Schöne Landschaft & weiter Blick: Oben im Weinberg an der Spitzhaustreppe in Radebeul.

Weibliche Werte, die inneres Ankommen und Sich Entfalten unterstützen…
Darum geht es im Buch „Die Wiederentdeckung des Weiblichen“ von Marianne Williamson.

Literatur & Lebenswelten von Frauen stehen im Fokus der Runde um Katja Kulisch (Bildmitte), Gleichstellungsbeauftragte in Radebeul, in der Stadtbibliothek im Kulturbahnhof.

Weibliche Power aus
verschiedenen Blickwinkeln betrachtet

Um die Rolle der Frau in der Gesellschaft und was sie bewegen können, geht es in einem Literaturkreis, der Frauen und Männern offen steht, in der Stadtbibliothek Radebeul-Ost im Kulturbahnhof.

Der Buchtitel „Vagabundinnen“ auf dem Tisch deutet schon an. Hier hat sich
keine Frauenrunde zum Kaffeekränzchen, umgeben von schönen Bildern an den
Wänden verabredet. Die Nachmittagssonne scheint zum Fenster herein. Die Frauen blättern in den Büchern. „Vagabundinnen“ ist eins der bekanntesten feministischen Bücher von Christina Thürmer-Rohr, einer einflussreichen, modernen Denkerin und aktiven Mitstreiterin der Zweiten Frauenbewegung. Es erschien 1987. Das neue Buch der inzwischen 86-jährigen, in Berlin lebenden Autorin heißt „Fremdheiten und Freundschaften“ und blickt in feministischen Essays auf die Anfänge. Vorgestellt wurde dieses Buch von Andrea Siegert, die als Beraterin im Frauenzentrum „sowieso“ in Dresden arbeitet und in Radebeul wohnt, kürzlich im Literaturkreis in der Stadtbibliohek Radebeul-Ost im Kulturbahnhof.

Dort werden regelmäßig Bücher besprochen und diskutiert, die sich kritisch mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft aus verschiedenen Blickwinkeln auseinandersetzen. Den Literaturkreis veranstaltet die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Radebeul, Katja Kulisch. Seit September 2022 gibt es dieses Angebot, über Literatur  insbesondere von Frauen miteinander ins Gespräch zu kommen. „So etwas hat bisher gefehlt. Sonst verkommt Radebeul zur Schlafstadt“, sagt Susanne Tittes. Sie schreibt selbst Kurzgeschichten, feministische Science Fiction. Die Bandbreite reicht von Lea Ypsi und ihrem Buch „Frei“, Sachbüchern von Peter Modler über „horizontale und vertikale Kommunikationsformen“ zwischen Männern und Frauen bis zur Autobiografie von Erika Mann.

Sieben Frauen sitzen diesmal zusammen an dem langen Tisch, die meisten sind schon älter und haben bereits Enkel. Lisa Haufe ist noch jung, arbeitet als Buchhalterin und zum ersten Mal hier. Sie liest schon immer gern und hat nach der „Neopolitanischen Saga“ von Elena Ferrante über zwei sehr verschiedene Freundinnen auch Maxi Wanders Buch „Guten Morgen, du Schöne“ für sich entdeckt. „Mir gefällt ihre offene, ehrliche Sprache“, sagt sie und: „Alles ist politisch, auch das Private. Wie Männer und Frauen zusammenleben.“

„Es geht um verschiedene Sichtweisen, sonst wird die Welt zu einseitig. Wir brauchen sie bunt“, sagt Katja Kulisch. „Dazu gehört, das Andersdenkende auszuhalten, wenn es um die Grundwerte und Gerechtigkeit für alle Frauen geht.“ Wichtig sei daher, präsenter zu sein, in Gremien oder auf der Straße. Es sollten mehr Frauen in die Politik, findet sie. Um sich für die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen in der Gesellschaft stark zu machen. Sie weiß aber auch, dass dies durch die Doppelbelastung immer noch vieler Frauen in Beruf und Familie, zusätzlich Haushalt und oft noch die alten Eltern pflegen oder ein Ehrenamt schwierig zu bewältigen ist.

Nach der Corona-Zeit gebe es auch viel nachzuholen an Kultur- und Freizeitangeboten, was auch in Stress ausarten kann, sagt eine Frau. Diesmal war ein ebenso anspruchsvoller wie spannender, differenzierter und auch streitbarer Rückblick auf die Frauenbewegung in der alten Bundesrepublik, ihre Ideen, Erfolge, Niederlagen, Irrtümer, Neubesinnung und aktuelle Entwicklungen des Feminismus in Deutschland aus dem neuen Essayband von Thürmer-Rohr zu hören. Es geht darin um das Grundgefühl, dass wir „in einer radikalen Bruch- oder Umbruchsituation leben in einer Welt, die aus den Fugen sei, mit vertieften sozialen Rissen, rechtsradikalen Entwicklungen, ungezähmten Hass- und Rauswerfparolen und Rückrufen einer geballten Männlichkeit.“

Da sei es eine paradoxe Herausforderung, sich mit einer Welt anzufreunden, die sich der Anfreundung entzieht. „Diese gleiche Welt braucht aber Menschen, die den Zerfall zum Anlass nehmen, um zu entscheiden, was zusammenzusetzen, was zu entsorgen, was neu zu finden ist“, so Thürmer-Rohr. „Es braucht einen Gegenwarts- und Zukunftselan, der vom menschlichen Handeln noch Neuanfänge erwartet, nicht nur Reparatur- und Wiederaufbauleistungen, die alte Zustände rekonstruieren wollen.“ Ihr Buch stellt viele Fragen und bietet viele Denkanstöße z.B. dazu, wie Fremdheit und Freundschaft sich bedingen, indem man das Andere und Verschiedene anerkennt, zu Freiheit, Selbstbestimmung, Unterschieden bis zur Aufhebung der Bipolarität der Geschlechter und dennoch eigenen Facetten und Sichtbarkeit von Weiblichkeit.

„Die Geschlechterdualität würde abgeschaffen, wenn das mit der Diversität weitergeht. Dann werden Frauen wieder unsichtbar“, gibt Susanne Tittes zu bedenken. Beim nächsten Literaturkreis am 15. Juni, 17 Uhr wird ein Buch über Frauen im Iran in der Stadtbibliothek in Radebeul vorgestellt. Die Runde ist übrigens für interessierte Frauen und Männer zum Austausch offen. Außerdem trifft sich ein Literaturkreis mit derzeit drei Frauen jeden ersten Dienstag von 14 bis 16 Uhr in der Bibliothek in Coswig. Interessierte können sich anmelden bei Katja Kulisch per mal an: gsb@radebeul oder  telefonisch unter 0351-8311 807.

Text + Fotos (lv)

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