Aus der Provinz in die weite Welt: Ralf Kerbach, Professor für Malerei und Grafik an der Dresdner Kunsthochschule, kehrt mit seiner Klasse eigensinniger Sprösslinge, wie er selbst, an den Ursprungsort seiner Kunst nach Radebeul zurück.
Keine Scheu vor der Provinz
Für frischen Wind sorgen derzeit 27 Kunststudenten der Kerbachklasse der Dresdner Kunsthochschule farb- und Formreich und experimentierfreudig in ihrer ersten Gemeinschaftsausstellung in der Stadtgalerie Radebeul in Altkötzschenbroda 21.
Einige Jungpflanzen sprießen schon keck in die Höhe, andere ruhen noch in der Schale. Nur ein Sprössling schafft es nach oben. Doch eins ist unverkennbar allen gemeinsam auf dem witzig-ironischen Titelbild zur Ausstellung. Der
Name ist Programm: „SMS – Sprösslinge Mit Spaß“.
Unter diesem Motto zeigen derzeit 27 Kunststudenten, darunter vier Meisterschüler aus der Kerbachklasse, ihre Arbeiten in der Stadtgalerie Radebeul in einem Kooperationsprojekt mit der Dresdner Kunsthochschule. Für Ralf Kerbach, Jahrgang 1956, der dort zu DDR-Zeiten als junger unangepasster Künstler exmatrikuliert wurde und seit 1992 als Professor für Malerei und Grafik unterrichtet, ist diese Ausstellung auch eine Rückkehr zu seinen künstlerischen Anfängen. Er wuchs in Radebeul-Zitschewig auf, besuchte den Zeichenzirkel im damaligen Klubhaus und bezog mit 19 Jahren sein erstes Atelier in Radebeul. Seinen „Sprösslingen“ lässt Kerbach viel Freiraum, die stilistisch sehr unterschiedlich sich selbst als eine „Gruppe von Individualisten“ sehen mit Schwerpunkt in der menschlichen Figur.
So viel junges Publikum sah man lange nicht in den Galerieräumen zur Eröffnung am Mittwochabend, in Grüppchen auf der Wiese hockend, sich bei Wein und Bier lebhaft unterhaltend und musizierend bis Mitternacht. Ebenso viele neue, neugierig machende, künstlerische Handschriften voll ungezügelter Farb- und Formlust. Unkonventionell war auch die musikalische Umrahmung mit Trommeln auf einem Farbeimer und Gitarrenklängen zu sommerleichten Songs von drei Kunststudenten der Gruppe „Pfürsichkompott“. Besonders und experimentierfreudig sind ebenso die Inhalte, Ausdrucksweisen und Hängung der Arbeiten im Innen- und Außenraum der Stadtgalerie. Von Malerei, Grafik, Zeichnungen bis zu Installationen, konkret-figürlich bis abstrakt, ist alles dabei. Beginnend bei einem Bild von Merlin Grund im Baum vor der Stadtgalerie, das einen Mann mit Eselsohren oder Flügeln mit Wein und Zigarette über einen Zaun lugend zeigt. Ein paar farbige Kästen, bepflanzt und mit Wasserhahn auf der Wiese werden zu „Bird`s Dinner – Was wäre junge Liebe ohne Zwitschern“ in einer Installation von Lion Hoffmann, der außerdem skurril-kafkaeske Wartende in schwarz-weißen Tuschezeichnungen zeigt.
