
Unfreiwillige Verführung zu Genuss & Lebensfreude: als krass sittenstrenger, lebensfremder Dorfpfarrer und lebensfrohe Genießerin begeisterte das Schauspieler-Paar Harald Krassnitzer und Ann-Kathrin Kramer, begleitet von beschwingten Klängen von Les Manouches Du Tannes die Zuschauer im Schauspielhaus Dresden. Foto: Gia Carlucci Staufer
Genuss für Geist und Sinne
Ebenso reiz- wie spannungsvoll im Wechsel von Lebenslust, Streit über Moral und Werte, Humor und Gänsehaut und beschwingt-fröhlichen Klängen kam „Chocolat“ nach dem Roman von Joanne Harris in einer Aufführung mit Ann-Kathrin Kramer und Harald Krassnitzer und den Musikern von Les Manouches Du Tannes auf die Bühne im Schauspielhaus Dresden.
Schon das Wort klingt verlockend. Es zerschmilzt auf der Zunge wie die Süßigkeit. Sie löst nachweislich Glückshormone und Wohlbefinden aus. Wer wollte ernsthaft etwas dagegen haben?! Doch ausgerechnet im Heimatland von Genuss und feinem Geschmack, in einem kleinen Ort in Frankreich, sorgen die kleinen Schokoladen-Köstlichkeiten für Aufregung, Argwohn, Anfeindung und Turbulenzen. Dabei geht es um weit mehr als nur um „Chocolat“ im Roman von Joanne Harris aus dem Jahr 1959, der als sinnebetörende Romantikkomödie und Märchen für Erwachsene unter Regie von Lasse Hallström im Jahr 2000 ein großer Kinoerfolg war. Mit Juliette Binoche in der Hauptrolle der jungen, alleinerziehenden Mutter, die auf dem Kirchplatz eines südfranzösischen Dorfes in einem leerstehenden, verfallenen Haus eine Patisserie eröffnet, einen kleinen Tempel für feinste Schokoladen. Und damit auf Missfallen beim Dorfpfarrer stößt, der alles unternimmt, ihre Chocolaterie zu verbieten und sie wieder aus dem Ort zu vertreiben.
Eine ebenso reizvolle wie heikle Geschichte mit Blick auf aktuelle Konflikte in der Welt, wo Ablehnung, Ausgrenzung, Hass und Gewalt gegenüber anderen Kulturen und Lebensvorstellungen zunehmen und der Sinn für Schönes, Verbindendes verlorengeht bzw. leidet. Am Neujahrstag kam „Chocolat“ nun als Gastspiel mit Ann-Kathrin Kramer und Harald Krassnitzer sowie Les Manouches Du Tannes auf die Bühne im nahezu ausverkauften Schauspielhaus Dresden. Manche hatten sicher noch den in sinnlichen Bildern schwelgenden Kinofilm „Chocolat – Ein kleiner Biss genügt“ vor Augen. Ein Wagnis also für das Schauspieler-Paar Kramer und Harald Krassnitzer, die vor allem auf die Lust und Kraft der Worte, wandlungsreiches Spiel der verschiedenen Figuren mittels Stimme setzten und großartig begleitet wurden mit Musik im Stil des Sinto-Gitarristen Django Reinhardt mit mal beschwingten, fröhlichen, sanften, leisen und wehmütigen Klängen des Musikerquartetts um den Akkordeonisten Valentin Butt und den Geiger Roland Satterwhite.
