Lebhafter Austausch untereinander & mit dem Publikum: 13 muslimische Frauen und Mädchen reden offen über Glauben, Religion, Träume, Ängste und Frausein.
Neugier, Offenheit, Lebensfreude: Mit mal leisen, mal kraftvoll rockigen Liedern singen und trommeln die Frauen alles heraus, was sie bewegt. Fotos: Sebastian Hoppe
Nie den Glauben an sich und seine Träume verlieren
Über ihr Leben mit oder ohne Kopftuch im Spannungsfeld von Traditionen, Religion und eigenen Lebensvorstellungen erzählen, singen, trommeln berührend mit viel Power dreizehn Frauen und Mädchen in der Aufführung „Ich bin Muslima – Haben Sie Fragen?“ von Martina van Boxen. Die Premiere war am Sonntagabend im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden.
Sie sehen bezaubernd aus wie aus einem orientalischen Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Sharazad trägt ihr langes, schwarzes Haar offen, eine weiße Seidenbluse und spielt Schlagzeug. Khanssaas Kopf schmückt eine weiße Kappe, sie ist eine der Gitarristinnen. Halas dunkle Locken hält ein rotes Stirnband, wenn sie übermütig trommelt. Hiba singt in weißem Kleid mit wundervoller Stimme. Sie alle haben eins gemeinsam: „Ich bin Muslima – Haben Sie Fragen?“ Die gleichnamige Aufführung von Martina van Boxen, ein Projekt der Bürgerbühne in deutscher und arabischer Sprache, hatte Premiere am Sonntagabend im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden.
Die Bühne umgibt eine Ziegelsteinfassade, durch ein großes Fenster fällt der Blick auf die Frauenkirche und Baukräne. Am Bühnenrand stehen Sofas mit bunten Kissen, auf denen die Akteurinnen Platz nehmen. 13 Frauen aus verschiedenen Ländern, die jüngste zehn, die älteste 67 Jahre alt, erzählen über ihr Leben, ihre Familie, die verlorene Heimat, die Flucht und das Ankommen in einer unbekannten Welt. Sie sind Bauingenieurin, Anwältin, Künstlerin, Kosmetikerin, Hausfrau, Alleinerziehende, Schülerin und Studentin. Drei der Frauen tragen ein Kopftuch.
Mit schöner Selbstironie posieren die Frauen zunächst wie in einer TV-Talkshow und reden mit hohen, künstlich-verfremdeten Stimmen. Es geht um Vorurteile und Klischees über muslimische Frauen im Spannungsfeld von Tradition, Religion, Fanatismus und eigenen Lebensvorstellungen. Es wird geredet über Kinderehen, Frausein und Frauenrechte im Islam in den Gesprächen der Frauen untereinander und mit dem Publikum, aufschlussreich und nahe gehend unter Regie von Martina van Boxen auf die Bühne gebracht. Anfangs zögerlich, erfüllen bald lebhaftes, babylonisches Stimmengewirr, unverhüllte Neugier, Offenheit und Lebensfreude, Musik und Gesang der 13 Darstellerinnen die Bühne.
Auf die Frage einer Zuschauerin: „Sitzen Aufpasser im Publikum?“, antworten die Frauen: „Möglich.“ Es sind einige arabische Männer unter den Zuschauern. Sie summen mit bei den vertrauten Liedern und einige klatschen Beifall, als Huda, eine junge Frau mit Kopftuch sagt, sie trage es, um ihre Schönheit zu beschützen nur für einen Mann. Zugleich sagt sie, dass die Menschen selber bestimmen können, wie sie mit den Werten des Islam und dem Koran umgehen. Mit Lachen reagieren die muslimischen Frauen auf die Frage, ob Frauen ins Paradies kommen und dann dort auch junge Männer auf sie warten. Sie bewirten die Zuschauer mit süßem schwarzen Tee und lassen es Bonbons regnen bei einer Hochzeitsfeier-Szene. Da wechseln leise, temperamentvolle und kraftvoll rockige Klänge, mit denen die Frauen ihre Traurigkeit und Schmerz um das verlorene Zuhause, alte und neue Grenzen und Zwänge als Geflüchtete in einem fremden Land heraus singen und trommeln. Erscheinen ihre Gesichter in Großaufnahme auf der Leinwand vor der Frauenkirche im Wechsel mit Bildern ihrer zerstörten Heimatstädte in Syrien, Irak und und Afghanistan.
Ihr Glaube bedeutet den Muslimas „Freude und innere Zufriedenheit“, ein „Kompass, der mich führt“, andere sehen sich davon in ihrer Freiheit und Selbstentfaltung eingeschränkt. Eine Frau aus einer FB-Gruppe muslimischer Frauen verliest erschütternd, was muslimische Frauen alles nicht dürfen, von nicht rausgehen nach Sonnenuntergang bis zur Kontrolle über ihre Partnerwahl und körperlicher Gewalt bei Ungehorsam. Doch egal wo man lebt, man darf nie den Glauben an sich selbst und seine Träume verlieren, singt Hiba, eine junge Frau aus dem kriegszerstörten syrischen Aleppo mit warmer Stimme. Denn es gibt auch die hoffnungsvoll-unbeschwerten Bilder von muslimischen Frauen und Kindern, die fröhlich in die Kamera lachen im Frühling auf den Elbwiesen in ihrer neuen Heimat. Herzlicher Beifall für einen Abend verschieden schöner, stolzer und starker Frauenstimmen, die endlich aus dem Verborgenen heraus, in der Öffentlichkeit gesehen und gehört werden.
Text + Foto (1) (lv)