Leerer als sonst, aber mehr denn je eine Anlaufstelle für Begegnung, Austausch und gemeinsam etwas tun gegen trübe Gedanken. Der Gemeinschaftsraum der Psychosozialen Kontakt- und Beratungsstelle auf der Naumannstraße 3a in Dresden-Blasewitz. Im Bild v. li.: Christine Weimann, die Leiterin des Treffs und Besucherin Christine.
„Ohne reden zerreißt es mich“
Die Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle auf der Naumannstraße in Dresden-Blasewitz bietet für psychisch erkrankte Menschen, die besonders unter der Corona-Situation leiden, viele Angebote gegen ihre Ängste und Einsamkeit.
Im Februar noch hatten sie noch eine wunderschöne Faschingsfeier
im Treff. Auf dem Gruppenbild lächelt ihr ein Clown entgegen, es ist Christine.
Das Gesicht hat sich die 56-Jährige selbst geschminkt. Als sie das Foto
wenig später in der Hand hielt, liefen ihr die Tränen, erzählt Christine.
Ihren vollständigen Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen.
Noch vor kurzem wäre dieses Gespräch für sie unvorstellbar gewesen.
Nun erzählt Christine offen von ihren Ängsten und ihrer psychischen Erkrankung. Wie von einem Moment zum anderen vieles wegbrach, da sie nicht mehr wie gewohnt in den Tagestreff des Psychosozialen Trägerverein Sachsen e.V. konnte. Dorthin und zu Arztterminen brachte sie regelmäßig ein Begleitdienst der DVB, da ihr das Laufen inzwischen schwer fällt. Die Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle befindet sich in einem hellen Flachbau mit roten Fensterrahmen in der Naumannstraße 3a links neben dem Ärztehaus Blasewitz. Ein gemütlicher Raum mit Cafétaria, einem langen Tisch in der Mitte, Sofaecke, Bildern an den Wänden und einem Klavier. Es ist für rund 30 Besucher ein Ort der Begegnung, Kommunikation und Hilfe.
Seit zehn Jahren ist Christine dort Stammbesucherin. Damals begann ihre Depression mit Angststörung. Eine Ärztin in der Uniklinik Dresden gab ihr einen Flyer mit den Angeboten des Psychosozialen Trägervereins Sachsen. „Mit ihrer Hilfe und meinem Tun bin ich zu dem Menschen geworden, der ich heute bin“, sagt Christine stolz. Sie stellte sich einen Wochenplan zusammen: Gedächtnistraining, Kunsttherapie-Malgruppe, Tanzkreis mit Reigen- und Paartänzen und Übungen zur progressiven Muskelentspannung mit Musik. Das ging alles nicht mehr nach dem Lockdown und den drastischen sozialen Kontakteinschränkungen infolge der Corona-Krise im März.
Mit diesem“Mistvirus“ komme sie gar nicht klar, so Christine. Die Nachrichten mit den Zahlen Corona-Infizierter, die steigen und steigen, könne sie kaum noch hören. „Doch nie hört man etwas, wie es psychisch kranken Menschen damit geht.“ Anfangs habe sie abends nur noch geheult, war aggressiv, ihr kräftiger Körper verkrampfte und sie ließ alles heraus, bis sie sich halbwegs beruhigt auf die Couch legte und einschlief. Diese Zeit der sozialen Isolation war schwer auszuhalten für Christine.
Sie erhält eine Erwerbsunfähigkeitsrente und lebt allein in ihrer Wohnung in Johannstadt. Sie ist kinderlos, ihr Vater starb als sie acht war, ihre Mutter vor einigen Jahren. Dann musste sie nach 30-jähriger Beziehung den plötzlichen Tod ihres Lebensgefährten verkraften. Nachdem sie von einer Urlaubsreise auf der Insel Sylt gemeinsam mit einer Gruppe und zwei Mitarbeiterinnen des psychosozialen Treffs im Sommer 2017 zurückkehrte, erfuhr sie, dass ihr Partner nicht mehr lebt. Eine Therapie schloss sich an, in der sie lernte, die Situation anzunehmen.
Christine hat zuhause einen kleinen Altar aufgestellt mit Andenken von ihrem Freund und ihrer Mutter. Dort setzt sie sich manchmal hin, redet mit ihnen und lässt heraus, was sie bedrückt. „Sonst zerreißt es mich.“ Im Sommer trafen sich die unterschiedlichen Gesprächsgruppen für psychisch erkrankte Menschen im Freien. “Außerdem haben sie Bänke und Stühle gestrichen, die Terrasse begrünt und wir sind viel gewandert“, erzählt Christine Weimann, Diplomsozialpädagogin und Leiterin der Kontakt- und Beratungsstelle. Die telefonische Beratung wurde auch viel genutzt.
