Faszinierende steinerne Figurenwelt
Der Skulpturensommer Pirna zog viele Besucher an und feiert nächstes Jahr sein zehnjähriges Jubiläum mit noch größerem Rahmenprogramm.
Gesichter, pflanzliche Formen aus Stein und der kraftstrotzende Herkules, der die Weltkugel auf seiner Schulter trägt, erscheinen auf Fotografien in der Unterführung am Bahnhof Pirna und wecken Neugier auf die Ausstellung. Letzterer ist auch auf dem Titelplakat des Pirnaer Skulpturensommer 2022/23 zu sehen, das leider auf dem Weg dorthin kaum auftaucht und für auswärtige Besucher daher schwer zu finden ist. Die Werke kann man in Originalgröße bestaunen in der derzeitigen Ausstellung „Canaletto zu Ehren – Sinnbilder in Stein“ anlässlich des 300. Geburtstages des Malers Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, in den Bastionen der Festung Sonnenstein hoch über der Stadt. Dort werden originale Barockwerke wie Putti und mythologische Figuren, Leihgaben der Zwingerbauhütte Dresden und der Sandsteinwerke Pirna, den Steinskulpuren von 16 zeitgenössischen Bildhauern aus Deutschland ebenso reizvoll wie spannend in Form und Wirkung gegenübergestellt.
Der Eingang zur Ausstellung in den ehemaligen Festungsanlagen befindet sich unterhalb der Schlossschänke mit grandioser Aussichtsterrasse. Gleich dahinter begegnen dem Besucher zwei steinerne Köpfe. Ein verschmitzt lächelnder Tambourinspieler mit weinlaubbekränztem Haupt von einem Schüler Permosers, Johann Kretzschmar (1677 – 1740) und ein nach innen, nachdenklich schauender „König David“ aus dunklem Granit von Peter Makolies von 2010. Es ist eine buchstäblich schwergewichtige Ausstellung „Die Steinwerke hinein in die Gewölbe zu hieven, war schon ein Kraftakt“, sagt Christiane Stoebe, Kuratorin der Ausstellung, Bildhauerin und Kunstpädagogin zu Beginn der Führung am vergangenen Sonntagnachmittag. Rund ein Dutzend Besucher, zumeist mittleren Alters und älter, haben sich zu dem Rundgang durch die steinerne Figurenwelt versammelt. Fasziniert betrachten sie die filigranen, zarten, kraftvollen und ausdrucksreichen Spiegelbilder menschlichen Seins mit allem Licht und Schatten. Die zeitlos zauberhaften Skulpturen, trotz Splittern und Rissen in der Steinhaut, wie der Engel mit nur einem Flügel, „Notos“ von Christian Kirchner, der auf Salome schaut, die nackt und verletzlich da steht in Marmor. Geschafften hat sie Susanne Knorr 1987.
Weiter vorn steht ein „Steinkind“, das allein vor sich hin träumt, von Matthias Jackisch. Von ihm stammt auch die „Frierende“, eine schmale Gestalt, die ihre Hände mit ihrem Atem wärmt, eine trauernde „Ophelia“ und ein mondbeschienenes Frauengesicht aus weißem Muschelkalk. Eine „Sonnenanbeterin“ aus Sandstein von Konstanze Feindt Eißner steht auf der Freiterrasse mit Blick auf die Elbe und ein Stück weiter eine kraftvoll „Schreitende“ von ihr aus hellem Marmor. Ein sanftmütiger, steinerner Löwe von Balthasar Permoser sitzt vor einem Tor. Dahinter schaut Nathan der Weise hervor in einer Skulptur von Klaus Schwabe, 2009 entstanden. „Nicht immer geradeaus“ nennt Ursula Güttsches eine weibliche Skulptur, in der sich runde, fließende, kantige und unebene Formen verbinden. Von Werner Stötzer ist ein schwungvoll, liegender und ein sich öffnender weiblicher Torso zu sehen.
Die Besucher konnten außerdem erleben, wie nach alten Gemälden aus der Canaletto-Zeit als Vorlage die barocken Skulpturen heute restauriert und in Stein übertragen werden. So entstand auch die Idee zu dieser Ausstellung. Vor einem Gipskapitell, reich verziert mit Blüten und Ornamenten steht Heino Lemke mit einem Punktiergerät und überträgt punktgenau die Details in Stein. Er arbeitet seit 47 Jahren als Bildhauer bei den Sandsteinwerken Pirna und stellt das heute seltene Handwerk eindrucksvoll vor. Das von einem Kollegen restaurierte Janus-Portal ist wieder über dem Eingang der Heinrich Schütz-Residenz auf dem Dresdner Neumarkt zu sehen. Bis hin zu haarfeinen Federn an einem Ritterhelm, die Lemke mit langen Eisen akribisch aus dem Stein herausholt. „Man muss sich Zeit nehmen. Und wenn die früher das konnten, können wir das auch“, sagt er. Leider gebe es heute kaum noch Aufträge für Bildhauer. Während Kunst am Bau früher in der Architektur ganz selbstverständlich war.
Ausstellungen wie diese können zumindest die Bildhauerei und Handwerkskunst wieder mehr sichtbar machen. „Die Ausstellung ist großartig angekommen, auch durch das 9-Euro-Ticket ausgelöst hatten wir viele Besucher“, sagt Christiane Stoebe. Es kamen auch Touristen und Urlauber aus Baden-Würtemberg, Hamburg, aus den Niederlanden, der Schweiz und Tschechien sowie viele Stammbesucher. Teilweise waren bis zu 100 Besucher an einem Tag in der Skulpturen-Schau, die sich bei sommerlicher Hitze auch gern in den angenehm kühlen Gewölberäumen aufhielten. Die Besucher konnten sich auch selbst mit Knipfel am Stein ausprobieren. Nächstes Jahr im Mai feiert der Skulpturensommer Pirna sein zehnjähriges Jubiläum. „Dazu ist ein größeres Rahmenprogramm angedacht und werden wir uns etwas Besonderes einfallen lassen“, so Christiane Stoebe. Die Ausstellung ist noch bis 3. Oktober zu sehen und am Abschlusstag gibt es noch mal eine Führung mit der Kuratorin.
Text + Fotos (lv)
Öffnungszeiten: Mi – So und an Feiertagen von 13 bis 17 Uhr
http://www.pirna.de/skulpturensommer
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