Ein Mann mit vielen Gesichtern: Zuhälter, Verbrecher, Außenseiter, Anführer eines Aufstandes der Unzufriedenen und gar Aufsteiger zum Kurfürsten von Sachsen ist Macheath, Mäcky Messer (in der Titelrolle: Jannik Hinsch), in der Inszenierung der „Dreigroschenoper“ von Brecht/Weill unter Regie von Volker Lösch im Schauspielhaus Dresden. Foto: Sebastian Hoppe

Aufstand der Unzufriedenen

Bestürzend komisch, düster, albtraumhaft und grotesk zugespitzt, aufrüttelndes Polittheater über Macht, Ohnmacht und Machtmissbrauch in sozialen Krisenzeiten ist zu erleben in der „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill  (Musik) unter Mitarbeit von Elisabeth Hauptmann in einer Bearbeitung des Staatsschauspiels Dresden mit zusätzlichen Texten von Lothar Kittstein. Die Premiere war am Freitagabend im Schauspielhaus Dresden.

Es beginnt gleich mit einer Prügelszene. Eine Frau mit blondem Haarknoten und ein dunkelhaariger Mann in blauen Kostümen, rotem Schlips und Socken, schlagen zu barocken Klängen mit blauen Knüppeln auf einen jungen Mann in buntbraunen Hosen, schwarzer Lederjacke und Stiefeln am Boden ein, weil er ungefragt als Redner auf einer Wahlkampfveranstaltung von ihnen sprach und die Show vermasselte. Die beiden beschimpfen ihn als „hirnloses A…loch“ und reichen ihm ein bieder beiges Kostüm samt vorhängendem Bauch, das er künftig bei den Protesten tragen soll. Als er nicht mehr reden darf und auch noch seine Springerstiefel hergeben soll, zieht er entrüstet ab. Die beiden im blauen Kostüm, man ahnt es, gehören zur Führungsspitze der „Perspektive für Deutschland“ und befinden sich mitten im Wahlkampf. „Wenn wir siegen, dann wird aufgeräumt und Politik für das Volk gemacht!“, tönt die Frau vollmundig. Dafür ist ihnen jedes Mittel recht. Sie pusten blaue Luftballons auf, trällern belustigt abfällig vom „Mond über Soho“, sie haben Wichtigeres zu tun, der Wahlkampf ruft!

Sie tragen zwar elegante, blaue Anzüge, geben sich sonst so sauber, doch hier nehmen sie kein Blatt vor den Mund und lassen an ihrer Herkunft, Jargon und Manieren von der Straße erst gar keinen Zweifel aufkommen: der erwerbsmäßige Bettlerkönig und Geschäftsmann Jonathan Peachum (Philipp Grimm) und seine Frau (Sarah Schmidt) versuchen sich auf politischem Parkett, teilen kräftig aus, geben sich patriotisch und freiheitsliebend und bekämpfen gleichzeitig zänkisch und unerbittlich alles und jeden, der anders denkt und handelt als sie selbst. Das bunt schillernde und schrille Milieu aus der „Dreigroschenoper“ von Brecht/Weill, 1928 in Berlin im Theater am Schiffbauerdamm uraufgeführt und seither ein erfolgreicher und vielgespielter moderner Klassiker auf den Theaterbühnen, wird übernommen und in die Gegenwart versetzt.

Außerdem unternimmt die Inszenierung des Staatsschauspiels Dresden unter Regie von Volker Lösch mit einer Bearbeitung des Stücks den Versuch, die „Dreigroschenoper“ in „einen aktuellen politischen Kontext zu rücken“, steht dazu im Programmheft mit Blick auf die textlichen Einschübe des Autors Lothar Kittstein, um „neue und aktuelle Assoziationen zu schaffen“ mit dem Einverständnis der Brecht-Erben. Ein politisches Zeitstück war es immer und im Original, in den großartigen, zeitlosen Songs über menschliche Glücksuche und Gier, die dies verhindert, ist eigentlich alles gesagt. An dieser Grundaussage ändert auch diese Neuauflage der „Dreigroschenoper“ – eine bissig spöttische Revue über das Leben im Kapitalismus, über Heuchelei und Scheinmoral nichts. Vom Haifisch-Song über „Soldaten wohnen auf den Kanonen“, „Ja mach nur einen Plan…“ über das Leben, das nur ein Selbstbetrug ist bis zu „Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm“ sind Musik und Texte voller Witz, Ironie, mitreißend, kraftvoll, zeitlos aktuell und tragen auch diese Aufführung, kess, flott, jazzig, galant, heiter, wehmütig und schmissig begleitet von einem exzellenten Musikerensemble an Akkordeon, Altsaxofon, Klarinette, Klavier, Posaune, Trompete u.a. (musikalische Leitung: Michael Wilhelmi).

