Begegnung

Regengrau floss der Tag
kurz leuchtete unsere Welt
auf und verging wieder
vor dem kahlen Stein
stand ich frierend in deiner Nähe
und doch allein
die Vögel sangen unbeirrt weiter
die Bäume gehüllt in zartes Weiß
die Magnolien blühten prächtig

am Busfenster rannen Tropfen
für mich jeder Abschied verbindet
uns wieder mehr ich weiß was ich verloren
und gewonnen habe

heute zwei Tage später lag
lang ausgesteckt als ruhte sie aus
ein felliges Wesen dunkel getigert
nass vom Regen am Wegrand neben
der Straße
sie trug ein Halsband
wird sie jemand suchen
wenn sie nicht mehr nach Hause kommt

sie lag neben einer Haltestelle
nahe dem still verwunschenen Park
wo die Bäume gerade anfangen zu blühen
uralte Bahnhäuschen stehen neben Müll
und wild umher stromernde Tiere im
Großstadtchaos eine Bleibe finden

LV
14.4.2023

Wilder Garten

Oben im Weinberg am Goldenen Wagen
die weite Landschaft
himmlische Weite genossen
alles ruft nach Auferstehung

wieder unten angekommen
das Herz immer noch weit
ein wilder Garten
weiße Blütenzweige leuchten
hinter einer Mauer
eingezwängt
fast erdrückt im Gestrüpp

gerade als ich einige Blütenzweige
heraus hole
hinter mir zischelnde Stimmen
das darfst du nicht
Blumen holen aus
einem fremden Garten

verwildert sieht er aus
keiner hält sich drin auf
die Schönheit verkommt

doch kaum entdeckt
greifen sie an
als nähme man ihnen
etwas weg
beschweren sich stellvertretend

ein Mann nähert sich
als wollte er mir ein Körperteil
heraus schneiden
die Pflanzen wachsen weiter
rufe ich ihm nach

hole auch vom Baum
den Holunder bevor er verblüht
pflücke Brombeeren aus stachligen Hecken
und sammle Mirabellen vom Straßenrand auf

aus freier Natur sie verschenkt sich an alle
nur sehen das nicht alle

LV
11.4.2023

Am Ende eine schönen Tages

Das Auf und Ab tauchen der Bilder
von der Bildfläche verschwunden
ein paar Wassertropfen zu viel
Kurzschluss
in den Eingeweiden
im Inneren rumort es

glühendes Gewirr der Linien
und Alarmzeichen nicht mehr
zu übersehen und hören
Siri kann nicht mehr helfen

tränenreicher Abschied
verloren geglaubte Erinnerungen
schlaflose Nacht
aufgewacht
kein Traum

auf den Zahn gefühlt
unter der Lampe
vor dem inneren Auge die Bilder
wie betäubt aus der Hand gegeben

wieder belebt der Schatz
zurück gekauft
die Bildfläche wie neu
umrahmt ein Trauerrand

LV
5.4.2023

Vogelnest

Woher kamst du
ein zerzaustes Grasbüschel
auf der Wiese
drehte ich es um
und sah das Vogelnest
oval aus Zweigen gewoben
zart und fest

innen leer
eine weiße Feder hing
noch am Rand
legte ich das Nest hoch
zwischen die ersten grünen
Sprosse neben dem Holunderbaum

am nächsten Tag war das Geflecht
verschwunden
holten es die Katzentiere
trug der Wind oder die Vögel
das Nest fort
an einen neuen unberührten Ort

im Gras lag unterdessen
verloren und vergessen
auf einmal weiß und ohne Flaum
ein langes spitzes Muschelgehäuse
wie kamst du hierher
das Grünmeer zu schauen

