihn die Treppe hinunter. Sein Vater schickt den ungehobelten Taugenichts daraufhin hinaus in die Welt, um das Fürchten zu lernen. In einem verwunschenen Schloss übernachtet Hans drei Nächte lang, erlebt ungerührt allerlei Geisterspuk. Gruslig-komischer Höhepunkt dabei, wie die Männer in dunklen Kutten weiße Totenköpfe halten, hochwerfen, tanzen und damit kegeln zu hämmernden Technoklängen. Als Belohnung für seine Unerschrockenheit erhält Hans die Königstochter.

Mit dem Gruseln ist es wie mit dem Verlieben. Es geschieht einfach oder eben nicht. Auf der Hochzeitsfeier zur Geisterstunde, beim Auftritt einer Kapelle mit Schlagersänger in goldener Glitzerjacke und blondem Haar und seinem geschmachteten „Alles was du willst“ packt Hans plötzlich das Gruseln, hält er sich die Ohren zu mit leidender Miene. Nichts geht über echtes Gefühl, tief aus dem Inneren. Reichlich Applaus gab es für diesen romantischen Gruselabend mit Tom Pauls und Ensemble. Die Vorstellungen gestern und an diesem Freitagabend sind schon ausverkauft. Mit etwas Glück gibt es noch Restkarten an der Abendkasse, die 18.30 Uhr öffnet, sagt Kerstin Kochan vom Tom Pauls-Theater. Ab Mai 2025 steht der Gruselabend dort wieder im Spielplan.

Text + Fotos (3) (lv)

Weitere Spielplan-Infos:
http://www.tom-pauls-theater.de

Unter dem Titel „Wandergefährten“ gibt es zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich auch eine Ausstellung mit Landschafts-Bildern aus seiner Zeit im Tom Pauls Theater in Pirna zu sehen.