Love, Peace und musikalische Power
So aufregend, flippig-bunt und lebendig kann der Einsatz für eine bessere Welt sein! Das Musical „Hair“ feierte am Sonnabend Premiere an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul.
Sie lieben flippige, farbenfrohe Klamotten und lange Haare, rebellieren gegen autoritäre Machtstrukturen und scheinheilige Moralapostel. „Hair“ – The American Tribut Love Rock-Musical lässt die aufregende Welt der Hippies aufleben. 1968 wurde das Stück am Broadway in New York uraufgeführt (Buch und Liedtexte von Gerome Ragni und James Rado, Musik: Galt MacDermot), 1979 von Milos Forman verfilmt.
Nun feierte „Hair“ in der deutschen Fassung von Nico Rabenald und den Liedtexten von Walter Brandin am Sonnabend Premiere an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul.
Gleich zu Beginn warnt einer der Hippies (Alexander Wulke) schon mal vorsorglich vor den „Drogen verherrlichenden Szenen und Sex-Aufforderungen“ als nicht mehr zeitgemäß und auch nicht der westlichen Leitkultur entsprechend.
Um so mehr wird in der Inszenierung unter Regie von Peter Dehler, der musikalischen Leitung von Michael Fuchs und Uwe Zimmermann und opulenter Ausstattung von Stefan Wiel die zeitlose Botschaft von Love, Peace, Flowerpower and Happyness mit unbändiger Lebenslust, Spielfreude und musikalischer Power zelebriert. Zu fetziger Musik schwingen langhaarige Frauen und Männer in bauchfreien, engen Fransenwesten und bunten Schlaghosen fröhlich und lasziv die Hüften. Da wogen im weißen Bühnennebel Körper auf und ab, raucht man Joints, meditiert, betet, geht gemeinsam auf Sinnsuche und tanzt wild im Rausch der Sinne. Da kommt man zur „Kamasutra-Orgie“ zusammen, feiert die freie Liebe und protestiert auf Eisengerüsten mit bunt bemalten Werbeplakaten gegen den Vietnamkrieg, gegen Rassismus und Sexismus.
Dabei prallen Ideale und Realität immer wieder aufeinander in der bunten, jungen Hippie-Truppe um den lebenshungrigen, exzentrischen George Berger (Baritenor Benjamin Oeser als Gast), seiner unter seinen Eskapaden leidenden Freundin Sheila (kraftvoll: Christin Rettig) und dem aus bürgerlichen Kreisen stammenden Claude (zerrissen von Zweifeln: Holger Uwe Thews). Dann sind da noch Chrissy (temperamentvoll: Julia Rani), die coole Dionne (Sandra Maria Huimann) und die naive, schwangere Jeanie mit dem Engelshaar (Luca Lehnert), die einen Vater für ihr Baby sucht. Mal versucht sie es bei Claude, mal bei dem komischen Kauz Woof (Grian Duesberg). Claudes spießige Eltern, mit witzigen Pappköpfen (Julia Vincze und Alexander Wulke, beide in mehreren Rollen) wollen einen „richtigen Amerikaner“ aus ihm machen. Doch vom als lebensgroße Marionette auftauchenden „Onkel Sam“ aus dem Dollar-Wunderland wollen die Hippies nichts wissen.
Als „wilder schwarzer Mann“ mit Kraushaar und nacktem Oberkörper, der die anderen erschreckt, tanzt mit viel Witz der Brasilianer Anderson Pinheiro Da Silva als Gast. Dann erhält Claude seinen Einberufungsbefehl nach Vietnam. Gesicht und Arme schwarz bemalt, hin und her gerissen zwischen freiem Leben, Pflichterfüllung, militärischem Drill und der Order andere zu töten, spielt Holger Uwe Thews ergreifend diese Gratwanderung. Grandios und mitreißend in Szene gesetzt, begeistern ebenso die Tanz- und Gesangsszenen (Choreographie und Lichtkonzept: Till Nau), mal solo, zu zweit, dritt oder in der Gruppe mal temporeich, mal leise, traumversunken schwebend auf die Bühne gebracht. Übermütig verwegen springen die flippig-bunten Typen auch mal über die Zuschauersitze.
Die Schauspieler bekommen als Hippies Verstärkung von Studenten der Theaterakademie Sachsen. Hits wie „Aquarius“, „Hare Krishna“ und „Let the Sunshine in“, mit denen die Hippie-Gemeinschaft ansingt gegen soziale Kälte und Gewalt gegen Andersdenkende in der Gesellschaft sorgen für Schwung, gute Laune und reichlich Beifall vom Publikum.
Text (lv)
Ein kleines Gedicht zum Thema
HIPPIES IN DER DDR
Es war’n die wilden Siebziger Jahre,
Als wir hatten noch allzuviel Haare;
Blueser und Tramper, immer auf dem Pfad,
Hippies im Arbeiter – Bauernstaat.
Jesuslatschen oder Kletterschuhe,
Blue Jeans, Parka und immer die Ruhe;
So ging’s am Wochenende in die Spur,
Musik und Freiheit das Ziel jeder Tour.
Man lauschte intensiv Freygang bis Renft,
Die Plätze vor der Bühne stets umkämpft.
Der Alkohol war immer mit im Spiel,
Man rauchte Karo und trank vielzuviel.
In den Fünfzigern kam der Rock’n’Roll,
Was Eltern schockte, fanden Teenies toll.
Die Sechziger brachten die Beatmusik,
Flower Power führte ins Hippie-Glück.
Im Osten war die Musik Klassenkampf,
Man machte Rockgruppen gehörig Dampf.
Sie galten als westliche Sendboten,
Restriktionen und Auflösung drohten.
Auch Ost-Hippies verehrten Blues und Rock,
Blickten sehnsüchtig aufs ferne Woodstock.
Stets mit Visier von Stasi und Staatsmacht,
Pflegte man auch hier Liedgut und Haarpracht.
Man besorgte sich eine Gitarre,
Wollte niemals tragen eine Knarre,
Hasste Uniform und Kasernenmief,
Give Peace a Chance war immer Leitmotiv.
Urige Songs von den Doors bis Neil Young
Setzten Lust und Endorphine in Gang.
Wir sahen Modesünden, manchen Tick,
Was bleiben wird, ist die feine Musik.
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus der Skatstadt
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Lieber Rainer Kirmse, wow! Danke für dieses schöne, authentische Gedicht zu den Ost-Hippis. So ähnlich habe ich es auch
erlebt. Mit Sachen bunt färben, Schlaghosen, langen Haaren und wilder rockiger Musik… Das war noch handgemachte, gute Musik, zu der man fröhlich tanzen konnte mit diesem Gefühl zu fliegen… Das vermisse ich heute schon sehr. Hoffe es gibt sie bald wieder, diese zeitlose tolle Musik und Lebensgefühl von Love & Peace. 🙂
Liebe Grüße
Lilli
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