
Mit viel Freude und Lust am Gestalten: Im Künstlergut Prösitz wohnen und arbeiten Künstlerinnen mit ihren Kindern eine Zeitlang zusammen und können focussiert ihre Projekte umsetzen. Im Foto von li. nach re: die Leiterin Ute Hartwig-Schulz, auf dem Thron sitzt Yala Juchmann mit ihrem Kind, neben ihr Verena Schmidt und Lena Polizka mit Sohn Jakob.



Ein guter Nährboden für Kunst mit Kindern
Das Künstlergut Prösitz bietet ein einzigartiges Symposium für Bildhauerinnen mit Kind an. Mit Kinderbetreuung und viel gestalterischem Freiraum.
Vor dem Künstergut steht eine große Skulpturengruppe aus Keramik. Rund, kantig, bauchig, urweiblich wirken sie wie Wächterinnen, Sinnende, Suchende, Träumende. Ein Stück weiter laute Motorsägengeräusche. Arbeiter der Kommune sind gerade mit Sicherungsarbeiten an Bäumen beschäftigt. Über das abfallende Geäst und zersägte Stämme freuen sich die Bildhauerinnen. „Die machen das für uns. Das ist Eichenholz, da werden drei Figuren daraus“, sagt Ute Hartwig-Schulz, die Leiterin vom Künstlergut Prösitz. Sie holt einen Kasten Bier, obendrauf liegt ein kleiner Teddy, aus dem Auto, als Dankeschön für die Männer. „Das war ganz spontan.“ Der Teddy kommt wieder mit. Zu den Kindern im Künstlergut. Drei Künstlerinnen mit insgesamt fünf Kindern wohnen und arbeiten zurzeit hier. Eine weitere Künstlerin mit Kind reist am Wochenende an.
Ein kleiner Ort auf dem Lande mit viel gestalterischem Freiraum und ein einzigartiges Projekt sind der Nährboden für die Kunst, die in Prösitz Gestalt annimmt. Beim „Symposium für Bildhauerinnen mit Kind“, das von Mai bis Oktober stattfindet.
„Das eigentliche Stipendium ist die Kinderbetreuung, ohne die könnten wir einpacken. Dann kommen Ausstellung, Katalog, das Übliche. Und dann gibt es ein kleines Honorar für die Künstlerinnen. Dieses Jahr bekommen wir es von der Stiftung Kunstfonds Bonn“, sagt Ute Hartwig-Schulz. Sie hat Bildhauerei an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden studiert. 1992 erwarb sie mit ihrem damaligen Mann Stefan Schulz, ebenfalls Bildhauer, den maroden Dreiseithof, um 1860 errichtet und baut ihn seither aus. In die einstigen Stallungen und das Scheunengebäude sind Werkstätten und Ateliers eingezogen. Ihre Tochter Ruth ist auf dem Künstlerhof groß geworden. Seit 1993 organisiert Ute Hartwig-Schulz „aus eigener Betroffenheit“ das „Symposium für Bildhauerinnen mit Kind“, das deutschlandweit einmalig ist und ihnen einen vierwöchigen Aufenthalt zum künstlerischen Arbeiten ermöglicht. Die Nachfrage ist groß mit um die 65 Bewerbungen. Acht Stipendiatinnen pro Jahr werden im Künstlergut Prösitz aufgenommen. Die Vorjahreskünstlerinnen entscheiden als Jurorinnen fachkundig über die Vergabe der nächsten Stipendien. „Den längsten Weg hatte eine Künstlerin mit fünf Kindern aus Neuseeland“, so Ute Hartwig-Schulz.
Im August kommt eine Künstlerin aus den USA hierher. Das Residenz-Stipendium für die Künstlerinnen und Mütter wird über den Verein Künstlergut Prösitz e.V. getragen aus seinem Jahresbudget innerhalb der institutionellen Förderung aus dem Kulturraum Leipziger Raum. Der Kunstfonds Bonn fördert zudem das Programm des Künstlerguts für drei Jahre in Würdigung seiner 30-jährigen Praxis. Es ist eine Künstlergemeinschaft auf Zeit, die monatlich wechselt. Von der nahegelegenen Autobahn A14 zwischen Leipzig und Dresden, Abfahrt Mutzschen, ist an diesem Nachmittag ausnahmsweise nur ein fernes Rauschen zu hören. Um so mehr Vogelgezwitscher auf dem Hof. Es ist windstill, die Sonne drückt die Luft weg, und dadurch ruhiger.
