Herbsttag am Meer
Die Sonne dreht voll auf
doch sie wärmt nicht
ich friere im Zug beim
Aussteigen auf dem Bahnsteig
komme mir mit dem gelben Badetuch auf der
Strandtasche vor wie von einem anderen Stern
hole einen dicken Pullover aus dem Koffer
schon lange nicht mehr getragen
fühle mich wie in Watte gepackt
ich wollte doch Ballast loswerden am Meer
bei der Ankunft statt Möwenrufe wie sonst
bunte Herbstblätter rotbackige Äpfel
stehen Spalier schauen verlockend durch
hohe Zinnen vor einer Villa namens Waldblick
keiner weit und breit zu sehen
einige sind schon heruntergefallen
wie Lottokugeln sammele ich sie auf
warum will sie keiner dort drinnen
alle gehen vorbei an dem paradiesischen
Baum am Strand laufen viele in Wetterjacken
und festen Schuhen
ich laufe barfuß im Sand steh mit den Füßen
am nassen Saum kommt mir vor sonst ich wär
gar nicht am Meer gewesen
LV
29.9.2022
Die drei schönten Worte
Die drei schönsten Worte
des Tages?
les ich auf einer Verpackung
Im Meer gewesen
der Kälte die
kalte Schulter gezeigt
ein Kribbeln am
ganzen Körper durchströmen
mich unzählige Glückswellen
LV
30.9.2022
Am Möwenstrand
Ich hab das Meer
und die Möwen
haben mich wieder
eine Liebe auf Lebenszeit
die Lachmöwen haben
wieder weiße Köpfe
vereinzelt dunkle Schimmer
kreischend lassen sie
sich nieder
aufgeregt ihre Flügelschläge
dicht über mir
bekomme ein paar Schnabelhiebe
ab so ausgehungert
sind sie
später sitzen sie aufgefächert
in der Abendsonne
in den hellen Streifen
neben den Schatten
das Meer und der Himmel
pastellfarben fast eins
in der Dämmerung
der Blick unendlich weit
die Wellen leicht gerötet
wie meine Füße
sie bleiben barfuß
als wäre noch Sommer
LV
30.9.2022
Verbunden
Im Meer ist es kühl
aus der Tiefe
ein Brennen im Körper
fühl mich erfrischt
wohl in meiner Haut
spüre mich wieder
mit jeder Pore
der Strand fast mensnchenleer
vor mir schwimmt
ein Mann im Meer
still schweigende Gemeinsamkeit
noch einer der die Wellen
nicht allein lässt
er winkt mir zum Abschied
und geht in die andere Richtung
Bis morgen sage ich
LV
30.9.2022
Weite Kreise
Für Jade & Lina
Aus der Ferne
sind sie mir
noch mal so nah
die grauweiß getigerte
zog ihre Kreise
um mich zum Abschied
und ging in die Stube
die kleine schwarz-weiße blieb
noch eine Weile bei mir
saß dann vorm Wintergarten
mit Blick zur Tür
Lola kam im Herzen mit mir
nun sind sie den zweiten Tag
allein und merken ich komme
nicht wieder vorerst
fragen wo ich bin
heute am Meer klang
es einmal wie Miauen
doch es waren die Möwen
die nach Futter riefen
keine Ruhe ließen
herbei stürmen
wenn es etwas gibt
wilde Wirbelwinde
wie die zwei
vielleicht nehm ich
sie irgendwann mit
ans Meer
abends in der Dunkelheit
statt kichernder Möwen
krächzende Raben
sie geben jetzt
den Ton an
am Meer
LV
30.9.2022
Hört das Meer
Wie wäre es
Himmel und Erde
wären eins
hört das Meer rauschen flüstern brausen
verlangt nicht nach mehr
die Wellen rollen unentwegt
kommen und gehen
weiße Schiffe am Horizont
haltet sie nicht auf
Muscheln sind meine Währung
sie reichen für alle
unermesslich ihr Wert
schöne Momente kann man
nicht kaufen
Fußabdrücke von Menschen und Tieren
im Sand ihre Spuren
folgen einander
die Rufe der Möwen
ihre Federn windzerzaust
überdauern die Zeit
hört ihnen zu am Meer
baut Sandburgen
wozu noch Kriege
feiert die Siege
über euch selbst
LV
1.10.2022
Ahlbecker Flair
Vor dem Terrassencafé an der Seebrücke
sitzt eine Katze gemütlich vor der Theke
bewacht die Kuchenstücke
schaut die Urlauber an die zahlen
Streicheleinheiten inbegriffen
die graugetigerte darf sich in der Sonne aalen
Möwen schwingen sich keck empor
über dem Platz mit der Jugendstiluhr
ringsum schwelgt man in Genüssen ganz Ohr
lauscht an reich gedeckten Tischen entzückt
immer neuer Musik während die Gefiederten
versuchen ein paar Brocken zu erhaschen
ein Opernsänger singt zum Steinerweichen
eine Frau an weißem Klavier begleitet von
einem Posaunisten setzt mit Imagine von John
Lennon Zeichen
ein Saxofonist spielt im Regen allein
die Akkordeonspielerin abends auf der Bank
vor dem Ahlbecker Hof glänzt mit dem
schönen Schein
auf der Promenade ist immer was los
auf die Dünenstraße zum Meer
zieht es die Menschen von überall her
in feinen und schlichten Sachen
ob klein oder groß von der See kommt
keiner so schnell los
Kaiserbad wird es noch heute genannt
besitzt immer noch viel alten Glanz
neben Kiosks Souvenirläden Restaurants
ziehen prächtige alte Villen die Blocke an
vor denen man spaziert sie umkreist wie die
Möwen und sich nie sattsehen kann
was für verlockende Namen und Aussichten:
Haus Meerblick Seeschlößchen Pension
Seeperle Villa Strandrose Seedüwel Haus
Harmonie da jubelt Germania und weiß gar
nicht wo zuerst einkehren ins Wiener Café in
die Waldoase bei Da Camillo in die
Pommersche Fischstube am Ostender Tor
oder zu Fischers Fritz
LV
3.10.2022
Abschied vom Meer
Noch einmal schwing ich
mich auf mit den Möwen
fliegen sie über mir her
stürzen sich kreischend aufs Futter
streifen mich ihre Flügel
als ob nichts wär
im Meer lauter weiße tanzende Punkte
wogen sie vor mir her
der Himmel klart auf
federleichte Wolkenflügel ausgebreitet
weit wie das Meer
es bleibt zurück
die weißen Segler begleiten mich
noch ein Stück zur Promenade
eine Feder rollt zurück in den Sand
ich flugs hinterher
kann nicht gehen nicht bleiben
im Rauschen der Blätter die von den Bäumen
rieseln und tosen
nehm ich mit mir das Meer
LV
5.10.2022
Texte + Fotos: Lilli Vostry
(Weitere Fotos folgen)