Lukas Bärfuss
Es ist jedes Jahr spannend, wer bei den „Dresdner Reden“ ans Pult tritt. Seit ihrem Start im Jahr 1992 bis heute ist die Anziehungskraft beim Publikum ungebrochen, das Schauspielhaus an den vier Sonntagen Ende Januar und Februar meist ausverkauft. Dazu lädt das Staatsschauspiel Dresden in Kooperation mit der Sächsischen Zeitung jedes Jahr Persönlichkeiten aus Kunst, Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft ein, um mit den Zuschauern über welthaltige Themen nachzudenken.
Ein Blick auf die beeindruckend reichhaltige Rednerliste zeigt aber auch, dass in den Anfangsjahren deutlich mehr und charismatische Politiker bei den „Dresdner Reden“ sprachen wie Egon Bahr (gleich zweimal 1992 und 2002), Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher, Heiner Geißler, Wolfgang Thierse, Joschka Fischer bis Kurt Biedenkopf und viele andere. In den letzten Jahren und auch diesmal überwiegen die Schriftsteller, Publizisten und Soziologen. Zufall oder Ausdruck der politischen Sprachstörungen derzeit hierzulande? Ohnehin sind in letzter Zeit Orte des offen-unaufgeregten Mitdenkens und Zuhörens rar geworden.
In diesem Jahr traten bereits der Schriftsteller Ilija Trojanow und Lukas Bärfuss (Schweizer Essayist und Dramatiker) ans Pult. Nun folgt die israelische, in Marokko geborene Autorin und Soziologin Eva Illouz – zuletzt sorgte ihr Buch „Warum Liebe wehtut“, 2011 bei Suhrkamp erschienen, für Aufsehen – mit ihrer Rede: zu „Sexual Freedom and Social Uncertainty – sexuelle Freiheit und soziale Verunsicherung“ am 12. Februar im Schauspielhaus. Nach ihr spricht dort als letzter Redner der Politiker Matthias Platzeck, Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums und früherer Ministerpräsident Brandenburgs, zum Thema: „Brauchen Europa und Russland einander wirklich?“ (19. Februar, 11 Uhr).
Den Anfang bei den „Dresdner Reden“ 2017 machte der in Sofia geborene deutsche Schriftsteller Ilija Trojanow (sein Stück „Der Weltensammler“ wurde 2016 am Staatsschauspiel Dresden uraufgeführt) mit seiner Rede „Nach der Flucht – Gedanken über das restliche Leben“ (29.1.). Er sprach darüber, wie die Flucht aus der Heimat das Leben für immer verändert. Sie wirkt fort, unabhängig von individuellen Prägungen und davon, ob man sich integriert, , assimiliert oder außen vor bleibt, so Trojanow.
Lukas Bärfuss (seine Stücke „Der Bus – Das Zeug einer Heiligen“ und „20 000 Seiten“ über Vergessen und Erinnern waren auch im Dresdner Schauspielhaus und im Kleinen Haus zu sehen) setzte sich am vergangenen Sonntag in seiner anekdotenreichen, mit viel Ironie gewürzten und mit reichlich Beifall bedachten Rede „Am Ende der Sprache“ mit derzeitigen Kommunikationsverunsicherungen, die auch sprachliche Unklarheit hervorbringen, auseinander. Er fragte sich, was derzeit geschieht in Dresden und Sachsen, dass ihn Freunde warnten vor seiner Reise nach Dresden, da es dort „gefährlich“ sei, Fremde angegriffen und angepöbelt würden. Tatsächlich fühle er sich auch als ein Mensch aus Sachsen und besorgter Bürger, so Bärfuss, auch wenn er in den Schweizer Bergen aufwuchs und Schweizer Dialekt spreche. Er sei eingebürgert durch seine weitläufigen Streifzüge und Wanderungen u.a. durch die Oberlausitz und Heimat der Sorben, seit seinem zwölften Lebensjahr war er hier unterwegs und der literarische Held seiner Jugendjahre hieß „Krabat“ aus dem Roman von Otfried Preuß. Einer, der überall zuhause ist und ein Herumtreiber wie Bärfuss. Aus Büchern wie diesem lernte er Zaubern, List und Umgang mit den Armen dieser Welt. Kurz nach dem Mauerfall reiste er mit drei Freunden im Auto mit Schweizer Kennzeichen durch den Osten Deutschlands, misstrauisch beäugt von den Leuten von Zwickau bis Hoyerswerda, Dresden und Prag. Er wurde 26 Jahre nach Kriegsende geboren und sah in Dresden noch den Trümmerhaufen der Frauenkirche. In seiner Rede dachte Bärfuss nach über Sinn und Wirksamkeit von Sprache, ihren Ge- und Missbrauch in Politik und Gellschaft, über ad absurdum geführte Befehle durch den „Braven Soldat Schwejk“ von Hasek, der alles versteht, aber nie so wie es gemeint ist. Es gibt magische Worte, die „fürchterlich mächtig“ wirken können bis zum Stumm und Gelähmt sein am Ende der Sprache, wenn die Gewalt, Hass und Kälte beginnen. „Zurzeit gibt es wieder viele Zauberkünstler, die nicht wollen, dass wir denken und sprechen, alles nur Worte, Worte, Worte…“, sagte Bärfuss.
„Zauberworte treffen immer eine Gemütslage, Ressentiments. Das Gefühl des Zukurzkommens, Beleidigt seins, das jemand sein Wort nicht gehalten hat…“ Der Zustand einer Gesellschaft lässt sich auch am Reichtum, der Vielfalt oder dem Verfall und der Verarmung der Sprache ablesen. Zuerst gibt es eine Verödung, Verwirrung und Vereinfachung der Sprache, zitierte Bärfuss Victor Klemperer. Dresden sei ein Ort auch des Schmerzes und der Reduktion, an dem das Gewesene und Verschwundene bis heute nachwirke. Mit den Demos und dem gewaltbereiten Polizeiaufgebot 1989 schien wieder das Ende der Sprache erreicht. „Doch hier entschied man sich gegen die Parolen, die Schlagstöcke verstummten und die Sprache begann. Und die andere Möglichkeit für die Sprache, die freie Rede“, so Bärfuss. Diese brauche Räume, Menschen die sie ermöglichen und Mut. Sowohl in Dresden als auch der Schweiz und anderen Ländern Europa seien aber auch Engstirnigkeit, Geschichtsvergessenheit und Rechtspopulisten wieder verbreitet. „Im Unterschied zu hier ziehen sie nicht krakeelend durch die Straßen. Das ist auch nicht nötig. Bei uns sitzen sie in der Regierung!“, so Bärfuss.
Als Dichter sucht er nicht nach Kompromiss und Konsens, sondern nach der Wahrheit: „Ich weiß, es gibt sie. Ohne Wahrheit gibt es keine Menschlichkeit. Zaubersprüche enthalten keine Wahrheit. Sie sind das Ende der Sprache.“ Lukas Bärfuss träumt von einem Zustand, bei dem „keine Lücke bleibt, Gesagtes und Gemeintes, Worte und Sache zusammenfallen, auch eine Erlösung und ein Ende der Doppeldeutigkeiten und Angst im Herzen des anderen stattfinden. Dort wo ein Kuss beginnt am anderen Ende der Sprache.“ Und die Sprache der Zärtlichkeit die Menschen verbindet.