Der Seifenblasenmann

Er wankte torkelte ein wenig
als er seine Sachen zusammenpackte
fast wie die vielen lustigen Kringel
aus Seifenschaum
die er in die Luft auf Reisen schickte

allein stand er auf dem Platz vor dem Supermarkt
am alten Straßenbahnhof
umringt von drei Polizisten mit Masken
die ihn mitnahmen

neben ihnen ein Rettungswagen
ein Rucksack und die zwei langen Stäbe
die er in den Händen hielt
wenn er sein schillerndes Heer
überschäumender Freude
aus dem Wassereimer empor steigen ließ

wie beim Diabolo dirigierte
hin und her schwenkte
und tanzen ließ

die Kinder hüpften vergnügt
den Seifenblasen nach sie zu fangen
Erwachsene schauten ihnen
versonnen nach
bis nur noch eine Pfütze auf dem Asphalt
übrig blieb

der Seifenblasenmann saß manchmal
auf dem Fensterbrett eines Geschäfts
ein junger etwas wunderlicher Zausel
der nie bettelte einige warfen ihm Münzen zu
in seiner Welt lebte

vor sich hin murmelte lachte
manchmal einen Schluck zu viel trank
und rauchte mit klammen Fingern
bei Wind und Wetter draußen

wovon träumte er
mit ihm ging etwas verloren

LV
12.5.2021

Unter Bäumen
(Für Mutter Erde)

Beraubt seines stürmischen Gemüts
oder berauscht vom Duft
streift der Wind sacht durch die Blütenbäume
an der Elpromenade
die ihre knorrigen Glieder vergessen
keck in verschwenderischer Pracht
wie im Tanz die Blütenköpfe wiegen

Blütentrauben biegen sich herunter
zu denen die auf Picknickdecken liegen
im konfettibunten Gras zwischen zerzausten
Gänseblümchen und gaukelnden Schmetterlingen
nach denen ein kleines Mädchen in weißem
Kleid und Schleife im Haar hascht
eine Frau steckt Blüten an ihre Schuhe

Breite deine Arme aus
über den Bäumen
über allen die im Geäst
unter den Zweigen
Geborgenheit und Schutz suchen
Stürme überstehen
im Fallen das Schöne nie übersehen

Besänftige die Lauten
schenke Licht denen die frieren
und den Unverfrorenen
wenn Bäume und Gräser Schatten werfen
dass sie das Dahinter sehen

Lass im Azurblau des Morgens
den Tag an Blässe verlieren
nimm der Nacht ihre Schwärze
wenn wir unsere Erdhaut fühlen

der Wind weht Blütenblätter aufs Papier
ins Haar sammle ein paar auf
von diesem Moment unendlicher Fülle
in deinem Gesicht Mutter Erde Pachamama

LV
9.5.2021

Worte

Worte geben uns
wider hallen nach

wir hören uns
andere Worte
spielen PingPong
ein Wort gibt das andere

hören wir auf uns
wann werden wir stumm
im blinden Wortgestöber

ob ich auch mal in den Schuhen
eines anderen gehe fragst du mich
als ginge dann alles besser
die auf meinen Worten herumtrampelt

sie mir entreißt verdreht wegschreit
all die fröhlichen Menschen im Frühling
draußen sehe ich wie durch einen Film

LV
29.4.2021

Abwehr
(Für A.)

Der Abstand wurde größer
unser Schweigen immer länger
Nun ist es heraus:
Hoffnungslose Ignorantin nennst du mich
ein kleiner Stich ins Herz
mit großer Wirkung
stärker als jeder Virus

wie kannst du dir so sicher sein
alle die anders denken über C.
sind „Schwachomaten“ für dich
doch wer hat die Deutungshoheit darüber

auf Bildern kneifst du oft
die Augen zusammen
blinzelst in die Sonne
blendet sie dich oder
was hindert dich klar zu sehen

wer bist du ohne alles andere
Mann Kinder Arbeit
wehrlos wirfst mir vor
ich würde mich nicht wirklich
für andere Menschen interessieren
doch ich lebe nicht nur für mich selbst

der Riss geht tief zwischen uns
bis in Kindertage
die Seele früh mit Stachelhaut überzogen
wir beide
nach und nach abgestreift
uns eingerichtet

doch noch längst nicht alles verwunden
voll auf Abwehr nun
immun zeigen gegen jegliche Eigenart
Auffälligkeit Verletzbarkeit
vermeintlicher Schutz

doch aus jeder stachlig unscheinbaren Raupe
schlüpft eines Tages
ein prachtvoller Schmetterling
der fliegt wohin er mag

