Viermal Else wie sie leibt und lebt. Inszenierungsfoto mit: Veronika Petrovic, Julia Rani, Sandra Maria Huimann, Maria Sommer (v. l.) Foto: Carsten Beier

Reizvolles Spiel mit Rollenbildern

Das Stück „Fräulein Else“ nach Arthur Schnitzler ist auch bei der 10. Langen Nacht der Dresdner Theater am Sonnabend, dem 20. April auf der Studiobühne der Landesbühnen Sachsen in Radebeul zu sehen. 22 Theater in und um Dresden laden die Besucher zwischen 16 und 23 Uhr zu einer bunten Mischung aus S chauspiel, Oper, Musical, Tanz, Puppentheater und Lesungen ein und zeigen im Stundentakt jeweils 30-minütige Kostproben aus ihrem Repertoire. Begonnen im Schauspielhaus Dresden, dort liegen auch Programmhefte aus, mit Abschlussparty dort ab ca. 23.15 Uhr bis zum Theaterhaus Rudi mit After Show Party mit Tam Tam Comony ab 22 Uhr. Karten gibts jeweils vor Ort.

Im warmen Bühnenlicht tanzen übermütig vier Frauen auf die Bühne. Ihre Körperschatten zeichnen sich auf der weißen Wand ab. Sie bewegen sich um ein Gehäuse, eine Art Salon, Versteck oder Käfig mit Ritzen zum Hineinlunsen, geheimnisvoll und etwas unheimlich. Eine von ihnen mit brünettem, halblangen Haar, roten Lippen  und geschminktem Bijoubärtchen und schulterfreiem, schwarzweiß geblümten Kleid und Glacéhandschuhen (stolz, verletzlich, im Zwiespalt ihrer Gefühle: Sandra Maria Huimann) verliest einen Brief ihrer Mutter aus Wien, der sie mitten in den Ferien im Süden ereilt. Ihr Vater steckt in Geldnöten und nur seine Tochter Else könne ihn vor dem Kriminal retten, wenn sie den ebenfalls im Kurort weilenden Kunsthändler Herr von Dorsday um Geld bittet. Sie will ihrem Vater helfen, doch ist bestürzt über die Bedingung Dorsdays: Er leihe ihr das Geld, aber nur, wenn er sie eine Viertelstunde nackt ansehen könne.

Auf der Grundlage von Arthur Schnitzlers Novelle „Fräulein Else“, die er 1924 veröffentlichte als inneren Monolog einer 19-jährigen Frau aus gut bürgerlichen Verhältnissen und das Problem der materiellen Abhängigkeit von Frauen thematisierte, entstand eine Stückentwicklung unter Regie von Jan Meyer mit vier Schauspielerinnen. Die Premiere war im Januar auf der Studiobühne der Landesbühnen Sachsen in Radebeul. Mit Textpassagen von Schnitzler, ergänzt um eigene Sichtweisen und Erfahrungen kam ein spannendes, berührendes wie provokantes Spiel zwischen Traum und Wirklichkeit über alte und neue Frauenrollen-Bilder, den Umgang mit Körperlichkeit, Nacktheit und  weiblichen Wünschen und Identität in einer immer noch männlich geprägten Gesellschaft auf die Bühne.

Gleich viermal Else war zu erleben mit all ihren Träumen, Ängsten, Zweifeln, Begabungen und Eigenarten. Vier verschiedene Frauentypen sprechen, agieren, ergänzen sich und überlegen, was zu tun ist. Ob sie das anstößige Angebot annehmen oder nicht. Da ist die brave, adrette, romantische Dame im weißen Kleid  mit Sonnenschirmhut (Maria Sommer), die sinnlich, verführerische und mutige, die es mit dem Geldgeber und Angreifer aufnehmen will (Julia Rani), die kluge und sensible (Sandra Maria Huimann) und die elegant, burschikos kokette mit männlichen und weiblichen Attributen spielende Frau im Nadelstreifenanzug, weißem Hemd, schwarzer Schleife und hochgestecktem rötlichen Haar (Veronika Petrovic). In jeder von ihren steckt auch ein Teil der anderen. Viele Facetten von Frausein.

Zuerst lehnen sie das Geld-Angebot empört ab. Sie seien nicht käuflich! Im nächsten Moment rennen sie aufgeregt, kichernd umher und träumen, was mit dem Geld alles anfangen könnten, studieren, reisen, sich einen Geliebten nehmen und nackt auf dem Marmorboden liegen… Sie spielen verschiedene Möglichkeiten und Szenarien durch. Das Spiel mit Blicken, keusch, naiv, reizvoll und wütend, sich nicht für Geld zu verkaufen. Dann wieder steht Else, die wohlbehütete Tochter (Sandra Maria Huimann) wie erstarrt vor Angst und Abneigung, ausgeliefert den männlichen Blicken, an der Wand. Die anderen Darstellerinnen stehen um sie herum und legen besitzergreifend die Hände um ihren Körper und taxieren dessen Wert. Grotesk-komisch die Szene, in der die Frauen sich vor einen weißen Sarg stellen und vorstellen, Else wäre tot, um der Misere zu entgehen oder den Skandal, wen man mehr bedauern würde, ihren Vater oder den Kunsthändler, die durch ihren Tod in schlechten Ruf gerieten. Wie es ihr geht ist egal.

Dann drehen sie den Spieß um. Else (Julia Rani) steht als Mann auf dem Sarg wie einem Podest, den intensiven Blicken und abfälligen Sprüchen der Frauen ausgeliefert, die ihm sagen, was er machen soll  und erfährt selbst wie es ist, mit Blicken ausgezogen zu werden. Die Frauen erzählen auch von eigenen Erfahrungen, wenn jemand näher kommt als gewollt oder abends allein an der Haltestelle zu stehen. Dann gehen die Frauen in die Offensive und wollen sich wild entschlossen nicht nur Dorsday nackt zeigen. sondern auch allen anderen in der Hotelhalle. Dann sind sie damit nicht allein. Huimann sagt, sie ziehe sich jetzt aus, bewegt die Fingerspitzen in den langen weißen Glacéhandschuhen, doch lässt ihr Kleid an. Ein sinnliches Spiel mit der Vorstellungskraft des Zuschauers und es gibt ihr die Macht über ihren Körper zurück. Sie entscheidet, wie weit sie geht.

Zum Schluss rücken die anderen Frauen an sie heran, bilden einen Kreis um sie wie um sie zu schützen und rufen erstaunt „Else“! Es bleibt offen, ob sie sich nackt zeigt. Viel Beifall gab es vom Publikum für einen ambitionierten, emotionsreichen Theaterabend mit viel Stoff zum Weiterdenken.

Text (lv)

Termine: 20.4., 19, 20 und 21 Uhr bei der Langen Nacht der Theater.

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