Ganz oben auf der Showtreppe: Zwischen Glamour, Vergnügen, Sehnsucht nach Liebe und Überdruss vom Überfluss. „Wir haben alles, nur keine Zeit… Und wenn wir heut` mal leben, dann gehn wir gleich zu weit,..“, heißt eine Liedzeile aus der Revue „Zwei Krawatten“. Fotos: Pawel Sosnowski
Vom großen Los, glücklich zu sein
Rauschhaft bunt, turbulent und witzig-komisch entführt die Revue „Zwei Krawatten“ von Georg Kaiser und Mischa Spoliansky ins Berlin der Goldenen Zwanziger mit allen Höhen und Tiefen in der Regie von Matthias Reichwald in der Staatsoperette Dresden.
Auf der Showtreppe geht es geschäftig zu. Revuegirls mal in schillernden Kostümen, in Charlestonkleidern mit Fransen und mal in schwarzen Bodys und Netzstrümpfen tanzen zu flotter Tingeltangelmusik. Ein Herrenquintett, „Die Kristallkehlen aus Moabit“ in schwarzen Anzügen singen mit samtigen Stimmen à la Comedian Harmonists den Ohrwurm „Einmal möcht` ich keine Sorgen haben…“ Ein Gentleman in pinkfarbenem Umhang flirtet mit einer Frau im weißen Abendkleid und blonden Haar, die Marlene Dietrich ähnelt und stürmt im nächsten Moment mitten durch die Ballgesellschaft davon. Gerade erst kennengelernt, schon auf der Flucht?!, wundert sich die Blondine.
Doch es kommt noch verrückter. Nichts ist wie es scheint, alles ist möglich in dieser rauschhaft bunten, turbulenten und witzig-komischen Vergnügungs- und Verwechslungskomödie „Zwei Krawatten – Die Revue vom großen Los“ aus der Feder von Georg Kaiser und mit Musik von Mischa Spoliansky. Auf die Bühne der Staatsoperette Dresden kam das Revuestück unter Regie von Matthias Reichwald, der sonst als Schauspieler am Staatsschauspiel Dresden auf der Bühne steht und auch bereits inszenierte.
1929 in Berlin uraufgeführt, sorgte Marlene Dietrich in der Rolle der kühl-extravaganten Amerikanerin Mabel in diesem Revuestück für Furore, bevor sie als verführerische Nachtklubsängerin Lola im Ufa-Film „Der blaue Engel“ (1930) den Männern den Kopf verdreht und der sittenstrenge Lehrer Prof. Rath ihr vollends verfällt. Der Film „Der blaue Engel“ ist neben dem Revuestück im Zentralkino im Gelände des Kraftwerks Mitte am 11. und 12. Juni wieder zu sehen. „Zwei Krawatten“ ist eine musikalische Zeitreise ins Berlin der Goldenen Zwanziger Jahre mit all ihren Gegensätzen und in die Metropolen New York und Chicago. Beidseits der Bühne und der Showtreppe sitzen die Musiker. Die Palette reicht von schwungvoller Varietémusik, schmissigen Bläserklängen, Oldtimejazz bis zu greller Marschmusik (musikalische Leitung: Johannes Pell).
Die Kellner eilen treppauf, treppab und werfen sich die Tabletts hin und her. Einer sieht wie der andere aus in adrett weißer Montur. Ein Ballgast, der mit dem pinkfarbenen Umhang, schlägt auf der Flucht vor der Polizei dem Kellner Jean ein unglaubliches Angebot vor. Für 1 000 Mark soll er seine schwarze Krawatte gegen die elegante weiße des Gastes tauschen. Außerdem gewinnt Jean auch noch ein Tombola-Los für eine Reise in die Neue Welt, nach Amerika. Die beiden Männer tauschen mit den Krawatten Aussehen und Identität. Tatsächlich erkennen Jean seine Kellnerkollegen nicht mehr, da er jetzt eine schwarze Weste über dem weißen Hemd trägt.
