Meeressegler
Lebenskünstler Lufttänzer Gratwanderer
mit allen Winden übers Meer Segler
auf und ab schnellend himmel und wellenwärts
die Welt von oben betrachtend
aber nicht herablassend
elegant keck ausharrend unverdrossen
den Menschen immer einen Flügelschlag voraus
LV
29.9.2023
Fische zwischen Bäumen
An der Promenade in Heringsdorf
ein seltener Fang zu besichtigen:
drei meterhohe rostige Fische erhaben
wie Könige
stehen auf ihren Schwanzflossen
hoch aufgerichtet
sahen nie das Meer
offene Münder der Blick ins Blaue
aus Himmelsaugen bis hoch
in die Baumwipfel auf der Wiese
zwischen hohen Stämmen und
knorrigen windschiefen Kiefern
filigran durchsichtig ihre Haut
durchzogen von Streben wie Gräten
braun wie Baumrinde
ihre Körper im Kreis umeinander gelegt
wie Schutzschilde
LV
30.9.2023
Herbstsonne
Auf dem Tisch mit dem Lochmuster
ein großer Wasserfleck Wolkenauge
noch vom letzten Regen
zwei Stühle angelehnt
die Sonne übersieht den Fleck
spielt mit den letzten Rosenblüten
vom Strauch vor der weißen Wand
flimmern ihre Schatten hinüber
eine große gelbe Blüte
halb verblüht duftet noch immer
darüber reckt sich eine Knospe
und ein einzelnes rotes Blatt
drehen sich bewegt vom Wind
zu einem Fleck den die Sonne
ins Gras zeichnet
wie ein Herz aus Licht
LV
30.9.2023
Auf dem Weg zum Strand
Seegras vom Wind umfächelt
wankt leicht vorm Ferienzimmer
Sonnenblumen sonnesatt
neigen ihre Köpfe am Wegrand
die von Autos zerdrückten Kastanien
ein Festmahl für die Spatzen
eine rote langstielige Rose
wiegt beschwingt vorm Fenster
inmitten von rosa Hortensien
im Garten der Villa Heimkehr
der Kirchturm gegenüber
bietet Obdach für Vögel aller Art
Wind rauscht durch die Baumkronen
im Himmelblau
zwei Männer schieben einen Strandkorb
im Wagen den Berg hinunter
hinter ihnen braust das Meer
LV
30.9.2023
Möwen
Das Meer unermesslich weit
genügsam brilliert
in allen Farben
die Licht Wolken Wind
mitbringen
tiefblau metallen silbrig
und Lichtfunken im Schlammgrau
die Möwen unermessliche Meeresanbeter
das sie kost zaust behaust
sanft wild und beständig
weiß befiedert befriedetes Wellenspiel
kreischendes Vergnügen
ungemein süß und spitzfindig
bedienen sich gern selbst
wenn die Gelegenheit günstig
gerade eingetaucht im Meer
Strandtasche und Einkaufsbeutel kurz allein gelassen
umgerissen
Badetuch weg gerissen
leere Papiertüten verstreut im Sand
drei Stück Kirschkuchen mit Streusel und Schokolade
stibitzt warten sie
seelenruhig weiter auf mehr
nie verfliegt der Möwen Hunger
sie verlernen nicht zu jagen
das teilen sie mit den meisten Menschen
LV
30.9.2023
Meerstille
Heute dem Meer auf den Grund
gesehen
fast durchsichtig sandfarben wellig
dunkel von den Algen
und perlmuttfarben
zart wie eine Feder
der Wasserspiegel still bewegt
fast lautlos unendliches Fließen
hautnah schienen Meer und
Horizont einen Moment eins
mittendrin die Möwen vergaßen
ihre Schreie
LV
2.10.2023
Meerfarben
(Für ONH)
Unendliche Fülle der Farb und Formgebilde
mehr als das Auge zu fassen vermag
Wellenschwünge graublau weiß dunkel umrandet
wie spitze Federn
riesige Flügel wehende Tücher
oder Segel die himmelweit
über den Dünen schweben
weit aufgefächerte Wolkenlandschaft
zurückgeworfen in die Wellen
aufgewühlt sturmgepeitscht
schäumend und kräuselnd
in kräftigen und Pastelltönen
von Rissen Eisschollen durchzogen und rotem
Abendlicht beschienen die Buhnen Stege ins Wasser
und eine tote Möwe am Strand
rot gefärbt ihr Gefieder
hell gelb und türkis Meer und Himmel
zeichnen weiter ihre Spuren
der kantige Kopf des Käptn auf einer Stele vorm
Atelier die Vorhänge sind zugezogen
ein Korb voll gelber Quitten vor dem Eingang zu
seinen Bildern vom Meer
in des Malers Zaubergarten reifen sie noch immer
geben sich Schmetterlinge zwei Tagpfauenaugen
dem Farbrausch der Blüten hin wie verschwiegene
Liebende
die im Stein die Zeiten überdauern
wie das Meer
LV
2.10.2023
Was bleibt
Der noch einmal blühende
gelbe Rosenstrauch
die Blütenköpfe im Wind
davor der weiß blaue Strandkorb
auf der Wiese wie gestrandet
Vogelgeschwirr im Baum
sie zwitschern feier- wie wochentags
wie es ihnen gefällt
eine Kastanie in der Badeschlappe
das Seegras vorm Ferienzimmer vom Wind
durchgeschüttelt hält doch stand
die kleinen lila Ballonblumen die durchs Tor lugen
die vielen prachtvollen Villen an der Promenade
mit schönen Namen wie Himmelsstern
Seeschlößchen Villa Elise und Seebär
die Seeschwalbe der alte Fischerkahn
auf der Düne vor der Holzhütte der Duft
nach frischem Räucheraal
die grau getigerte Katze halb ruhend
halb wachend am Ausschank vom Terrassencafé
nachmittags zieht Sturm auf
Sand wirbelt auf am Strand
das Meer voller Algen Geschling angespült
kein Hineinkommen mehr
die Möwen stürzen sich kreischend aufs Futter
meine Strandtasche bekommt Schnabelhiebe
ein paar kleine Löcher
die Möwen finden immer Wege
an etwas heranzukommen
und verschenken ihre Federn
lange spitze hell dunkel gesprenkelte und seidig
flaumige
die Möwen rufen weiter
heftiger noch der Wind
rot gelb wurmstichige immer noch aromatische
Straßenäpfel liegen auf dem Tisch
draußen tost das Meer
vom Wind getrieben
Kräuselwellen schwappen warm
an die Füße noch einmal
bevor die letzten Herbstsommertage verfließen
die wilden Winde noch stärker raufen
LV
3.10.2023
Texte: Lilli Vostry
Fotos folgen