Fotos: Klaus Gigga/Staatsschauspiel Dresden

Skurrile Momente zwischen Traum und Alltag in dieser Stadt

Wundersame Dinge geschehen in dieser Stadt. Pilze wachsen plötzlich aus dem Steinboden vor der Semperoper. Straßenfeger kehren Kaffeebecher und Zeitungsfetzen zusammen. Ein roter Luftballon und ein weißer Taubenschwarm fliegen in den strahlend blauen Abendhimmel. Ein Stadtführer mit Fähnchen und eine Dame mit eingerollten AfD-Fahnen gehen über den Theaterplatz.

Der Theaterplatz wandelt sich zur Bühne für Peter Handkes Stück „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“. Die Premiere war am Sonntagabend. Dabei gibt es keine Grenze zwischen Spielern und Zuschauern, die beidseits des Platzes sitzen und sich gegenseitig neugierig und aufmerksam betrachten. Zu erleben war ein bunt-lebenspralles, kontrastreiches Bildertheater ohne Sprache, begleitet von atmosphärischen Klängen und Großstadtgeräuschen über die vielen Gesichter der Stadt, inszeniert mit 120 Dresdner Bürgerinnen und Bürgern unter Regie von Uli Jäckle. Die Darsteller tragen Alltagssachen, unter sie mischen sich berühmte Gestalten aus der Dresdner Historie und Kunst wie August der Starke im Goldenen Gewand, barocke Hofdamen oder Papageno neben adretten Stewardessen, schrulligen alten Frauen mit klappernder Spielzeugeisenbahn im Schlepptau und dunklen Gestalten schwer bepackt mit Koffern.

Sie laufen kreuz und quer über den Platz, stehen sich gegenüber und halten inne in ihren Posen. Ein Clown im bunten Flickenmantel schubst einen bequem lümmelnden Mann aus seinem Thronstuhl. Eine Kellnerin mit Kaffeetablett sucht in der Menge den einen passenden Gast. Eine Frau reicht ein großes knusprig braunes Kunstbrot an die Zuschauer, die es weitergeben. Ein Polizist mit Schäferhund streift vorbei an Fußballfans, einer Zirkusgruppe und anderen kuriosen Gestalten. Ein Segelboot fährt mit Möwengekreisch auf den Theaterplatz und ein Elefant auf blauen Rädern, gezogen von einer Nonne, die zu orientalischen Klängen gen Mekka betet.

Ein Mann in brauner Uniform tritt ans Mikro und fuchtelt mit den Armen nach oben und allen Seiten. Die bunte Menge marschiert an ihm vorbei mit mal offen ausgebreiteten Armen, mal hin und her rudernd, dirigierend oder mit geballten Fäusten. Momente aus dem Leben der Stadt zwischen banal Alltäglichem und Surrealem, Skurril-Komisches, Ernstes, Trauriges und Nachdenkliches treffen aufeinander, die jeder Betrachter für sich deuten kann.

Leider gab es wenig spannende Interaktion auf dem Platz. Nur die Uhr am
Schlossturm schlug zwei Mal dazwischen in der einstündigen Aufführung. Dabei sollte das Spiel unter freiem Himmel doch gerade auch von überraschender Spontanität leben und auftauchende Passanten Teil des Spiels werden. Bleibt zu hoffen, dass bei den weiteren der insgesamt sechs Vorstellungen (wieder am 12., 16., 17., 18. und 19.6., jeweils 19.30 Uhr) noch mehr die Zufälle des Lebens mitspielen. Dennoch herzlicher Beifall für den originell-wagemutigen Versuch der kulturellen Rückeroberung des Theaterplatzes.

(lv)

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