Fotos: Sebastian Hoppe

Kästners Leben erzählt von einer grandiosen Kinderbande

Mit viel ironischem Witz und Herz blickt die Inszenierung, die gestern abend Premiere im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden hatte, auf Leben und Werk des bekannten Dresdner Schriftstellers und meistübersetzten deutschen Kinderbuchautors und die Stadt seiner Kindheit einst und heute.

Ein halbes Jahrhundert ist es nun her, dass er ein kleiner Junger war. Was ist aus Dresden, der Stadt seines weltberühmten Kindheitsromans geworden? Wie sah Erich Kästner sich selbst als Mensch und Künstler und andere ihn, die „literarische Ikone dieser Stadt“? Das beeindruckend vielschichtige Leben und Werk des Schriftstellers, Drehbuchautors, Lyrikers, Feuilletonisten, Humoristen und Moralisten, Womenizers und großen Kinderseelenkenners holt die spannend-bilderreiche Inszenierung „Parole Kästner!“ auf die Bühne. Die Premiere war am Sonntagabend im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden.

Der Text zu dieser politischen Kästner-Revue entstand während der Probenarbeit, es gibt reichlich Selbstaussagen und bekannte Zitate von ihm wie „Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es“ oder „Das Leben ist immer lebensgefährlich“ und es flossen Auskünfte aus der Kästner-Biografie „Keiner blickt dir hinter das Gesicht“ von Sven Hanuschek in die Aufführung unter Regie von Jan-Christoph Gockel ein. Angeführt von einer quirlig quasselnden Kinderbande tauchen die Zuschauer knapp zwei Stunden in Leben und Werk Erich Kästners ein, gespielt von Matthias Reichwald in grandiosem Zusammenspiel. Die sechs Kinderdarsteller treten wie kleine Erwachsene auf und halten ihnen zugleich den Spiegel vor, zusammen „Auf Erich!“ ihr Idol anstoßend. Mal aufmerksam zuhörend, mal wild durcheinander redend, humorvoll, berührend, beklemmend, eindringlich und nachdenklich blicken sie gemeinsam auf die Geschichte und Gegenwart Dresdens.

Mit der Kinderbande hangelt Reichwald als Kästner mal unbeschwert als großes Kind im Matrosenanzug an der Kletterstange, liest er ihnen anrührend und ein wenig lehrerhaft aus seinen Kinderbüchern vor. Streiten die Eltern unterm Tannenbaum und überbieten sich mit ihren Geschenken, leidet Kästner unter der ewigen Rolle als „Musterknabe“ für seine stets besorgte Mutter. Wie ein Reiseführer, stolz, aber nicht verklärend blickt er mit Ironie und Wehmut auf das alte Dresden, in dem die Kinder unter Leuchtlaternen in zuckersüß opulenten Kostümen barocker Bauwerke (Ausstattung: Sophie du Vinage) umher wandeln, die Zwingerdame und die orientalische Yenidze im schwarzen Kleid und Kopftuch einander umarmen demonstrativ, in einem Seitenhieb auf provinziellen Kleingeist – mit Szenenbeifall vom Publikum. Da wechseln schnelllebiges Großstadtleben zu Songs wie „Sachliche Romanze“ und Textpassagen aus „Fabian“, beschreibt Kästner soziales Elend und vergnügt sich mit wechselnden Damen zu Charleston- und Swingklängen und holen ihn Albträume mit Erinnerungen aus zwei Weltkriegen ein, die Bücherverbrennung auch seiner Werke und spätere Wut, nur still die Faust geballt zu haben. Da fahren Panzer auf der Bühne umher, hängen besitzerlose Schuhe gespenstig an Seilen und stehen die Kinder in braunen Uniformen mit Hitlergruß am Bühnenrand, herrscht minutenlang quälendes Schweigen im Saal und nehmen sie die Arme erst herunter als sie schmerzen.

Am Ende sitzt der alte Kästner einsam da, staubbedeckt Kopf und Anzug und zieht Lebensbilanz, weniger auf die weltverbessernde Wirkung von Literatur als auf menschliche Größe hoffend: „Wer die Menschen ändern will, der beginne bei sich selbst und höre bei sich wieder damit auf…“ Reichlich Beifall für einen lebenssprudelnden Theaterabend mit den unverändert, zeitlos zu Herzen gehenden Texten Kästners.

Text (lv)

http://www.staatsschauspiel-dresden.de

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