LV
11.4.2021

Zerbrechliche Welt

Ein kalter Wind zaust
den bunten Osterstrauch
hinterm Haus
in der Natur regt sich vieles
unentwegt vieles geht entzwei
wird nie ausgebrütet
außer in Gedanken

wie der Spruch im Netz
über ein Ei das durch äußere Kraft
gebrochen wird
womit Leben endet
bevor es begann
doch wenn die Schale von innen
aufbreche
beginne Leben

Wann beginnt wann endet etwas
was hält uns noch zusammen
was ist zerbrochen in dem Mann
der vorm Neustädter Bahnhof steht
wirres Haar und Zigarette im Mundwinkel
neben sich einen Einkaufswagen voll
Habseligkeiten die ein Wollpullover wie eine
Decke umhüllt
er bindet seine beiden Hunde an
einen hellen halb blinden und einen
schwarzen mit weißen Pfoten der erst den Mann
dann mich ansieht mit fragenden Augen
ich lege ihnen fünf Euro in die noch leere Mütze
die Hälfte des Scheins für mein Osterbrot

ein älterer braunhäutiger Mann rutscht vom
Fensterbrett am Bahnhofsgebäude
mit nur einem Bein und sieht mir nach
vor sich hin murmelnd
ich habe keine Münzen mehr

die ersten Forsythia leuchten am Straßenrand
die Knospen der Magnolien springen bald auf
der Himmel zerfällt in grauschwere Wolken
und hellblaue Flecken
ich komme an zwei Uhren vorbei
jede geht anders und freue mich
über die gewonnene Zeit

die mich einen Moment davon trägt mit den
Zeilen an einem Ampelmast: Ich träume von
einer Welt, in der jeder sein kann wie er will
ohne deswegen Angst haben zu müssen,
gezeichnet von #gelbe Zettel

Ich stehe im Regen und denke an den Mann
und seine zwei Hunde
die ihm und er ihnen beim Überleben helfen

LV
27.3.2021

Vor dem Flug

Den ganzen Tag stand die Sonne
hoch über der grauen Wolkenherde
doch die Nachtschatten fielen
nur langsam ab
ein Vogel sang leis in der Früh
Raben krächzten ich dachte an die Nüsse die
ich ihnen zu knacken gab
die sie erfreut im Schnabel forttrugen
die innen faul waren
wie ich später bemerkte

aus der Wolkenburg fällt Sonnenglanz
in den Fluss
ein Entenpaar erhebt seine Flügel
ein Entenjunges setzt an zum Flug

zwei Jungen stehen am Ufer
und schlagen mit Stöcken um sich
ein Kind weint im Wagen
es ist blass und ballt die Fäustchen
ich kann dich nicht immer tragen
sagt seine Mutter
das Kind weint stärker

weinend läuft ein Steppke im blauen
Kosmonautenanzug neben seinem Vater her
ich denke an ein Kinderbild
auf dem Arm meiner Mutter im Schnee

wie oft hat sie mich gehalten
ich weiß es nicht mehr
wie gern würde ich sie noch einmal
umarmen
ein rötliches Band am Horizont
begleitet mich

LV
22.3.2021

Der SchuhBaum

Unten am Fluss schreien
Wildgänse in die Stille
umfließt Abendrot
dunkle Baumumrisse
voll verirrter Dinge

ich hielt sie zuerst für Vögel
doch dort hängen Schuhe paarweise
an den Schnürsenkeln in den Zweigen
nichts drückt drängt trägt
veranlasst sie mehr zum Gehen

sacht bewegt vom Wind
halten sie sich in der Luft
Schuhe von kleinen und großen Füßen
wie klobige Elbkähne und elegante Ballerinas
zwei rosafarbene nah am Stamm
ein einzelner Turnschuh mit schwarzem
Schnürsäckchen
ein paar Badelatschen abgelegt auf einem
Strauch unweit vom Ufer

Keiner wundert sich
keiner bleibt außer mir stehen
die aufgehängten Schuhe im Baum
anzusehen

Wer hat sie verloren ausgezogen hergegeben
Wer kletterte mit ihnen bis hinauf
in die Baumkrone
heraus aus ausweglosen Spuren

von weitem sehen sie aus wie Vögel
ein Rabe lässt sich kurz nieder
putzt sein Gefieder neben dem
festhängenden Schuhschwarm

Vorn vor dem erleuchteten Ball- und Brauhaus
vis a vis zum Fluss
steht eine Warteschlange
und lässt hohe Bierkrüge für daheim
nachfüllen