Neu an dieser Inszenierung ist, dass Sprache und Spielweise noch derber, rauer, radikaler sind, die Figuren recht klischeehaft und Karikaturen ihrer selbst und somit nicht wirklich ernst zu nehmen. Damit gehen jedoch der tatsächliche Ernst der Situation und Tiefgang verloren und die Chance zu einer echten Auseinandersetzung mit der Gefahr einer zunehmenden politischen Radikalisierung in der Gesellschaft. Hingegen fehlt es nicht an haarsträubenden, platten und hohlen Parolen von rechtsaußen und leeren Versprechen von „Friede, Freiheit, Selbstbestimmung, keine Diktatur!“, wenn nur die „richtigen Männer“ an die Macht kämen. Das Ganze mutet wie ein schlechter Scherz oder grusliger Albtraum an, inszeniert als bitterböse und bestürzend komische, düstere und grotesk zugespitzte Satire und Polittheater über Macht, Ohnmacht und Machtmissbrauch in sozialen Krisenzeiten, Unsicherheit, Ängste, Verfall von Werten und Suche nach Orientierung und Halt, Stillbleiben oder Aufstehen für soziale Gerechtigkeit.

Da klingt der Ruf nach einem „starken Führer, der die zerrissene Seele heilt“ verlockend. Da wird erst insgeheim und bald ganz offen, ungehemmt der Aufstand der Unzufriedenen geprobt, vor der barock steinernen Zwinger-Kulisse mit versiegtem Brunnen. Auf der Hochzeitsfeier von Macheath (Jannik Hinsch), dem gerissen-galanten Gauner, Zuhälter, Außenseiter und Möchtegernheld und seiner ihm verfallenen Braut Polly Peachum (Henriette Hölzel), der pinkfarben gekleideten, punkig rebellischen Tochter, die sich gegen ihre rigoros radikalen Eltern wehrt, lassen die Gäste ordentlich Dampf ab, wird Macheath ihr Anführer und gar zum Kurfürsten von Sachsen ernannt. Der sitzt großspurig, majestätisch mit grinsender Miene vor dem Zwinger, mal großzügig, als könne ihn nichts erschüttern oder etwas anhaben, mal poltrig, wütend und Abweichler eiskalt gegen die Steinstufen tretend wie den kauzigen, etwas vorlauten Walter (Sven Hönig) oder den vorpreschenden, gewalttätigen Matthias (Viktor Tremmel) zurechtweisend. Der windig-korrupte Polizeichef Brown (Thomas Eisen) ist Macheaths bester Freund, noch aus Zeiten in der Fremdenlegion in Afrika, warnt ihn vor Polizeikontrollen, liefert den radikalen, nationalistischen Aufständischen in schwarz-gelben Sachen die Waffen, verhaftet sie widerwillig als „terroristische Vereinigung“ und auch die hasserfüllt hetzenden Peachums kommen mit einem „blauen Auge“ davon.

Die einzig Ruhe und Gelassenheit bewahrende inmitten dieses wutentbrannten, kämpferischen Gegeneinanders ist Jenny (Anna Katharina Muck), Exgeliebte von Macheath, desillusioniert und Schamanin mit unheilvollen Vorahnungen. „Du redest national, aber fühlst es nicht, kalt wie ein Reptil“, sagt sie trocken zu Peachum. Man sehe nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar, zitiert sie an anderer Stelle den Kleinen Prinzen von Saint du Exuperý. Macheath sei das Schiff, das eines Tages kommen wird und die Stadt beschießt, sagt Jenny voraus. Aus Eifersucht über seine Untreue hat sie seinen Aufstands-Plan verraten. Wie ein gefallener Kapitän liegt Macheath am Ende auf den Knien und bittet das Publikum um Verzeihung und er möge ihnen eine Lehre sein. Grotesk genug, seine stärksten Widersacher, die Peachums in den blauen Anzügen, gewinnen am Schluss die Wahl und lassen Mäcky Messer frei, der sich als Kurfürst von Sachsen auf Schloss Moritzburg zurückzieht und eine lebenslange Rente erhält. Wasser sprudelt aus dem Brunnen im Zwinger, den die Aufständischen besetzt halten und die Brecht-Worte rufen: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral!“ Und sie wollen endlich auch ein Stück vom Kuchen der Mächtigen abbekommen. Am Ende der Aufführung sagte ein Mitspieler und junger politischer Aktivist, Jakob aus Zwickau eindringliche Worte, den rechtsradikalen Tendenzen entgegenzuwirken und ans Publikum gerichtet: „Wer schweigt, stimmt zu.“
Viel Beifall gab es zur Premiere für eine wagemutige, packende  und streitbare Aufführung mit viel Stoff zum Nachdenken und für Gespräche.

Text (lv)

Nächste Termine: 13. und 25.10., 19.30 Uhr

http://www.staatsschauspiel-dresden.de


Prunkvolle Kulisse, strahlend blauer Himmel und unzufriedene Menschen, die um ihren Wohlstand und Freiheit bangen und sich dagegen wehren. Foto: Sebastian Hoppe