Drei Versuche die Natur des Menschen zu verstehen

I
Walpurgisnacht durchgerauscht
kein Gehörnter Feuriger
keine Hexen tanzten durch die Nacht
doch die Feuer brannten
und stürzten ein
Sirenen und Feuerwehren heulten
und eilten herbei
gleich am ersten Tag
im schönen Mai

am Flussufer war`s tagelang still
ein Mann kam schrill klang
seine Stimme er trug dunkle Sachen
und eine Angel im Arm
als er das Ufer in Beschlag nahm
schließlich bezahle er dafür

eine Entenmutter und ihre Jungen
stiegen an Land
und verließen es fluchtartig wieder
der Mann mit der Angel schrie
die Enten sterben wenn ich sie füttere
wegen Leuten wie mir
würden Zäune an Gewässern errichtet
ich füttere nichts was sie nicht vertragen
erwiderte ich und nur wenn sie hungrig sind

was sind die paar Brotkrumen gegen den
vielen Plastikmüll der überall herumliegt
den die Wasservögel ungehindert hinunter
schlucken und der Feinstaub in der Luft
den wir alle einatmen was ist damit

ob die Wildgänse mich sehen können
manchmal kommen sie den Weg hoch
am alten Hafen mir entgegen
Raben merken sich wen sie sehen
und attackieren genau den Menschen
der ihnen etwas antat sagt der Mann neben
mir und schüttet Krümel aus seiner Tüte

II
Die Möwen sind nicht wiedergekommen
wohl schon wieder am Meer
eine Blaukrabbe wurde angeschwemmt ein
äußerst seltener Fund hieß es mit irgendeiner
Strömung von weither aus Nordamerika
an der Ostsee nahe der Seebrücke in Ahlbeck
wo ich immer im Sommer bin
mein Herz schlug höher beim Anblick der
windbewegten Wellen am leeren Strand
wo man die Blaukrabbe fand

es sah aus als lebte sie noch
der wehrhafte Leib dunkle Augen und
ausgestreckte Zangen
was für eine Odyssee sie hinter sich hat
nun wird sie präpariert für ein
Meereskundemuseum
diese seltene Krabbenart sei interessant
auch für die Fischerei hiess es im gleichen
Atemzug
ihr Muskelfleisch eine Delikatesse
dafür der weite Weg
und ich wünsche mir dass sich keine
weiteren Krabben hierher verirren

III
Abends noch mal raus
Katzenfutter einkaufen
sah ich auf meinem Anorakärmel
eine kleine grüne Raupe sitzen
sie reckte und streckte sich
wie Fühler im Kunstlicht zwischen
den Warenbergen
hielt ich den Arm still beim Bezahlen und
Einpacken und lief mit der Raupe
nachhaus und setzte sie im Hausgarten
ins hohe Gras

sie ringelte und kringelte sich
den Winzling allein zu lassen fiel mir schwer
den ich einen Moment mit mir trug
in der Natur weiß ich sie gut aufgehoben
findet ihn unter den Halmen hoffentlich kein
Vogel mehr
Vielleicht wird aus der Raupe bald
ein Schmetterling

LV
4.5.2023

Für Gaja die Erdmutter
(Für Karin Weber)

Gaja trägt ihr schönstes Kleid
erdfarben voller Blüten
schwingt es weit
jeder ruft ihr zu
ihr wachse und werde

was du noch nicht bist
aus dunklem Grund zieht
es sie ins Licht
die Farben die die Natur
dir schenkt in Fülle
hat der Wind dir aus
dem Haar gekämmt
schon wieder
fast
in uns blühen sie weiter

die Stimme hell und klar
all die Bilder
wie im Traum
gewordene Wirklichkeit
von ihnen zu erzählen
mehr als die Augen sehen

doch das Gehen fällt schwer
wohin auch gehen
in dieser Zeit
ach hätten wir nur Flügel
wie das Paar auf der Leinwand
unverzagt wie die Malerin AH

sie tragen überall hin
und einer hält den anderen
halten wir uns
an das was wir lieben

LV
10.5.2023

(zu dem Bild „Vor dem Abflug“ von Angela Hampel in ihrer derzeitigen Ausstellung „Unverzagt“ in der Galerie Mitte in Dresden.)

Texte + Fotos: Lilli Vostry

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