LV
6.3.2021

Frühlingszeit

Halb Winterblässe halb Frühlingslau
ziehen die letzten Sonnenstrahlen des Tages
mich hinaus
Bares zu regeln
auf der Fensterbank vor der Bankfiliale
sitzt ein älterer Mann
als warte er auf etwas
schaut in den Himmel
fast ein wenig scheu
ins wolkenlos strahlende Nichts

ich sehe ihm nach
die Sonne wärmt mich nicht
doch sein still versunkener Blick
er lächelt in sich hinein
und ich wüsste gern was mit ihm ist
doch ich trau mich nicht ihn zu stören

vorn im Gebüsch hängen Bälle mit Vogelfutter
aber keine Vögel
schwirren umher wie sonst
die Eiszapfen mit den dazwischen gurrenden
Tauben unterm Dachsims sind längst getaut
eine Taube schaut sich oben um

unten am Fluss randvoll und matt
schimmernd ragen Bäume aus dem Wasser
schnattern Enten und Wildgänse
schauen Männer schweigend rauchend und
Bier trinkend an der Böschung ins Ungewisse
ein Kind läuft über die Ufermauer der
Abendhimmel ist leicht gerötet wie meine
Wangen hast du Rotkehlchen gefangen
fragte mich meine Großmutter dann lange her

ich hab noch kein Rotkehlchen gesehen
freue mich auf die Rückkehr der Singvögel
am Morgen mit ihrer ansteckenden
Leichtigkeit
Vielleicht schaffe ich es morgen zur
Krokusswiese

LV
1.3.2021

Herzblumen

Die Sprache der Blumen
ist leis
sie schauen mich an
ich schaue sie an
in der großen Vase
finden sie keinen Halt
fallen zur Seite
auseinander
hängen die Köpfe
die ich aufrichte
die mich aufrichten

ihre offenen herzförmigen Blüten
mit farbensattem Lächeln
hell tiefrot und violett
mit dunkel raunendem Augenaufschlag
im Licht aufscheinende Umrisse
wellig rund sperrig schwellende Erhebungen
und Vertiefungen

umfassen Blüten Blätter
in feinnervig gefiederter Umarmung
kreisen die Blumenflügel einer Windmühle
wie sie Kinder haben
Wie schön sagt die rundliche Frau mit dem
silbergrauen Haar an der Supermarktkasse
Warum holt sie sich nicht selbst eine

LV
20.2.2021

foto von anemonen mit windmühle. rote anemonen und lila mit herzform

 

 

 

Wilder Garten

Aufgefaltet meine Schmetteringsflügel
öffne weite ich mich
von innen
schäle mich aus meiner Haut
nach langem Winterschlaf
ans Licht aus jeder Körperpore
flüstert es

lege die Fingerspitzen auf den Mund
lausche dem sachten Kreisen
und Antworten der Lippen
lasse mich ein
wage einen Blick
in den wilden Garten

aus tiefer Erde leuchten Blumen
in allen Farben
ihre Blütenblätter breiten sich aus
wie feine Sensoren
die ausschwirren schwingen sich verweben

meine Sinne wachkitzeln
benetzen
mein Innerstes erblühen lassen
im pulsierenden Tanz der Körperzellen
und einer Tango Umarmung von Piazolla
fliege ich schmetterlingsleicht

LV
15.2.2021

Foto/Quelle: Ilan Stefani

Weiße Inseln

Der Himmel bleiern seit Tagen
erschüttert von donnerndem Flockengewitter
als bräche ein Riese auf der dünnen
Wolkendecke ein
sie zersplittert in unzählige
watteweiche Inseln

kühles Weiß
unberührt
ungeborgen
sehnsuchtsstarr wandert der Blick
über das strahlende Nichts

pudrig überzogen dunkles Geäst
darauf ein weiß gefaltetes Tuch
noch vom Sommer vom Balkon nebenan
hergeflogen

hinter den Bäumen
das schneebemalte graue Gemäuer
mit den vergitterten Fenstern
hinter denen Wesen sitzen
warten wie ich
dass Türen aufgehen
in jemandes Herz

die weissbunte mit den magisch
entrückten Augen die mich nicht loslassen
die dunkle schildpatt mit den Sonnenflecken
schnurrt sofort wie meine schwarzfellig
sternäugige aus der Ferne

zwei gelbe Augen treffen mich
noch scheu legt die kleine grauweiß getigerte
ihre Pfote durch die Gitterstäbe
auf das Fell der schildpattfarbenen
beide sehen mich an
auf dem Weg zu mir

wenn ich sie hole wird eine woanders sein
bereits vergeben
Doch wir werden einen langen Augenblick
uns weiter nah sein

LV
17.1.2021

foto oranger himmel und schnee unten im hof

Gedichte + Fotos (lv)

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