
Mit Witz und spitzer Feder Zähne zeigen und den Tiger bändigen: Mit seiner neuesten Zeichnungsserie nimmt der Dresdner Künstler Holger John menschliche Eigenarten und kleinkariertes Denken auf`s Korn. Zu sehen sind sie zurzeit in einer Ausstellung in der Vertretung des Freistaates Sachsen in Berlin.


Mit Mut und Neugier den Tiger reiten und bändigen
Um das immer wieder neu Erfinden in der Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft und denUmgang mit Umbruchs- und Krisensituationen geht es in einer Ausstellung von Künstlerinnen und Künstlern aus Sachsen in der Vertretung des Freistaates in Berlin.
Einfallsreich geht es zur Sache. Ein Mann mit Hut, Anzug und Krawatte, der Künstler selber, hält ein kleines keckes, eigensinniges Wesen mit Schnurrhaaren und einem schwarz-weißgeteilten Gesicht hoch in der Hand und zeigt Zähne. Vor ihm hockt, entspannt ein Bein ausgestreckt und die Pfote gesenkt, ein Tiger. Beide erscheinen immer wieder anders in einer Serie von acht Zeichnungen von Holger John: als Artist, Jongleur, Dompteur, Abenteurer, Geschäftsmann und Jäger, der den Tiger reitet, mit ihm ringt, ihn füttert und besänftigt. Dabei trägt er mal karierte Hosen mit Schachbrettmuster, mal Nadelstreifenanzug, Gewehr auf dem Rücken und Pfauenfeder am Hut und führt den Tiger übermütig an der Leine, der grimmig dreinschaut. Er hockt auf der Wildkatze mal nachdenklich, mal wie beschwörend eine Hand hochreckend und großspurig, mit der Weltkugel in der Hand, Papiere und Geldscheine auf dem Tisch ausgebreitet.
Mit feinem Humor und spitzer Feder, bevorzugt in starken schwarz-weißen Kontrasten und gern gegen den Strich gebürstet, nimmt John menschliche Eigenarten und kleinkariertes Denken aufs Korn. Ihn treibt die Lust am Widerspruch und Gegensätzen zur künstlerischen Darstellung. Das Spiel mit Leicht- und Tiefsinn. Ebenso wie das sich immer wieder neu Erfinden in der Kunst, in der Arbeit und im Leben. “Der kreative Künstler reitet auf dem Tiger, alle Menschen, alle Künstler, Wissenschaftler sind Erfinder und bändigen den wilden Tiger!, sagt Holger John. Dazu brauche es Mut und Neugier. Seine neuesten Feder- und Pinselzeichnungen mit Tusche auf Aquarellkarton von 2025 beziehen sich auf das Motto der Ausstellung: „Wir können mit dem Erfinden nicht aufhören, denn wir sitzen nun einmal auf dem Tiger“ von Dennis Gabor, Nobelpreisträger.
Zu sehen sind sie derzeit zurzeit zusammen mit Arbeiten von insgesamt 16 Künstlerinnen und Künstlern, die mit Sachsen verbunden sind, in einer Schau mit dem euphorisch-zupackend klingenden Titel “Durchbruch zum Besseren“, in der Malerei, Zeichnung und plastische Arbeiten aus Eisen versammelt sind, in den Räumen der Vertretung des Freistaates Sachsen beim Bund, Brüderstraße 11/12 in Berlin. Nahe der Museumsinsel mit ihren vielen Schätzen, wo man Besuchergruppen und Touristen aus aller Welt antrifft und auch Straßenmusiker, einer spielt bekannte Ostlieder, „Als ich fortging“ von Karrussel und „Über sieben Brücken“ von Karat auf einem Kassettenrekorder ab und spielt hingebungsvoll Mundharmonika. Der Himmel ist strahlendblau zwischen Berliner Dom, Alexanderplatz mit dem „Telespargel“ wie die Berliner den Fernsehturm nennen, der Prachtstraße Unter den Linden mit ihren steinernen Heroen und Möwengekicher über der Spree bis zum Brandenburger Tor, vor dem gerade eine Gedenkausstellung zu 80 Jahren Kriegsende aufgebaut ist und rege besichtigt wird. In der Ausstellung der Sachsen in Berlin ist an diesem Nachmittag kein Mensch außer der Pförtnerin zu sehen, wohl wegen des schönen Wetters, weil sie beschäftigt sind oder zu wenige wissen von diesem sehenswerten Ausstellungsort.
Das „Sächsische Haus“, wie es in Berlin lebende Sachsen nennen und gern besuchen, ist ein Treffpunkt für Menschen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien. Dort finden Podiumsdiskussionen, parlamentarische Abende, Ausstellungen und Regionalpräsentationen auf Einladung statt. Außerdem können Interessierte über einen Newsletter erfahren, was im politischen Berlin gerade passiert, mit welchen Auswirkungen auf Sachsen und kann sich über Veranstaltungen in der Landesvertretung informieren. „Die derzeitige Ausstellung stellt Programme und Menschen vor, die sich der Lösung zeitgenössischer Probleme innovativ und eigenverantwortlich annehmen“, steht dazu auf der Webseite der Landesvertretung Sachsen zu lesen. Dies geschehe natürlich mit einer sächsischen Perspektive, die nicht unzufrieden oder