„Die Zahl der psychisch belasteten Menschen hat zugenommen in letzter Zeit“, sagt Christine Weimann. Betroffen seien vor allem Menschen, die sonst sehr aktiv sind und zuerst wie in Schockstarre waren durch die Corona-Maßnahmen, da Jobs verloren gingen, Reisen, Kultur- und Freizeitaktivitäten plötzlich wegfielen und man Familienangehörige nicht mehr besuchen konnte. „Jetzt kommt zur Angst vor der dunklen Jahreszeit die Sorge, dass es wieder losgeht im Winter mit diesen Einschränkungen“, so Christine Weimann. Für diese Menschen sei es wichtig, eine Anlaufstelle zu haben. Zumeist sind sie zwischen 40 und 70 Jahre alt.
Zurzeit gibt es Gesprächsgruppen für Menschen mit Depressionen mit jeweils maximal fünf Teilnehmern neben vielen anderen Angeboten. Zwei bis drei neue Teilnehmer kommen wöchentlich in die Gesprächsgruppe, um sich mit anderen auszutauschen über ihre Sorgen. Das erleichtert, man vernetzt und unterstützt sich gegenseitig. Diejenigen, die neben ihrer Erkrankung auch unter den Corona-Regeln leiden, erfahren, dass ein Teil dieser Menschen ständig so eingeschränkt lebt, dass sie noch nie verreist sind oder auf Partys gefeiert haben, kein familiäres Umfeld haben oder die Kinder weit weg wohnen. Es sei weniger übersteigerte Angst vor dem Virus bei den Besuchern des psychosozialen Treffs, unter ihnen viele Alleinlebende. Sondern sie vermissten vor allem den sozialen Kontakt zu Menschen in ähnlicher Situation.
“Wir versuchen so viele Begegnungsmöglichkeiten wie möglich aufrecht zu erhalten unter Berücksichtigung der Hygieneregeln, z.B. in kleinen Gruppen etwas zusammen machen und viel rausgehen an die frische Luft und in die Natur“, sagt Christine Weimann. Sie weiß wie schwer das Alleinsein besonders für ältere Menschen ist. Sie betreut und begleitet ihre 87-jährige Mutter als Risikopatientin zuhause durch die Corona-Zeit. „Es ist wichtig, trotzdem Nähe zu haben.“
Besucher des Psychosozialen Treffs müssen vorher anrufen und sich anmelden für das Gruppenangebot aufgrund der Hygienevorschriften und Platzbegrenzung.
“Wir werden auch aufgrund der neuen Bestimmungen des Lockdown weiterhin zuverlässig für unsere Klienten erreichbar sein.“ Seit Oktober trifft sich hier wieder wöchentlich eine Gruppe für Kinder, deren Eltern psychische Erkrankungen haben, zu Entlastung, Spaß und Spiel und sie können ohne Scheu alles fragen und Kummer loswerden.
Außerdem lädt ein Erzählcafé für psychisch kranke Menschen ab 65 Jahre 14-tägig ein und es wird Beratung für Demenzkranke und ihre Angehörige angeboten. Zu den ersten Besuchern nach der langen Pause im Treff gehörte Christine. Hier hat sie inzwischen eine beste Freundin gefunden, mit der sie auch mal etwas unternimmt. Sie kommt wieder dienstags zur Kunsttherapie-Gruppe und mittwochs zum Terrassentreff mit Kaffeetrinken und Quatschen. Ihr helfe auch der Spruch: „Wenn man hinfällt, wieder aufstehen, Krone richten, weitergehen.“ Zusammen mit den Besuchern werden an diesem Nachmittag Ideen gesammelt zur Gestaltung der Advents- und Weihnachtszeit. „Es wird sicher anders als sonst, aber wir machen das Beste daraus“, sagt Frau Weimann und auch Christine schmunzelt in Vorfreude.
Text + Fotos (lv)
Aktuelle Informationen zu den Angeboten stehen auf der Homepage http://www.ptv-sachsen.de
Adresse:
Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle,
Psychosozialer Trägerverein Sachsen e.V.,
Naumannstr. 3a, 01309 Dresden
Tel.: 0351 – 65 69 00 86
Die Tür steht offen für Besucher auch während des Lockdowns. Mittwochnachmittag ist Terrassen-Treff im Grünen mit Kaffee und Reden.