Lilli Vostry und Coynna Kilian beim 48-h-Trommeln.
Foto: Thomas Kretschel/kairospress

Nach indianischem Brauch soll 48-Stunden-Trommeln im Schweigen helfen, zu sich selbst zu finden. Ich habe es in Schmiedeberg ausprobiert und die Kraft dieses Rituals erfahren. Zu einem neuen Seminar dieser Art lädt Corynna Kilian vom 9. bis 12. November ein.

Es klingt paradox. Doch Trommeln und Stille passen gut zusammen. Mit jedem Schlag öffnet sich eine Tür nach innen. Ruhe zieht ein, und gleichzeitig setzt sich etwas in Bewegung.
Was die klangvolle Kraft der Stille alles vermag, will ich bei einem 48-Stunden-Trommeln im Schweigen erspüren. Wir sind vier Frauen und zwei Männer um die dreißig bis Ende fünfzig und werden zwei Tage in einem Klangraum der Stille verbringen, den wir gemeinsam im Samana-Haus in Schmiedeberg erschaffen. Das Seminargebäude mit heller Holzfassade und großen Fenstern steht auf einer Anhöhe, umgeben von Baumwipfeln und Wiesen.

Bevor die Schweigezeit beginnt, erzählen wir in der Runde, was uns hergeführt hat. Die Gründe sind vielfältig: Herauszufinden, was einem persönlich guttut, was im Kalender stehen bleiben kann und was nicht. Sehnsucht nach Ganzheit. Loslassen von emotionalen Abhängigkeiten. Und wieder mehr auf die eigene Stimme hören.

Das 48-Stunden-Trommeln greift auf altes indianisches Wissen zurück. „Es hilft dabei, in die eigene Stille zu reisen, leer zu werden und den Verstand zu verlangsamen, damit wir klarwerden“, sagt Corynna Kilian, die Leiterin der Trommelzeremonie. „In der Stille begegnen wir unseren im Alltag oft überhörten Gefühlstönen“, verspricht sie. „Vertraut auf die Weisheit eures Körpers, wenn während des Trommelns unversehens Bilder, Träume und persönliche Fragen auftauchen und ihr plötzlich die Antwort wisst.“

Trommeln geht durch den ganzen Körper. Der Verstand, der sonst oft das Sagen hat, wird still durch den gleichmäßigen Takt, der wie ein Herzschlag klingt. „Als Kraft- und Lebensquell symbolisiert die Trommel in der indianischen Kultur den Schoßraum von Mutter Erde, mit der wir eine innige Rückverbindung herstellen“, erklärt Corynna Kilian. „Das Trommeln muss nicht schön klingen, und es können Widerstände auftreten.“ Wichtig sei, bei sich zu bleiben, gibt sie uns mit auf den Weg.

Zum Anfang eine Pfeife

Corynna Kilian sammelt seit 1993 Erfahrungen mit indianischer Zeremonialmedizin und befasst sich mit schamanischer Selbstheilung. Seit 2002 nutzt sie die große Trommel und bietet seit 2012 Seminare an verschiedenen Orten an. Zu Beginn der Zeremonie raucht sie eine Pfeife nach indianischem Brauch. Sie lädt die Kräfte der vier Himmelsrichtungen und Krafttiere wie Eule, Rabe, Bussard und Adler ein, dabei zu sein in der Runde. Nach altem Ritual kann man auch Ahnen und noch lebende Familienmitglieder einbeziehen, sie ehren oder offene Dinge klären und sich versöhnen, wenn es an der Zeit ist.

Bevor wir lostrommeln, gehen wir gemeinsam in die Schwitzhütte. Zwischen erhitzten Steinen ist es dunkel, warm und geborgen wie im Mutterschoß. Wir atmen ein und aus und gehen in uns. Alle Teilnehmer sprechen ihre Wünsche und Fragen an nahestehende Menschen und das Leben in den Raum.

Der Wechsel von innen nach außen, von Stille und Klang begegnet uns in den folgenden Stunden immer wieder. Wir trommeln an einer zweiseitig mit Hirschefell bespannten Rahmentrommel, rund wie ein großer Tisch. Jeweils zwei Menschen sitzen sich gegenüber mit einem Trommelschläger mit Fellbesatz und Ledergriff. Es wird ausgelost, wer mit wem ein Paar bilden soll. Eine Stunde lang trommeln, zwei Stunden Pause im Wechsel, begleitet manchmal noch von Handtrommeln. Jedes der drei Paare trommelt also 16 Stunden miteinander.

Ringsherum gibt es Matratzen zum Ausruhen und Lauschen. Drei Tage nichts essen, außer Obst und Tee trinken, um innerlich frei zu werden. Tag und Nacht an der Trommel. Vor dem Fenster Regen, Schnee und Sonnenschein. Ein Lichtfenster, das sich abends in der Tiefe des Marmorbodens spiegelt, und tänzelnde Kerzenflammen begleiten uns. Herz und Geist, der ganze Körper wird offener und weiter. Verspannungen und Blockaden lösen sich.

In der zweiten Nacht bin ich bereit für das Loslass-Ritual mit einem sogenannten Hochzeitskorb aus Bast, den man vor den Bauch hält. Mit dem Ausatmen soll man sich abnabeln von den Eltern oder anderen Menschen. Ich trenne mich von alten Ängsten, Verlustschmerz und zu hohen Erwartungen. Die Trommel hält mich und nimmt alle Emotionen auf. Sie klingt mal laut und leise, mal erdig und warm und sanft und dann wieder kraftvoll und energiegeladen.

Endlich wieder durchschlafen

Einige setzen oder legen sich nah an sie heran und geben sich den Klängen hin. Die Schläger springen wie Felltiere über die Trommel. Die Klopfklänge meines Mitspielers, der seinen Schläger zeitweise auch quer, von hinten und vorn gleichzeitig bewegt, locken den Kobold in mir hervor, der sich sonst selten zeigt. Durch das herausfordernde, gewaltig trommelnde männliche Gegenüber werden aber auch wunde Punkte in mir berührt. Wie das Versöhnen der Gegensätze im Leben. Das männliche und das weibliche Lebensprinzip. Ordnung und Chaos. Eine Balance finden zwischen Nähe und Distanz in Beziehungen.

Während der Trommelzeremonie habe ich Zeit, mir über vieles klarzuwerden im Zwiegespräch mit meinen Familienangehörigen. Dadurch sind Verbundenheit und Verständnis gewachsen für ihre und meine Situation. Hinterher bedanke ich mich bei meinem Gegenüber und er ebenso. Wir lernten viel voneinander in der Art, wie wir zusammen trommelten. Er half mir, noch bewusster wahrzunehmen und zu spüren, wenn etwas zu viel wird. Klänge und Gefühle sich manchmal schlagartig entladen.

Ich genieße noch mehr das erste Essen nach den Obst-Tagen. Endlich mal wieder eine Nacht durchschlafen. Die Arme schmerzen vom vielen Trommeln, Kopfweh und Druck in den Ohren, als ich auf der Straße stehe. Und ich gebe es zu, ganz ohne Flüstern und ein paar Worte ging es bei mir nicht in den 48 Stunden. Doch ich bin wieder angekommen bei mir selber. Jeder konnte seine innere Trommel mit ihrer eigenen Melodie und ihrem Rhythmus für sich finden und mitnehmen. Und ich kann nun immer wieder in diese Kraft der Stille hineingehen, wenn es im Alltag zu laut wird. Ich habe erlebt: Wahre Stärke kommt von innen – leise und unbeschwert in die Welt

(lv)