Vielfarbige Blicke auf die Welt und ihre Widersprüche
Unter dem Motto „Error: X“ zeigen derzeit rund 200 Künstler aus 42 Ländern über eintausend Werke auf der 10. Internationalen Ausstellung zeitgenössischer Künste Ostrale. Zugleich ist es ein Alarmsignal für die ungewisse Zukunft der Kunstschau in den denkmalgeschützten, maroden Futterställen im ehemaligen Erlwein-Schlachthofgelände im Ostragehege.
Die Vielfalt der Themen und Ausdrucksmittel von Malerei, Grafik über Installationen bis zu Medienkunst ist teils verblüffend einfach, spannend, an- und aufregend im Aufeinanderprall der unterschiedlichen Kulturen und Sichtweisen auf die vielen Konfliktherde in der Welt. Dabei lenkt die Schau den Blick auch auf zeitgenössische Kunst aus nichtwestlichen Ländern und Afrika. Außerdem sind viele Künstler aus Osteuropa auf der Ostrale vertreten. Die Ausstellung wirkt wie ein großes Suchspiel mit Kunst: Finde den Fehler im System.
„Der Titel ,Error X` und die Werke lassen sich vielseitig interpretieren. Liegt der Fehler im digitalen Bereich, in der Wirtschaft, Politik oder im Kunstbetrieb selber?“, sagt Franziska Wolf zu Beginn der einstündigen Führung. Sie hat Kulturwissenschaften in Amsterdam studiert, eine Weile in Frankreich und Spanien gelebt. Auf der Ostrale begleitet sie mit anderen Kunststudierenden seit Juli jeweils am Wochenende Interessierte und bringt ihnen ausgewählte Kunstwerke näher. Schön sei, wenn die Besucher sich darauf einlassen und über das Gesehene diskutieren. „Das ist auch die Kraft der zeitgenössischen Kunst, dass sie die Widersprüche der Gegenwart zeigt und auffordert hinzuschauen“, sagt Franziska Wolf. Diesmal sind es zehn Teilnehmer. Sie stehen vor einem traditionellen Stick-Bild mit der Aufschrift „Less is enough“ (Man braucht weniger als man denkt) der polnischen Künstlerin Monika Drozynska, das vorher in einer U-Bahnstation hing. Weiter geht es zu einer abstrakten Malerei. „Es kann ein schmelzender Eisberg sein oder auch Erinnerungen, die verblassen“, meint Franziska Wolf zum Bild „Melt“ von Christian Manss.
Auf einer Fläche stehen labyrinthartig angeordnete Radios, wo man hin und her läuft im ständigen Stimmengewirr und täglichen Informations-Dschungel der Medien, unter „Soundduschen“ aus Glasschirmen kurz anhält, da einem dort plötzlich persönliche Erlebnisberichte aus Krisengebieten näher rücken.
Zu sehen ist außerdem ein farbenfroher Perserteppich aus Papierschnipseln, den Ramona Seyfarth auslegte, den man betreten und verändern kann. Eine Installation mit grellgrüner, aufgeblasener Plastlandschaft mit Kaktus, goldenen Blüten und Kissen zieht den Blick auf sich. “Blühende Landschaften“ nennt der deutsch-türkische Künstler Yediler seine Installation. Auf flimmernden Bildschirmen ertönt eine „Symphonie für Computer“ mit Geräuschen zwischen Start und Absturz und wiederholter Fehlermeldung, installiert hat sie der polnische Künstler Kasper Lecnim. „Die Vielfalt der künstlerischen Techniken und Blicke auf die Welt ist atemberaubend und beeindruckend. Es wäre daher traurig, wenn es die Ostrale nicht mehr gibt“, sagt Birgit Wagner aus Dresden, die seit drei Jahren hierher kommt.
„Dresden braucht einen solchen unkonventionellen Ort für moderne Kunst, auch um sich mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen“, meint Babette Weinrich. „Dinge und Ausstellung sollten aber nicht an einen Raum gebunden sein, vielleicht findet sich eine neue Location dafür.“ „Man betritt hier unerschlossenes Gebiet. Klar, zeitgenössische Kunst ist auch anstrengend, denn man sieht und erlebt sie nicht passiv, sondern aktiv“, sagt Mandy Unger. Sie ist Performerin, studiert Tanz und Theaterwissenschaften in Bern und kam spontan mit einem Bekannten zur Ostrale. Vielleicht könne ein Kulturticket an bestimmten Tagen für verschiedene Zielgruppen helfen, ein breites und bunt gemischtes Publikum in allen Generationen zu erreichen. „Kunstobjekte kann man nicht so schnell konsumieren wie einen Kaffee bei Starbucks. Die Rahmenbedingungen und das Verständnis für zeitgenössische Kunst muss die Stadt schaffen, um die Ostrale noch attraktiver zu machen“, findet David Lau, Schauspielstudent in Hannover.
„Die Ostrale ist erst dann gerettet, wenn die Sanierung der Futterställe beginnt“, sagt Andrea Hilger, die künstlerische Direktorin der Kunstausstellung. OB Dirk Hilbert habe bei seinem Besuch nur mündlich Zugeständnisse gemacht, dass die Stadt eine Lösung für die Ostrale finden will. „Wie der Kompromiss aussieht, damit sie 2017 überhaupt noch stattfinden kann wegen mangelnder Bausicherheit, ist derzeit völlig offen“, so Hilger. „Wir brauchen einen festen, gesicherten Ort für die Ostrale, da wir mit Kooperationspartnern unsere internationalen Kunstprojekte einschließlich aufwendiger Transporte langfristig vorbereiten und finanzieren müssen. Es investiert auch niemand in die verfallenen Gebäude, wenn deren Zukunft ungewiss ist.“ Überdies würde ein Abriss der Futterställe genauso viel kosten wie eine Sanierung – rund vier Millionen Euro sind dafür veranschlagt. Im September soll der Stadtrat nun über den künftigen Standort der Ostrale und mögliche Finanzierungsmodelle wie eine Stiftung entscheiden, in deren Besitz die bislang städtischen Futterställe dann übergehen könnten.
Die diesjährige Ausstellung sahen bisher rund 5 000 Besucher. Nach der Ferienzeit rechnet Andrea Hilger wieder mit mehr Zulauf von Dresdnern wie Touristen: „Wir haben schon Anmeldungen von Schulen. In nächster Zeit werden sich 4 000 Schüler bei uns Kunst aus aller Welt anschauen.“ Die Ostrale ist noch bis 25. September zu sehen. Die Kunst-Führungen finden Sa und So um 14 und 17 Uhr statt.
Weitere Programminfos unter http://www.ostrale.de
Text + Fotos (lv)