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Fotos: Staatsschauspiel Dresden

Karl May als visionärer Weltreisender

Er war Träumer, Abenteurer und Utopist. Geliebt von den Fans seiner wild-romantischen Geschichten, in denen Gut und Böse noch klar getrennt sind und immer die Edelmütigen siegen. Geschmäht von seinen Kritikern als notorischer Lügner und Hochstapler. Das Stück „Der Phantast – Leben und Sterben des Dr. Karl May“ von Jan Dvorák holt die schillernde Figurenwelt seiner Romane, verwoben mit seiner eigenen Lebensgeschichte, Ideen und Visionen eines friedlichen Miteinanders der Kulturen voller Situations- und Tragikomik, spannend, kurzweilig und hoch aktuell auf die Bühne im Schauspielhaus Dresden (Idee und Regie: Philipp Stölzl, der auch Drehbuchautor der drei neuen Winnetou-Verfilmungen ist, die unlängst im Fernsehen liefen).

Die Guckkastenbühne mit Wohn- und Schreibzimmer mit ausgestopftem Löwen, Silberbüchsen und orientalischen Teppichen ist originalgetreu der Villa Shatterhand in Radebeul nachempfunden, die zum Karl-May-Museum gehört. Mit viel Idealismus und Selbstironie als gedanklicher Weltreisender in Pantoffeln, der unzählige Abenteuer mit seinen Bücherhelden durchlebt und -leidet, vor gemalten Kulissen ferner Länder und Landschaften für den Fotografen posiert und bald selbst nicht mehr zwischen Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden kann, spielt Götz Schubert in der Rolle des Karl May (im Februar wäre sein 175. Geburtstag) alle Höhen und Tiefen dieses beeindruckenden Schriftstellerlebens.

Er bereist als Kara Ben Nemsi im weißen Gewand den Orient hoch zu Ross, das sein treuer, Turban tragender Begleiter Hadschi Halef Omar (Alexander Angeletta) an einem Seil vorwärts zieht auf der Bühne und durchstreift als Old Shatterhand Prärie und Sümpfe im Indianerland. Er kämpft mit Bösewichten, die Pickelhauben tragen (die Geschichten entstanden im Wilhelminischen Deutschland) und entlarvt mit seinem imaginären Blutsbruder, dem Apachenhäuptling Winnetou (zunächst adrett in Anzug und Zylinder über dem langen Haar mit Feder schön naiv-komisch: Ahmad Mesgarha) Heuchelei, Heimattümelei mancher seiner deutschen Landsleute, denen Karl May sich als weltoffener Phantast entgegenstellt. Den seine erste, bieder-häusliche Frau Emma (Nele Rosetz) wegen seiner wilden Flunkereien für verrückt hält und schon selbst dem Wahnsinn nahe, lieber mal wieder zum Amselsee nach Rathen mit ihm fahren will, als von den immer neuen, fremdländischen Reiseabenteuern in seinem Kopf zu hören. Der hartnäckig-besessen glaubt: „Die Wirklichkeit hält sich an meine Bücher!“

Der vom Erfolgsautor zum Verfolgten und als „Volksverräter“ bezichtigt wird von seinen Kritikern, die ihn in seinen Albträumen ins Kreuzverhör nehmen und später zu zehn Jahre dauernden Gerichtsprozessen führen nahe am Ruin, woraufhin Karl May seine wahre Geschichte erzählt, die von bitterer Armut, kleinen Diebstählen in jungen Jahren und großen Träumen von einer gerechten, besseren Welt handelt, die aber keiner seiner Ankläger hören will. Am Ende seiner Lebensreise begleitet Winnetou mit dunkel-archaischem Gesang und weit schwingenden Armen den sterbenden Karl May, der immer an seine Romanhelden glaubte. Die mit seinem Werk lebendig bleiben. Herzlicher Beifall.

Nächste Vorstellung: 18.2., 19.30 Uhr

 

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