LV
26.3.2023

Frühlingslust

Lang verhüllt
platzt endlich auf
die Winterhaut
flutet mit dem Licht
hervor eidechsenfarben
nackt ohne Scham
richtet sich hoch auf
ins Himmelblau

zu lang im tiefen
dunklen Schoß Getragenes
Verborgenes
weht wirbelt und webt
Frühlings Lust und Fülle
zeigt sich
pure Weiblichkeit

LV
21.3.2023

Lichtstreif

Land unter am alten Hafen
das Wasser steigt
fließt zu mir herüber
überschwemmt was gerade noch war
Uferwege hinter Büschen die kleine Steininsel
Futterplatz der Wasservögel
ein schmaler Streifen noch bis zum
Steilhang

der  Fluss zieht die Grenzen neu
schwärmt mit dem Tauwetter aus
die letzten Flocken schmelzen bevor
sie zur Erde fallen
in grauschweren Wolkenfeldern tobt der Wind
bricht am Ende des Tages Licht
aus kältewunden Augen hervor

im glänzenden Strahl über dem Fluss
steigt in weiten Kreisen freudig kreischend
ein Schwarm Möwen empor

LV
11.3.2023

Lächeln

Ab und an sitzt er
im Supermarkt hinter
der Kasse sieht selten
jemand an
die Handgriffe vertraut
die Menschen fremd wie er

das scheue Lächeln
in seinem Gesicht den dunklen Augen
geht mir nahe
es galt mehr seinem Landsmann
als mir
der weiter hinten
in der Schlange stand
sie wechselten ein paar Worte
in ihrer Sprache

mir war zum Heulen zumute
der Blumenkohl fiel
fast aus der Hand
lange Verlorenes tief im Herzen
Verschlossenes kam wieder hoch
brach sich Bahn
eigentlich wollte ich eine Frühlings
Tischdecke holen

im nieseligen Grau des Abends
dem der Winter abhanden
gekommen war der keiner mehr war
eine Ente schwamm allein im Fluss
hingen plötzlich rosige Wolken
Wogen anmutig und schwer

LV
4.3.2023

An der Elbaue

Sich wiegende
biegende
verschwiegene Baumgeschöpfe
in Zweigen verflochten
das Flüstern des Wassers

wie in einem Spiegel
aufgefangene Tiefen
wankende Höhen
fließendes Sein

LV
1.3.2023

FebruarHimmel

Gestern hielt sich noch
etwas Puderweiß bei den Schneeglöckchen
am letzten Februartag feiert
der Winter ein Fest

Lichtflecken wandern
über dunkle Baumstämme
in lodernden Farben
rot gelb violett der Horizont

als malte sich einer
den Himmel aus
der aus dem Dunkel gegangen
vor der Eiseskälte floh
bevor er erfror

die Wasservögel stehen Seit an Seit
im Fluss spiegelt sich tiefes Rot
alles im Fluss oder aus dem Lot
ich vermisse die Tauben und Möwen

LV
28.2.2023

Wenn Tiere Menschen wären

Dann würden die wildesten von ihnen
sich wohl auf die Menschen stürzen
gleich und gleich gesellt sich gern

ihnen die Haare vom Kopf fressen
die Haut vom Leib reissen
zum Vergnügen
Geld und Habsucht teilen

in dunklen Behausungen einpferchen
ihre Schmerzenslaute überhören
bis ihr Ende naht
so wie die Tiere es von den Menschen
gewohnt sind

andere nichtmenschliche Tiere würden
sich auf ihr ursprüngliches Dasein besinnen
und es den Menschen beibringen
Schwein Wolf Schaf Esel wären keine
Schimpfworte sondern Komplimente

letzte Nacht träumte ich
von einer Frau mit zwei Raubkatzen
beim Tierarzt
er wollte sie nicht behandeln als wilde Tiere
es sind Tiere sagte die Frau

später segelten die Raubkatzen
einen Hang mit Stufen
hinunter
die Frau hinterließ eine Visitenkarte:
Trauerbegleiterin stand da unter anderem

LV
15.2.2023

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