Wer herrscht, hat Recht: König Kreon (Ulrich Wenzke).
Hautnah am Geschehen bis zur Schmerzgrenze mit der Kamera: mal Wächter an der Leiche und mal Kameramann (Moritz Stephan) und Lola Mercedes Wittstamm als aufbegehrende Antigone.

Der Vater brüllt seinen Sohn nieder, der meint, er sollte auch die Gegenseite hören und das sei nicht ehrrührig. Ulrich Wenzke als Kreon und Paul Oldenburg als Haimon.
Fotos: Marco Prill

Wettlauf zwischen Wirklichkeit und virtueller Welt

Das antike Drama „Antigone“ von Sophokles erkundet in einer Inszenierung im Theater Junge Generation im Kulturkraftwerk Mitte zwischen Ernst und Komik Chancen und Grenzen, die Welt mittels moderner Kommunikationsmittel besser zu verstehen.

Der Krieg ist aus, die Stadt frei. Doch ein Riss geht durch sie. Als Antigone (gefühlvoll: Lola Mercedes Wittstamm) ihren toten Bruder Polyneikes würdig bestatten will, lehnt sie sich damit gegen den neuen Herrscher Kreon auf, der als nächster Angehöriger den Thron von Theben bestiegen hat. Die Beerdigung eines „Verräters“ wäre ein Politikum. Kreon (übertrieben selbstherrlich: Ulrich Wenzke) beruft sich auf Vernunft und Recht und das Gemeinwohl der Stadt. Soll man Frevler ehren?!, fragt er seine Kritiker. Dies führt zu einem ebenso erbitterten wie absurden Streit mit grausamem Ausgang im antiken Drama „Antigone“ von Sophokles, das in der Nachdichtung von Walter Jens, vorwiegend an junge Zuschauer gerichtet, als modernes, digitales Medien-Drama im Kampf um die Wahrheit auf die Studiobühne des Theaters Junge Generation im Kulturkraftwerk Mitte kam (Regie: Nils Zapfe).

Wie in einer Arena sitzen die Zuschauer auf Holzkästen rings um die Spielfläche. Die mit den Plätzen zugleich verschiedene Perspektiven und Meinungen auf das Geschehen einnehmen. Dieses wird live auf zwei Leinwänden übertragen, im Fernsehen kommentiert und in den sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter unentwegt diskutiert und mit allen Details ausgeschlachtet. Die Palette der Kommentare reicht von „Die Wächter bewachen den Verräter wie einen König“ bis „Ob Ratten wirklich Aas fressen… Nee, nur Blut trinken“. Die Meinungen wechseln ständig wie die Lager von Symphatisanten oder Gegnern Antigones und Kreons.

Nicht leicht, da den Überblick zu behalten oder schlüssige Antworten auf den Konflikt zu finden. Zu gegensätzlich sind die Positionen, irgendwie hat jeder recht oder unrecht, keiner gibt nach. Die Fronten sind verhärtet. Im Spannungsfeld von Wirklichkeit, eigener Wahrnehmung und der bereits alltäglichen Welt digitaler Medien, wo Fiktion, Fake News und Realität, Tatsachen und Meinungen immer mehr verschwimmen, bewegt sich auch die Inszenierung. Auf der Bühne, vor laufender Kamera, im TV-Nachrichtenstudio und im Musikvideo wird der Konflikt zwischen Kreon und Antigone von allen Seiten beleuchtet, bebildert und hinterfragt. Die Schwelle zwischen Ernst und Komik verwischt ebenso wie Schwarz-Weiß-Denken und starr radikale Standpunkte ironisch gebrochen werden. Denn hier geht es nicht nur um Machtmissbrauch und Zivilcourage, sondern auch um kämpferisches Gegen- oder Miteinander von Männern und Frauen.

Kreon ist fassungslos, dass nicht irgendein bestochener Wächter, sondern ausgerechnet seine Nichte Antigone sich ihm widersetzt und ihren Bruder beerdigt hat.
Noch mehr erzürnt ihn, wie aufrecht und gefasst sie ihrer Strafe entgegensieht. Ihre Schwester Ismene und Fernsehmoderatorin (Ulrike Sperberg) hält sie für eine „Törin“, die sie zugleich bewundert und beneidet in ihrem Mut. Seinen Sohn Haimon (weit weiser als der Vater: Paul Oldenburg), der auch den blinden Seher Teiresias spielt, brüllt Kreon nieder, als der ihn bittet, auch die Gegenseite zu hören und nachzugeben. Der Vater wird ihn nie wiedersehen. Antigone geht, begleitet von einem Kameramann (Moritz Stephan), der vorher Wächter an der Leiche war, wie eine Märtyrerin zu pathetischen Klängen zu der Felshöhle, wo Kreon sie lebendig begraben lässt. Sie fragt ins Publikum: „Wer steht auf meiner Seite?“ Mehrere stehen auf. Andere kichern belustigt, als sie sich mit rührenden Worten vom Leben verabschiedet, halten die Szene wohl für einen Gag. Antigone (Lola Mercedes Wittstamm) fühlt sich auch nicht wohl damit: „Ja, weil ihr lacht und ich sterb jetzt!“, entgegnet sie ihnen. Kreons Reue kommt zu spät. Er verliert alle, die er einst liebte. Kaum ist sein Platz frei, setzt sich der Wächter ans Mikro im TV-Studio und verkündet: „Theben braucht nun einen König ohne lange Vorgeschichte. Mein Volk. Ich will, dass wir die Welt nun etwas vernünftiger gestalten. Guten Abend !“ Noch während seiner Worte fliegt ein Flugzeug knapp über seinem Kopf vorbei. Kann sich jeder selbst weiterdenken.
Viel Beifall für einen spannenden, multimedialen Theaterabend.

Text (lv)

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