rückschrittlich sei, sondern optimistisch und zupackend. Erinnert wird an die Entwicklung des sächsischen Eisengusszentrums Wolkenburg seit dem 18. Jahrhundert, worauf auch die neuen, gusseisernen Skulpturen in der Ausstellung Bezug nehmen. Es geht außerdem um die fantastischen Initiativen des Grafen Einsiedel bis zum Bau des Einstein-Teleskops im Lausitzer Granit. Gezeigt werden Ausstellungsstücke, farbige Kristalle aus der geologischen Sammlung der TU Bergakademie Freiberg und moderne Holografien aus der sächsischen Kunstsammlung Böhm. Es sind außerdem Arbeiten aus der Kooperation mit der Academy of Art and Design in Wroclaw, Partnerstadt von Dresden, zu sehen. Schirmherren des Projekts neben dem Esche Museum und Museum Schloss Wolkenburg sind die Freunde und Förderer der TU Bergakademie Freiberg.
In den Arbeiten der Künstlerinnen und Künstler geht es um deutsche Vergangenheit und Gegenwart und die Auseinandersetzung mit Umbruchs- und Krisensituationen. Neben Holger Johns Tiger-Zeichnungen hängt ein großformatiges Ölgemälde, sandsteinfarben, von splitternden Flächen wie eine Zielscheibe überzogen, mit großem schwarzem Loch in der Mitte. Es trägt den Titel „Glas 7“, 2024 gemalt von der aus Dresden stammenden und inzwischen in Berlin lebenden Künslerin Franziska Klotz. Ihre Schönheit, Brüche und Zeitspuren filigran spiegelnden Glas-Bilder waren zuletzt im Februar zu sehen in der Ausstellung „Aschermittwoch“ zum 80. Jahrestag der Zerstörung Dresdens und dem 20. Todestag des Künstlers Siegfried Klotz, erstmals gemeinsam mit Arbeiten ihres Vaters, einem der bekanntesten Vertreter der Dresdner Malschule, veranstaltet in der Galerie Holger John in der Rähnitzgasse 17 im Barockviertel. Klotz war sein Lehrer für Malerei an der Dresdner Kunsthochschule Ende der 1980er Jahre und geschätzter Künstlerkollege. Nachdenklich stimmt auch der Anblick der „Quadriga“, die von ihrem Sockel hoch auf dem Brandenburger Tor gefallen scheint.
In der Ausstellung der Landesvertretung Sachsen liegen die vier Pferdeköpfe einzeln nebeneinander auf Stelen, schwarz aus versilbertem Glas und Schmiedebronze wirken sie wie Fundstücke aus einer anderen Zeit. Dahinter an der Wand hängen je ein Paar Flügel aus Leder, schwarz golden und splittrig. Die Objektgruppe von 2022 stammt von Susanne Roewer, Bildhauerin und Kuratorin der Ausstellung.
Ein Stück weiter steht ein erdfarben und orange leuchtendes Gehäuse, das an morsches Wurzelwerk erinnert. „Letzter Morgen II“ heißt dieses Unikat von 2014 von Erik Seidel. Von der Sehnsucht nach Verbundensein zwischen Mensch und Natur, Heim- und Fernweh erzählt in federleichten Linien und schemenhaften Körperumrissen, mit mächtiger Baumkulisse und einer Person in einem rot schimmernden Boot auf dem See, eine Zeichnung von Rao Fu von 2019.
Ausdrucksstark und ähnlich in der Thematik ist außerdem sein Acrylbild auf Leinwand, „Boy and Mermaid“ von 2024. Es zeigt einen Jungen im meerblauen Shirt und Haarschopf, der einen Wasserbeutel mit einer im Licht funkelnden kleinen Seejungfrau in der Hand hält und sie gebannt betrachtet, zusammen mit einem kleinen schwarzen Hund neben ihm am tiefroten Tisch, der schon auf einen leckeren Happen lauert. Ein fantastisches Bild, das Neugier auf Anderes, Bezauberndes, Geheimnisvolles, Fremdes weckt. Doch wie weit darauf einlassen, ohne dass der Andere gerade dieses Eigene, Besondere verliert oder Schaden nimmt?! Das bleibt spannend in der Schwebe und wirft viele Fragen auf, die jeder für sich beantworten kann.
Im Innenhof des Gebäudes steht an der Wand das Wort Weite vielfarbig und variantenreich neben-, über- und untereinander und diagonal, vorn groß und nach hinten immer kleiner werdend die Weite bis sie fast verschwindet im Weiß und Himmelblau. Man hat die Weite vor Augen durch große Glasfenster im Sitzungssaal mit Rednerpult vorn mit Sachsenwappen, hinter dem die EU-Fahne mit Sternen, die Deutschland- und die grün-weiße Sachsenfahne stehen, die auch vor dem Gebäude wehen.
Die Ausstellung ist noch bis 17. August 2025 in der Vertretung des Freistaates Sachsen in Berlin zu sehen.
Text + Fotos (lv)
Geöffnet: Täglich von 10 bis 18 Uhr
Weitere Infos unter: http://www.landesvertretung.sachsen.de/veranstaltungen

„Boy and Mermaid“ von Rao Fu, 2024


Sitzungsraum mit Aussicht auf Weite, die vor den Glasfenstern vielfarbig schwebt.

Das Sächsische Haus nahe der Museumsinsel ist ein Treffpunkt für Menschen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien.

