
Sie teilen alles, Freud und Leid, Sinn und Unsinn der Arbeit und tun alles, um befördert zu werden: die grauen Helden im Stück „Bandscheibenvorfall“ von Ingrid Lausund im Schauspielhaus Dresden. Herzergreifend komisches, grandioses Schauspielertheater! Foto: Sebastian Hoppe
Tragikomische Helden auf der Karriereleiter
Vom Steigen und Fallen, Gewinnern und Verlieren in der Business-Welt und ihren Auswirkungen erzählt die witzig-geistreiche Komödie „Bandscheibenvorfall“ von Ingrid Lausund im Schauspielhaus Dresden. Heute am 2.7., 19.30 Uhr letztmals vor der Spielzeitpause.
Ein Mann im grauen Anzug kriecht über den Boden. Vor halb offenem, roten Vorhang reden und witzeln er und eine Frau ebenfalls im grauen Anzug mit blauem Schleifentuch über die perfekte Darstellung und Selbstoptimierung. Der Spiegel wird zum hassgeliebten, kritischen Gegenüber, vor dem Aussehen und Gesten geprüft und eingeübt werden. Herrlich absurd-komisch und traurig bis abgründig zugleich ist das Stück „Bandscheibenvorfall – ein Abend für Leute mit Haltungsschäden“ von Ingrid Lausund im Schauspielhaus Dresden.
Es geht um Gewinner und Verlierer, Erfolg und Scheitern, die Macht der Gewohnheit und Gebrauchtwerden, Angst vor Abschieden und Neuanfängen in dieser Inszenierung mit großartigem Schauspielertheater unter Regie von Philipp Lux, der für seine komödiantische Art bekannt ist und hier reichlich Futter findet mit abwechselnd schreiend komischen und leise, berührenden Momenten. Als Kulisse dient eine graue Wand mit Aktenordnern, Griffen und ein Bildschirm oben an der Decke mit blauem Himmel und weißen Federwolken. Die fünf Schauspielerinnen und Schauspieler reden sich nur mit Nachnamen an und stellen sich gegenseitig vor, während sie zum Kaffeeautomaten gehen und auf das Gespräch beim Chef warten. Alle haben ihre Neurosen, Sorgen, Sehnsüchte, die nach und nach hervorbrechen. Alle schauen und gehen erwartungsvoll die Treppe hoch, träumen von Aufstieg und Beförderung. Durch die halb offene Tür fällt grell weißes Licht wie ein Heiligenschein. Sie zelebrieren ihr Ego, proben für den großen Auftritt, sticheln, streiten, lassen Frust am anderen ab oder wirken besorgt und beruhigend aufeinander ein.
Einer nach dem anderen steigen sie die Stufen hoch und kommen völlig verändert wieder heraus. Mit deformierten Gesichtszügen, stumm, irritiert, schwankend oder wütend. Da ist die taffe Karrierefrau Schmitt (Josephine Tancke), die akkurat und im Spagat alles durchsteht und die ältere, rothaarige, nette und adrette Frau Kristensen (Friederike Ott) die immer noch glaubt, dass Teamwork sich auszahlt, gern einen Teebeutel bereithält, wenn es mal wieder brenzlig ist und meint: „Es war ein gutes Gespräch!“ beim Chef, von dem sie mit einem Messer im Rücken taumelnd zurückkommt. Ohne es zu merken. Der kauzige, ängstliche Kruse (Torsten Ranft) sieht es entsetzt, weint und lässt es stecken. Der sonst immer coole Hufschmidt (Paul Kutzner) ist auf einmal unsicher bis zum offenen, hemmungslosen Gefühlsausbruch. Der stets freundliche und zuverlässige Kretzky (Thomas Eisen) kommt mit roter Clownsnase im Mund und blau weiß gepunkteter Unterhose, buchstäblich die Hosen herunter gelassen, vom Chef zurück als tragikomischer Held und packt seine Sachen. Ein Höhepunkt im Stück ist sein verzweifelt-komisch, dramatisches Putpourri aus bekannten Hits, darunter von Queen, mit denen er durch die Zuschauerreihen klettert und das Publikum begeistert: „Alles halb so schlimm!“
Jeder der grau unscheinbaren Büroangestellten hat seine eigene Gesangseinlage, Lieder, mit denen sie ihre Wut und heimliche Wünsche herauslassen, den anderen Trost und Mut geben und ungeahnte Seiten von sich zeigen. Sie überlegen: Was wäre wenn… sie einfach gehen würden. Nicht mehr so weitermachen wie bisher. „Bevor wir gehen, schmeißen wir eine Vase um!“ das ist ihre Revolte. Am Ende stehen sie wieder zusammen vor dem halb offenem Vorhang. Alles ist wie immer. Oder doch nicht?!
Viel Beifall vom Premierenpublikum gab es für diese witzig-geistreiche Komödie über den Sinn und Unsinn von Arbeit, Leistungs- und Perfektionswahn bis zur Selbstaufgabe.
Text (lv)
Nächste Aufführung: 2. Juli, 19.30 Uhr im Schauspielhaus Dresden.