In der Geschichte der Wismut graben zwischen Idealen, Illusionen und Wirklichkeit: die Akteure der Aufführung „Tausend Sonnen“ im Kleinen Haus. Foto: Sebastian Hoppe

Spannende Reise mit viel bodenständigem Humor
in die Welt der Bergleute

Rührende, ernste, nachdenkliche und komische Szenen, persönliche Erinnerungen und Erfahrungen mischen sich  in der Inszenierung „Tausend Sonnen“, einem Theaterprojekt der Bürger:Bühne im Kleinen Haus und holen bisher wenig bekannte sächsiscbe Bergbau- und Industriegeschichte ins Licht.

Ein funkelnder Schatz liegt tief unter der Erde im Erzgebirge. Verlockend, geheimnisvoll und gefährlich zugleich, ranken sich viele Geschichten, Wahres und Legenden um ihn. Licht ins Dunkel versucht die Aufführung „Tausend Sonnen“ zu bringen – ein Projekt zur Wismut und zur Uranförderung, das in einer Produktion der „Bürger:Bühne“ am Sonnabend Premiere hatte im Kleinen Haus des Staatschauspiels Dresden.

Eine Mauer aus grauen Pappkartons mit zwei Wachtürmen, durchzogen von Gesteinsblöcken und auf und ab schlängelnden Förderbändern umschließt wie eine Festung die Bühne unterm Dach. Vier Männer und zwei Frauen, deren Leben auf verschiedene Weise mit der Wismut – dem ehemals weltgrößten Unternehmen für Uranförderung in der DDR für das sowjetische Atomprogramm – verbunden sind, agieren mit viel Elan und Spielfreude in grell gelben Arbeitsanzügen. Eine ältere Dame in schwarzem Kleid erzählt eingangs eine nahe gehende Geschichte von einem jungen Bergmann, der bei einem Grubenunglück verschüttet und nach 60 Jahren gefunden wurde, sein toter Körper wurde nahezu unversehrt mit jungem Antlitz zurückgebracht zu seiner Braut, die ihn als alte Frau an ihr Herz schließt. Romantisch verklärte, traurige, ernste, nachdenkliche und komisch absurde Szenen zum Alltag der Bergleute bei der Wismut und persönliche Erinnerungen der Akteure fließen eindrucksvoll und spannend zusammen in dieser Inszenierung unter Regie von Tobias Rausch, dem Bürgerbühnenleiter.

Zwei Männer schauen, verkleidet als Kakerlaken mit langen, dunklen Fühlern ab und zu hervor aus dem Bergwerk und frohlocken, dass sie selbst die radioaktive Strahlung des Urans überlebt haben. Jeder der sechs Akteure hat seinen ganz eigenen Blick auf die Wismut und schildert seine Erlebnisse und Erfahrungen. Sven Sczibilanski wollte die Welt sehen und ein aufregendes Leben. Nachdem sein Traum bei der Handelsmarine geplatzt war, entschied er sich für eine Ausbildung zum Bergmann. „Rammeln, Leistung und Kohle zählten“, sagt er ohne Umschweife. Heinz Richter, der in der Handelsorganisation der Wismut arbeitete, hält ein Schild  mit der Aufschrift „Bananen“ hoch, die es wie andere Südfrüchte, Prämien und akzisefreien Trinkbranntwein, genannt „Kumpeltod“ für die Bergleute und ihre Familien als Anerkennung für die körperliche Schufterei gab. Er telefoniert sich die Finger und Stimme wund, wenn die Ware wieder mal ausgeht.

Vor den immer noch unter Tage lauernden Schadstoffen im Grundwasser und den Folgen für Mensch und Umwelt warnt der promovierte Gewässerkundler Kai-Uwe Ulrich. Christa Härtel kam als Kind mit ihrer Mutter nach Johanngeorgenstadt, die als Garderobenfrau mit ihr in einer Bergarbeiterbaracke wohnte und erlebte den Niedergang der Stadt durch Bodensenkungen mit. Bis heute verbindet sie eine Hassliebe mit diesem Ort. Silvia Weißbach erzählt von ihrer Zeit als Facharbeiterin für Geologie, von ihrer Faszination für die fossilen Gesteine, Geschichten von Berggeistern, die mit Musik und Lichtern wie tausend Sonnen die Menschen in den Berg locken und von der Suche nach Uranvorkommen. Doch es wurde nur von „Erz“ gesprochen und alles war „streng geheim“.

Mal ganz offen, mal flüsternd bei der Raucherpause geben sie alle nur Bruchteile ihrer Arbeit wie einst weiter, streiten, tanzen ausgelassen bei der Brigadefeier zu Salsa-Klängen und posieren als Bergmänner und heroische Helden: „Wismut, das ist Erz für den Frieden!“ Da geht es auf Zeitreise im ratternden Förderkorb zurück in die Geschichte des Erzbergbaus bis zur Schließung des unrentablen Wismutbetriebes 1991 und stehen die Akteure plötzlich mitten in der Gegenwart mit Energiekrise und dem Weiterbetrieb von Atomkraftwerken. Da prallen Ideale, Illusionen, Gerüchte, Halbwahrheiten und Widersprüche heftig aufeinander bei der gemeinsamen Annäherung an die Wahrheit. Schönes wie Schmerzliches, Traditionen wie Bergparaden und Stolz auf den Zusammenhalt verbinden die Wismuter bis heute.

Zum Schluss fragen die Akteure sich rückblickend, ob es das wert war. Sie wollten Teil von etwas Besonderem sein. Zusammen summen sie erst leise das Steiger-Lied, dann laut und kraftvoll mit dem zeitlosen Mutspruch: „Er hat sein helles Licht bei der Nacht…“ Reichlich Beifall gab es für einen Theaterabend, der offen, authentisch und mit viel bodenständigem Humor Einblick gewährt in ein spannendes, bewegendes, schwieriges und immer noch wenig bekanntes Stück Bergbaugeschichte und Lebensalltag im Osten Deutschlands.

Text (lv)

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