„Vertragt euch“, verlangt in einem Bild mit bekannten Politikerköpfen Anna Ditscherlein. Eindringlich das großformatige Ölbild von Hamidreza Yaraghchi „Under the trees“, das lauschig unter Bäumen zwei Erhängte und die wegschauende, gleichgültige Masse zeigt. Farbenfroh verspielt und vieldeutig das Ölbild „See jou in the universe“ mit einem jungen Mann mit Wunderkerzen und Luftschlange oder Gewehr umgehängt, von Michaela Fenzl, die zudem als leidenschaftliche Sängerin mit Gitarre und Blumenhut mit zwei Mitstudenten für Stimmung sorgte. Von Auf- und Abbrüchen erzählt „Das gebrochene Teil“ aus Ton/Gips auf einer Holzpalette von Carlotta van der Heyden-Rynsch. Farb- und formspielerisch harmonieren der aufgespannte „Regenschirm“ von Albert Gouthier und der Holzschnitt „In der Nacht“ von Ana Pireva, von ihr ist auch eine schwarze Tuschezeichnung mit einer nackt-verletzlichen Eva, fast umzingelt von Äpfeln.
Berührend und ausdruckstark sind insbesondere drei Bilder „The farewell I – III“ von Helena Zubler, die in wechselnder Perspektive ein Paar in inniger Umarmung mit Betonung der Hände zeigen. Helena ist 25 Jahre alt, bekam letztes Jahr ihr Diplom und studiert nun als eine von vier Meisterschülern bei Kerbach. Zwei Jahre dauert das Meisterstudium. Diese Zeit sei noch mal „wie eine Schonfrist, um sich umzuschauen, sich vorzubereiten auf das freie Künstlerleben, in der man auch weiterhin Seminare, Werkstätten nutzen und auf Erfahrungen von Dozenten zurückgreifen, noch eine zweite Meinung hören kann.“ „Das A und O sind Ausstellungen. Dafür muss man über seinen Schatten springen und auf Menschen offen zugehen, präsent sein. Man ist ja nicht nur Maler, sondern muss sich auch um die Werbung kümmern, Eigeninitiative an den Tag legen. Da muss man Energie reinstecken, bis etwas zurückkommt“,
zählt Helena auf.
Natürlich fragt sie sich wie die anderen Kunststudenten, was danach kommt. Das aus einer starken Zwiesprache zwischen sich und seinen Werken Entstandene nach außen zu tragen, falle vielen Künstlern schwer, andererseits will man wahrgenommen, gesehen werden. „Man kann die Kunst nicht vom Leben trennen“, sagt Helena. Das macht sie aufregend, spannend, aber auch immer wieder herausfordernd der Umgang damit für den Kunstschaffenden.
Da war nicht nur die Stadtgaleristin Karin Baum positiv überrascht, wie die Kunststudenten aus dem zunächst bunten Durcheinander in kurzer Zeit eine gut gemischte, durchdachte, einfalls- und spannungsreiche Gemeinschaftsausstellung aufbauten. „Wir sind gespannt auf die Reaktionen der Besucher“, so die Stadtgaleristin. Von den Kunststudenten stammt auch das Banner an der Scheunenwand vor der Stadtgalerie mit der Aufschrift: „Nur der Provinzielle hat Angst vor der Provinz!“
Die Ausstellung ist noch bis 24. Juni zu sehen.
Beteiligte Künstler (Reihenfolge lt. Ausstellungskarte): Swantje Ahlrichs, petar Bocin, Anne-Cathrin Brenner, Michael Broschmann, Robert Czolkoß, Anna Ditscherlein, Lena Dobner, Marcus Eck, Michaela Frenzl, Albert Gouthier, Merlin Grund, Dany Hermann, Carlotta Heyden-Rynsch, Teresa Hilliger, Lion Hoffmann, Gene Hünniger, Julia Johansson, Joo Young Kim, Sina Neuberger, Murat Önen, So Young Park, Ana Pireva, Mona Pourebrahim, Hamidreza Yaraghchi, Tillmann Ziola, Shengjie Zong, Helena Zubler
Text + Fotos (lv)
Geöffnet: Di, Mi, Do, So von 14 bis 18 Uhr
Helena Zubler vor ihrer Bilderserie „The farewell I – III“
Manchem wachsen beim Malen Flügel. Das Bild von Merlin Grund hängt im Baum vor der Stadtgalerie Radebeul.