Die Geschichte gewinnt sogar an Spannung, Dramatik und Biss, da das Schauspieler-Duo sich ganz auf die gegensätzlichen Lebensweisen, Ansichten und Eigenarten der zwei im Mittelpunkt stehenden Figuren konzentriert. Vor sparsamer Kulisse, einem zwischen Chocolaterie und sakralem Kirchenraum hin und her wechselnden Bühnenbild und bunten Lämpchen bei den Musikern, spielt Ann-Kathrin Kramer die selbstbewusste, lebensfrohe Genießerin Vianne Rocher freundlich-gelassen, mit sanfter Stimme und bezauberndem Lächeln, so dass auch der Dorfpfarrer hin und her gerissen ist zwischen ihrer Ausstrahlung und verhexter Verführung mit ihren Schokoladen. Im Film ist es allerdings nicht der Dorfpfarrer, sondern der erzkonservative, sittenstrenge und asketische Bürgermeister Comte de Reynaud, der die Geschicke im Ort lenkt und die Bewohner in seinem Sinne versucht zu beeinflussen. Harald Krassnitzer spielt den Moralapostel zwischen Humor und Gänsehaut grotesk überzogen, wetternd und wutschnaubend, buchstäblich krass überall Laster und Verfall von Bräuchen und Werten witternd und dann wieder wehleidig und verbittert an sich und der Welt leidend. Da Vianne ihren Laden während der Fastenzeit eröffnet, nicht in die Kirche geht und alleinerziehende Mutter ist, offen und frei heraus lebt und mit ihrer herzlichen Art auch noch andere Dorfbewohner ansteckt, sieht er sie zunehmend als Widersacherin.
Über die Hintergründe der beiden derart konträr aufeinander treffenden Figuren erfährt man in dieser Aufführung leider wenig. So wirkt die Schärfe der Streitigkeiten teils übertrieben, altbacken, platt bis unverständlich. Der Gipfel der Unmoral ist für ihn erreicht, als ausgerechnet am „höchsten kirchlichen Feiertag, am Ostersonntag“ ein großes Schokoladenfest im Dorf stattfinden soll. Ostern sei doch ein Fest der Freude und was an Schokolade so schlimm sei?!, fragt Vianne den Dorfpfarrer heiter-spöttisch und fügt hinzu: „In diesem Ort ist genug Platz für uns beide!“
Doch die alte, noch immer lebenslustige Armande und Stammgast in Viannes Chocolaterie, weiß es besser: „Sie vertreiben jeden, der ihnen nicht passt! Passen Sie auf!“, rät sie Vianne. Das Geschehen eskaliert bei einer Geburtstagsfeier der alten Dame, die sie mit ihren Gästen am Fluss Tannes zusammen mit einer Gruppe Umherreisender ausklingen lässt. Dort verliebt sich Vianne in den Zigeuner Roux, den Johnny Depp im Kinofilm „Chocolat“ spielt, der als Figur gar nicht vorkommt in der Bühnenfassung, obwohl dies die Geschichte zusätzlich anheizt. Nachts geht ein Boot von ihnen in Flammen auf, inmitten der im Nachtblau gelb tanzenden Lichter und noch eben fröhlicher Musik. Doch es kommt noch ärger und tragikomischer. Der Dorfpfarrer fühlt sich als Versager, da er die Ehe von Josephine und ihrem prügelnden und trinkenden Ehemann nicht retten kann und bricht wütend, da sie jetzt bei Vianne untergekommen ist, nachts in ihren Laden ein und richtet eine Verwüstung an. Doch stärker als sein Groll ist die Intensität des Duftes und Aromas all der süßen Köstlichkeiten, die ihn überwältigen und hemmungslos kostet er die „verbotenen Früchte“. Köstlich Krassnitzers Schilderung der Szene im Schokoladenrausch, angewidert, verstört, schwärmerisch und begeistert zugleich mit spitzem Mund. Glückselig, schlafend und mit schokoladenverschmiertem Mund in den Auslagen im Schaufenster findet Vianne ihn am nächsten Morgen und weckt ihn.
Sie betrachtet ihn mit gütigem Lächeln und beim großen Schokoladenfest am Schluss wagen der Dorfpfarrer und die charmante Genießerin gar noch ein Tänzchen miteinander zu fröhlich-unbeschwerter Caféhaus-Musik. Zwei wie Feuer und Wasser. Kann das gut gehen?! Zumindest ist es ein leises Hoffnungszeichen für mehr Offenheit, Toleranz und Mitgefühl in einer Welt voller Gegensätze, in der es noch viele Orte gibt, die darauf warten, dass der Wind sich dreht und in der auch Wohlhabende bedürftig sein können. Viel Beifall vom Publikum gab es für dieses sanft, feinsinnig und nachdenklich die Sinne kitzelnde Theatererlebnis.
Text (lv)
http://www.staatsschauspiel-dresden.de