„Heute ist es paradiesisch“, lächelt die Symposiumsleiterin. Sie stellt einen Topf Kartoffelsuppe mit frischem Basilikum aus dem Garten, Kaffee und Erdbeertorte, die jemand schenkte, auf den massiven Steintisch unter der stattlichen Linde. Sie erzählt vom Glück hier zu leben und arbeiten mit anderen Künstlerinnen, von den Wunden und Wundern des Lebens, die sich in den bildhauerischen Arbeiten zeigen. „Wir arbeiten mit dem, was wir finden und vor Ort passiert. Wie dem Lärmpegel der Autobahn, der Bausubstanz, Natur und Garten und dem Aspekt des Künstlerinnenseins mit Kind“, erzählt sie. Überall auf dem Hof stehen dort entstandene Werke der Stipendiatinnen. Am Garteneingang ein großes, aufgebrochenes Ei aus Ton, in dem eine kleine Gestalt sitzt und eine kraftvolle Figur aus Stein, die ihre Arme wie Flügel um ein Kind hält. Vor dem mit Efeu umrankten Haupthaus steht ein Thron, umrahmt von Wurzelwerk und Getier aus erdigem Ton, den die Hamburger Künstlerin Anna Mandel gestaltete, wo klein und groß zusammen sitzen und sich geehrt fühlen können.
Im hellen Atelierraum mit Gewölbedecke und Steinsäulen sind die Künstlerinnen Verena Schmidt, 44 Jahre, aus Wiesbaden und schon zum zweiten Mal hier mit nun zwei Kindern und Lena Polizka, 38 Jahre, aus Oberammergau ebenfalls mit zwei Kindern, seit 14 Tagen intensiv am Werken, im Endspurt. „Hier kann ich focussiert und in Ruhe mein neues Projekt, ein keramisches Buffet a la ‚Das große Fressen` umsetzen. Man kommt aus dem Alltagstrott heraus. Der Ort ist fantastisch, inspirierend, die Kinderbetreuung klasse. Es ist aber kein Urlaub, sondern harte Arbeit“, betont sie. Das Leben mit Kunst und Kindern ist für sie ganz selbstverständlich. „Ich schaffe mir die Strukturen und natürlich gibt es Kompromisse.“ „Man entscheidet sich ja bewusst für Beides. Dass es eine Veränderung bedarf dafür auch in der Gesellschaft, ist auch klar“, sagt Lena Polizka. „Als Mutter fällt man aus vielem heraus, da bei Stipendien und Preisen die Altersgrenze für Bewerbungen oft bei 35 Jahren liegt. Das empfinde ich als diskriminierend.“ Das Künstlergut Prösitz gefällt ihr als ein Ort immer neuer Impulse, Begegnungen, Austausch und Experimentierens mit neuem Material. Sie arbeitet gerade an einer Installation zum Thema „Resillienz“, bei der sie Bruchstücke aus Ton zu einem größeren Ganzen verwebt mit Fäden und Schläuchen. Ihr dreijähriger Sohn Jakob steht neben ihr am Tisch und lernt schon das Töpfern. Und es werden Freundschaften geknüpft zwischen den Künstlerinnen und den Kindern, die über das Symposium hinaus reichen.
Die Töchter der beiden Bildhauerinnen, Miri, sechs Jahre, und Stella, sieben, sind schon befreundet und spielen draußen im Hof. Eine Hollywoodschaukel und Kinderschaukeln, Feuerstelle und ein Wasserbassin für die Kinder laden ein zum Entspannen und Genießen. Am Wochenende unternehmen sie Ausflüge in den Leipziger Zoo oder nach Grimma. Auf dem Dachboden vom Scheunengebäude liegen Kinderzeichnungen ausgebreitet und Skizzen mit Notizen für eine künstlerisch-wissenschaftliche Arbeit, in der Yala Juchmann, 41 Jahre, aus Berlin sich mit dem Thema Fürsorge und den Gründen für die gesellschaftliche Abwertung sorgender, sozialer Berufe auseinandersetzt und daraus entstehenden künstlerischen Positionen. Sie ist mit ihrem vierjährigen Sohn hier. „Das Künstlergut Prösitz ist ein thematischer Anker für meine Masterarbeit. Mir gefällt das Selbstverständnis an diesem Ort, dass Künstlerinnen und Mütter sich nicht zu verteidigen brauchen. Hier erlebe ich ähnliche oder ganz andere Lebensrealitäten. Es ist ein lebendiges Beispiel für geschaffene Räume, wo Menschen sich gegenseitig unterstützen und Gemeinschaft entsteht.“
Text + Fotos (lv)
Kontakt + Weitere Infos: http://www.kuenstlergut-proesitz.de


Was fördert, was hindert lebendige, kreative Gemeinschaft & Fürsorge im Kleinen wie im Großen, in der Gesellschaft? Das erforscht Yala Juchmann aus Berlin derzeit in einer künstlerisch-wissenschaftlichen Arbeit und fand viele Anregungen im Künstlergut Prösitz.




