Podiumsrunde mit den Gesprächsgästen Jens Weißflog, Harald Hauswald und Stefan Wolle, moderiert von Vertretern der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.

Das pure Leben

Die Ausstellung „Voll der Osten“ mit Fotografien von Harald Hauswald in den Landesbühnen Radebeul nimmt die Besucher mit auf eine bewegend-spannende Zeitreise in die DDR.

Ein Foto, das Bände spricht. Drei Männer sitzen in einer U-Bahn
in Ostberlin. Der eine betont gleichgültig, sieht weg. Der Mann in der Mitte schaut müde, eine Hand verbunden, über seine Aktentasche. Der alte Mann mit Fellmütze neben ihm sieht traurig, besorgt aus. Ein anderes Bild zeigt eine Gruppe aus einem Seniorenheim auf einem Ausflug an der Ostsee, sie gehen am Strand in einer Reihe hintereinander, einige stehen abwartend da, die anderen werfen Ringe in die Luft, schwenken sie und winken in die Kamera. Nahe geht auch die Momentaufnahme mit der scheuen Katze auf dem Fenstersims und zwei Kindern, die halb die Gardine über dem Kopf, aus dem Fenster schauen. Schüchtern und neugierig zugleich.

Das Bild der Fahnenträger am Alexanderplatz, vom Regen aufgeweicht und aufgelöst die starre Ordnung, zeigt schon die Endzeitstimmung. Einige der Fotografien hängen vor den großen Glasfenstern im Foyer der Landesbühnen als besondere Hingucker der Ausstellung “Voll der Osten – Leben in der DDR“ von Harald Hauswald mit Texten des Historikers Stefan Wolle. Sie kam zustande mit Unterstützung  der Bundesstiftung zur Aufklärung der SED-Diktatur. Zur rege besuchten Eröffnung der Schau am Montagabend gab es eine Podiumsdiskussion, moderiert von Vertretern der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Mit dem aus Radebeul stammenden Fotografen Harald Hauswald, der hier 1954 geboren wurde und 1977 nach Ostberlin zog, dem Historiker Stefan Wolle und dem bekannten Sportler und mehrmaligen Skisprungweltmeister der DDR, Jens Weißflog, der inzwischen als Hotelier und kommunalpolitisch aktiv ist.

Kurz vor dem Jubiläum 30 Jahre „Friedliche Revolution“ im kommenden Jahr nimmt die Ausstellung die Besucher mit auf eine Zeitreise in ein Land, das Geschichte ist. Jedoch mit vielen Geschichten, Erinnerungen, Lebensläufen, die bis heute nachwirken und auch gesehen werden wollen. Es ist bereits die zehnte Ausstellung dieser Art, die an öffentlichen Orten im In- und Ausland unterwegs ist. Die Bildertafeln mit den Schwarz-weiß-Aufnahmen Hauswalds sind in 18 Themen gegliedert, die aus subjektiver Perspektive erzählen von Abschied, Einsamkeit, Gemeinschaft, Kindheit und Jugend, Neugier, Flucht, Macht, Lüge bis Zärtlichkeit.

Hauswald begann als Telegrammbote in Ostberlin nebenher zu fotografieren im Prenzlauer Berg. Westberliner Freunde brachten ihm Fotobücher mit, wo er vor allem die Magnum-Fotografen aus Paris sich zum Vorbild nahm mit ihrer Straßenfotografie, die authentisch Menschen, Situationen und Stimmungen festhält. Bilder, die überall auf der Welt verstanden werden, wie das sich küssende junge Paar an einem U-Bahnaufgang, fröhliche Hinterhoffeste oder die Anspannung vor einem Fußballspiel zwischen Fans und Ordnungskräften.

„Diese freie Fotografie, die das pure Leben ablichtete, gab es im Westen nicht, außer während der `68er-Bewegung“, so Hauswald. Fotomaterial war erschwinglich und gut, bis auf die braunstichigen Farbfilme und das Leben kostete fast nichts. Jens Weißflog vermisst in den Schwarz-weiß-Fotos Hauswalds „etwas die Buntheit des Lebens, die es ja auch gab in der DDR. Man ist nicht den ganzen Tag gebeugt unter der Diktatur herumgelaufen. Es ist die große Bandbreite der Geschichte, die verbindet“, sagte er mit Blick auf die Ausstellung, die jeder aus seiner Biographie und Erlebtem heraus betrachtet. „Es sollte jedem gestattet sein, dass er bestimmte Dinge korrigiert und seine Lebenswirklichkeit hat“, so Weißflog. Mit der Wende veränderte sich nicht so viel für ihn. „Bei mir ging es darum, möglichst weit und schön zu springen, das ging in Ost wie West, von oben nach unten. Die Welt um mich herum hatte sich verändert, doch was ich tat nicht“, sagte der Skispringer. Die Wendezeit sei wahnsinnig spannend gewesen. „Doch um überhaupt Erfolg zu haben auch nach der Wende, musste man sich auch selber kümmern, auf Sponsorensuche gehen.“

Harald Hauswald fotografiert derzeit für ein Projekt zum Thema Europa der Fotografen-Agentur Ostkreuz und fährt dafür zusammen mit seiner Frau mit der Bahn die Route des Orient-Expresses. Mit dem Rail-Road-Ticket könnten auch junge Leute quer durch Europa, von Skandinavien bis zum Balkan reisen. „Das Beste was man machen kann, um andere Nationen in Europa besser zu verstehen“, sagt Harald Hauswald. Die Foto-Ausstellung „Voll der Osten“ ist noch bis 25. November in den Landesbühnen zu sehen.

Text + Fotos (lv)

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