Jung, wild, energiegeladen voller Pläne und Ideen: Gerhard Gundermann (Jannik Hinsch) rockt den grauen Tagebaualltag.


Sanft, rau, ruppig, kämpferisch, unbequem: Das widerspruchsvolle Wesen Gundermanns verkörpern gleich sechs „Gundermänner“ im Schauspielhaus Dresden. Fotos: Sebastian Hoppe

„Immer wieder wächst das Gras…“

Mit viel Witz und Widerspruchsgeist kommt das Leben und Schaffen des Baggerfahrers und Liedermachers Gerhard Gundermann auf die Bühne in der Musik-Revue „Gundermann: Alle oder keiner“, die heute, am 1. November, um 19.30 Uhr vorerst zum letzten Mal im Schauspielhaus Dresden zu sehen ist.

Der Bühnenvorhang ist sandfarben wie die Tagebaulandschaft einst in Hoyerswerda.
„Hoywoy, du blasse Blume auf Sand…“, besingt Gerhard Gundermann die Stadt, die „laut, heiß, staubig und verbaut war.“ Wohin der 1955 in Weimar geborene Liedermacher 1967 umzog. Wo er im Braunkohletagebau als Hilfsarbeiter anfing, ranklotzte und sich vom Hilfsmaschinisten bis zum Baggerfahrer hocharbeitete. Nebenher brachte er sich das Gitarre spielen bei, ab 1972 schrieb er erste eigene Lieder.

Das Klischeebild vom „singenden, klingenden Baggerfahrer“ mochte Gundermann gar nicht und er wollte auch „kein Vorzeigeprolet“ sein. Er sah sich „zwischen Songschreiber und Regisseur, der mit seiner Hände Arbeit das Brot für seine Familie verdiente.“ Ein Satz von ihm aus jener Zeit ist fatalerweise heute aktueller denn je:
„Man muss sich weit verbiegen, um Kultur zu machen“, erlebte er zu DDR-Zeiten. Dann lieber ein Konzert absagen als zu betteln und Kunst zu machen, war seine Devise.

In Gundermanns Liedtexten kommt sein Wesen, voller Ecken und Kanten, wunderbar zum Ausdruck. Mal sanft, mal ruppig, zärtlich, rau, leise, kraftvoll, wehmütig und friedvoll haben sie bis heute nichts verloren von ihrer Poesie und Sprachkraft.

Ebenso facettenreich und ambivalent wie sein Leben und Schaffen voller Ideale, Eigensinn und Widerspruchsgeist, Erfolge und Fehlschläge kommt auch die Inszenierung „Gundermann: Alle oder keiner“ – eine Revue über Helden, Gras und Kohle“ von Tom Kühnel auf die Bühne im Schauspielhaus Dresden. Heute am 1. November, um 19.30 Uhr zum vorerst letzten Mal vor dem erneuten Lockdown ab 2. November. Dann bleiben Theater und viele andere Kultureinrichtungen einen Monat lang geschlossen.

Doch wie singt Gundermann so schön in einem Song, der zur Premiere als Zugabe gespielt wurde: „Immer wieder wächst das Gras, wild, hoch und grün…“

Im Stück treten gleich sechs „Gundermänner“ auf, mit Gitarre in Jeans und Fleischerhemd, mit blonder Langhaarperücke und großer Kassen-Brille, die zusammen und einzeln großartig und mitreißend musizieren von Rock, Blues, Chanson bis Techno, sich gegenseitig befragen, anstacheln, zornig, gelassen und nachdenklich auf die Vergangenheit zurückblicken und auch witzig-ironisch in die Zukunft schauen. Mit einer skurrilen, kämpferischen Insekten-TV-Talkshowrunde, die als „Radikalgrüne“ und „Ökoterroristen“ auftreten, wo es um die Zukunft der ehemaligen Lausitz-Tagebaureviere  mit Ausstieg aus der Kohle und den Streit um den Einsatz erneuerbarer Energien geht. Reichlich Beifall für eine Aufführung nah am Gundermann-Original und mit einfühlsam eigenen, originellen und berührenden Interpretationen seiner Lieder. Ein Abend, der Gundermann gewiss gefallen hätte und hoffentlich bald wieder auf die Bühne kommt.

Text (lv)

Mehr Text zur Inszenierung folgt.

http://www.staatsschauspiel-dresden.de