Der Gauner entkommt als Kellner getarnt durch die Katakomben. Als Hochstapler sprang an dem Abend Andreas Sauerzapf für den erkrankten Kollegen Marcus Günzel ein. Singend zur Seite stand ihm Christian Grygas mit einschmeichelnder Tenorstimme. Kellner Jean (gewitzt-blauäugig: Jörn-Felix Alt) hat vermeintlich das große Los gezogen, auf dem Weg in die Welt der Reichen und Schönen. Mit an Bord auf der Überfahrt mit dem Ozeandampfer nach Amerika, durch ein ovales Holzpodest mit Liegestühlen an Deck und geringelte Badeanzüge der Damen angedeutet, sind der Herrenchor, der zünftige Lieder schmettert und säuselt. Außerdem Jeans Freundin Trude (kess mit Bubikopf und lebenslustig: Devi-Ananda Dahm), die ihm heimlich hinterherreist, nachdem sie von seinem Abschiedsgeschenk, den 1 000 Mark eine Fahrkarte kaufte und der umtriebige Rechtsanwalt Bannermann (Elmar Andree), der auf der Suche nach einer Millionenerbin ist. Die gutbetuchte Mabel (weniger elegant als forsch: Stefanie Dietrich) lässt Jean nicht aus den Augen. Alle träumen sie von Liebe, Glück, Aufstieg und einem Leben in Wohlstand. Immer kommt etwas dazwischen. Das Glück lässt sich nicht fassen, und kommt es dann unverhofft, glaubt man es kaum und will man es festhalten, ist es schon fast wieder vorbei.
In diesem Auf und Ab-Gefühl von Sehnen, Bangen, plötzlicher Glückseligkeit, Vergnügen und Maßlosigkeit bewegen sich die Revue und die verträumt-ironischen, zeitlosen Liedtexte. Da tanzen abwechselnd Matrosen und Revuegirls, gibt es eine Showeinlage mit einem halbnackten Tänzer mit Stierkopf an einer Stange, äußert sich Mabel abfällig über die fünf „Gesangsnasen aus Europa“ und ihre „Hochkultur“ bei einer Party im Club der Chicagoer „Fleischfürstin“ Mrs. Robinson, rothaarig und derb-deftig gespielt und gesungen von Silke Richter. Die reichen Damen umgarnen und Geschäftsleute umlagern Jean. Außerdem ist er immer in Sorge, dass seine Rolle als Gentleman auffliegt und er als Kellner entlarvt wird. Schön ironisch sein Lied und Seitenhieb auf den Senator und Moralapostel, der den Abbruch des Vergnügens fordert und den Jean noch als Gast aus Berlin kennt: „Es kommt nicht auf den Inhalt an, die Verpackung ist alles…“ Und setzt noch eins drauf: „Wenn man es nur servieren kann, dann frisst die Menschheit alles.“
Sehr komödiantisch und wandlungsfreudig in schnellem Rollenwechsel als Flitzer, Kellner, Kneipengäste, Matrosen, Advokaten und Reporter agieren die zwei Schauspieler Christian Clauss und Benjamin Pauquet. Witzig-schräge Slapstikeinlagen als Agenten in grünen Mänteln und Sonnenbrillen und hinter Zeitungen verschanzt, dem Hochstapler dicht auf den Fersen, liefern die Pantomimen Wolfram von Bodecker und Alexander Neander.
Dann erbt Trude überraschend 40 Millionen, vom Rechtsanwalt beglaubigt, der zunehmend ungeduldig wird, nun müsste sie doch endlich glücklich sein! Doch allein im Geld schwimmen ist langweilig! Die Sehnsucht nach Liebe führt beide wieder nach Berlin zurück. Eines Tages steht Trude wieder in dem Kellerlokal, in Jeans Stammkneipe, die sich durch eine Bühnenluke mit Tresen und Bierflaschen öffnet und schließt, wo es direkt und schnodderig zugeht und man sich schon mal wegen einer Frau prügelt. Trude ist jetzt reich und liest Jean erst mal die Leviten, bevor sie ihren Geldkoffer öffnet und Jean seinen Hauptgewinn Trude in die Arme schließen kann. Reichlich Beifall vom Publikum für einen glanzvoll vergnüglichen Abend voller Schwung, Wehmut, Leichtigkeit und Hintersinn und der Aufforderung, das eigene Glück nicht leichtfertig zu verspielen.
Text (lv)
Nächste Aufführungen: 3. und 4. Mai. 19.30 Uhr, Staatsoperette Dresden im Kraftwerk Mitte. 5 Euro Rabatt erhalten Zuschauer für das Stück „Zwei Krawatten“ in der Staatsoperette Dresden am 11. und 12. Juni gegen Vorlage ihrer Kinokarte von „Der blaue Engel“ im Zentralkino.
Vom Kellner zum Gentleman, umgarnt von den Damen und immer in Angst, aufzufliegen.