Wild wuchernde Fantasie und Farben
In der Ausstellung Wintersalon zeigen 57 sächsische Künstlerinnen und Künstler erfrischend unkonventionelle, vieldeutige Arbeiten in der Galerie des Kunstvereins Meißen.
Die Bilderwände sind gut gefüllt. Die ersten Besucher schauen sich um.
“Was kostet das Huhn?“, fragt eine Frau. Seine Federn leuchten grauweiß vor
blauviolettem Himmel auf dem kleinen Ölbild von Anita Rempe. Das große
Porträtbild daneben von Lisa Wölfel zeigt ein weißes, maskenhaftes Gesicht im Profil, über die Augen, rote Nase und Wangen tropft Farbe. Vor einem Baumstamm steht ein Junge in kurzer, schwarzer Turnhose mit einem roten Apfel auf dem Kopf. Darüber trägt eine Taube die Weltkugel auf schmalem Grat, gemalt von Robert Richter. Von ihm stammt auch die Druckgrafik mit dem Pinguin, der ein Schiff auf dem Rücken trägt an Seilen, an Land vor geschmolzenen Eisbergen. Ringsherum Ansichten vom Meer, Bohrinseln, Landschaften mit und ohne Menschen. Weiter unten in der Ecke ragt auf einer Leinwand ein bedrohlich aufgerissenes Maul mit gefletschten Zähnen, schon halb verschlungen sieht man Wald, Bäume und See und davor sitzt wie in einer Höhle eine urwüchsige weibliche Figur mit wilden Tieren an ihrer Seite am Feuer. „Maulhelden“ heißt dieses surrreal vieldeutige Bild von Anja Herzog.
Wild wuchernde Fantasie und Farben und überraschend viel neue und junge Kunst gibt es zu entdecken in der diesjährigen Gruppenausstellung „Wintersalon“ des Kunstvereins Meißen in den Räumen auf der Burgstraße 2, die am Sonnabend ihre Türen öffnete. Erfrischend unkonventionell, witzig, fantastisch, fragil, verletzlich und kraftvoll kommen die Arbeiten von 57 sächsischen Künstlerinnen und Künstlern zwischen 29 und 81 Jahren daher. Zu sehen sind Malerei, Grafik, Fotografie, Skulptur und Objekte in großartiger Vielfalt. Auf dem gemütlich gelben Chaiselongue am Fenster sitzend, kann man einen Blick auf das schöne Wandbild nahe dem Weihnachtsmarkt draußen werfen, sich entspannt zurücklehnen und die wundervolle Fülle an Ausdrucksformen betrachten und genießen. „Wir möchten mit der Ausstellung einen Überblick über die derzeitige zeitgenössische Kunstlandschaft geben, zu der wir sachsenweit Künstler eingeladen haben“, sagt Maren Marzilger. Sie ist Kunsthistorikerin und seit März diesen Jahres Geschäftsführerin vom Kunstverein Meißen. Die Wintersalon-Ausstellung hat sie gemeinsam mit Mattias Lehmann, Vorstandsvorsitzender des Vereins kuratiert. Aus über 80 Bewerbungen wählten sie die Kunstwerke aus.
Der Kunstverein Meißen hat die Konzeptförderung der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen bekommen für drei Jahre, noch bis 2024. Maren Marzilger hat vorher als freie Kuratorin Ausstellungen für den Kunstverein vorgeschlagen und organisiert. Nun kümmert sich die 36-Jährige mit viel Elan auch um die Aquise und Förderung für die Kunstprojekte. Sie ist seit elf Jahren in der Kunstszene in Dresden und der Region unterwegs und leitet hier den „Saloon“, ein Internationales Netzwerk für Frauen in der Kunst, das 2012 in Berlin gegründet wurde und bereits in zwölf Städten, acht Ländern und drei Kontinenten aktiv ist. Rund ein Dutzend der ausstellenden, jüngeren Künstler um die Dreißig kommen aus Leipzig und haben an der Kunsthochschule in Dresden studiert. Ihre Arbeiten reflektieren und setzen sich mit aktuellen Themen wie Klimawandel, dem Umgang zwischen Mensch und Natur und menschlichen Beziehungen auseinander. Um das Verhältnis von Mensch und Tier, ihre Freundschaft und um die Darstellung von Niedlichkeit geht es Josefine Schulz in ihren Hundeporträts, darunter einem weißen Hund vor blauem Himmel auf einer Blumenwiese und ein liegendes Mädchen mit Hund, die gerade durch ihre reduziert einfache Formensprache anrührend wirken. Schön spiegelgleich sind auch ihre „Zwillinge“. Theresa Rothe zeigt einen farbigen Wurm an der Wand und ein skurriles, kafkaesk anmutendes Mischwesen, halb Mensch und Tier aus schwarzem Fellstoff, mit sechs Händen und modelliertem Gesicht kriechend. „Sluggish“ (übers.: „träges Ungeziefer“) nennt sie ihre Kreation. In ihren Skulpturen vereinen und spiegeln sich spielerisch grotesk Körperliches, Kuriositäten des Alltags, Traumbilder und Realität.
Susanne Hampe lässt den Betrachter rätseln mit ihren perlenförmig wuchernden Wandobjekten und einem fünflagigen weißen Scherenschnitt mit netzartigen Strukturen. Ein bronzen glänzender Octopus mit langen Fangarmen von Doreen Wolff steht als Blickfang am Fenster. Daneben eine kleine schwarze, archaische Figur mit Trommelkörper auf einem Wandbord und winzige schwebende, ebenfalls schwarze Kostüme an Kleiderbügeln von Soyong Park, einer südkoreanischen Künstlerin. Apart und sinnlich wirkt die Zuckerdose aus Porzellan mit weiblicher Rundung als Deckel von Dana Berg. Eine wie zum Sprung ausholende, nackte Frauenskulptur und Tänzerinnen mit erhobenen Armen aus bemaltem Porzellan zeigt die aus Meißen stammende Künstlerin Dagmar Langer. Schwarz-weiße Fotografien mit zauberhaft spiegelnden Moorlandschaften von Steffen Lipski hängen an der Wand neben assoziationsreich formspielerischen Holzobjekten von Markus Lange, in denen er mechanisches Räderwerk und Naturformen verbindet. Eins erinnert von der Seite gesehen an ein Fischskelett, das andere an ein Schiff oder Spielburg mit dem Titel „Time out for fun“.
Geheimnisvoll in der Schwebe zwischen Traum und Realität stößt eine große weiße Wolke an eine gelbe Figur in einer expressiven Tuschezeichnung von Stephanie Laeger. Außerdem verwandeln sich die Ausstellungsräume in der Adventszeit (vom 3. – 17.12.) auch in ein Atelier für Workshops, wo die Teilnehmer Leuchtbilder und Theatermasken aus Verpackungsmaterial und vieles mehr mit Künstlerinnen wie Nadine Wölk, Hanne Lange oder Michaela Möller selbst gestalten können. Die Angebote sind kostenfrei. Die Ausstellung Wintersalon ist noch bis 21. Januar 2023 zu sehen.
Text + Fotos (lv)
Öffnungszeiten: Mi bis Sa 12 – 18 Uhr.