Fotos: Sebastian Hoppe/Staatsschauspiel Dresden
Reibungsvolles Doppelspiel um Geld und Liebe
Vom Spagat zwischen Gut sein zu sich selbst und anderen erzählt bilderstark, prägnant, voller traurigkomischer Momente die Inszenierung im Schauspielhaus Dresden.
„Lass es dir gut gehen! Vor allem sei gut!“ Dieser Rat der Götter erweist sich als ebenso verlockend wie tückisch für die Prostituierte Shen Te. Alle Hoffnung ruht auf ihr im Stück “Der gute Mensch von Sezuan“ von Bertolt Brecht. Die Premiere war am Sonnabend im Schauspielhaus Dresden.
Gespielt wurde die Stückfassung von 1943 mit Musik von Paul Dessau. Der Ursprung dieser Parabel liegt in Dresden. Hierhin waren Bertolt Brecht, Arnold Bronnen und Alfred Döblin 1926 zu einer Dichterlesung eingeladen, nach der Brechts Gedicht „Matinee in Dresden“ entstand. Die rüde Ablehnung von Seiten des Dresdner Publikums war Anlass für das spätere Stück, in dem witzig-sarkastisch die drei Götter auf der Suche nach dem Guten stellvertretend für die drei Dichter stehen. Vor dem schwarzen Bühnenvorhang läuft der burschikose Wasserverkäufer Wang (Anton Petzold) auf und ab und fragt die Zuschauer, woran man denn die Götter erkennt?
Wenig später prasseln Geldstücke von oben herunter auf die Bühne, doch es klingt mehr wie Kettenrasseln als ein Segen. Mittendrin steht in rotem Kleid die Prostituierte Shen Te, zart und willensstark zugleich (Betty Freudenberg), die den Göttern als Einzige Obdach gewährte und von der göttlichen Belohnung einen kleinen Tabakladen kauft. Den trägt Shen Te als helle Kiste mit sich herum, um die sich Arme und Obdachlose, Männer, Frauen und Kinder mit Wäschebündeln drängen, gierig hinein langen, um benebelt von Zigaretten und Opium einen Moment ihre Sorgen zu vergessen. Doch ihre Gastfreundschaft und Güte werden von der Kundschaft schamlos ausgenutzt und treiben sie fast in den Ruin. Um zu überleben, erfindet Shen Te den skrupellosen Vetter Shui Ta, der im übergroßen Anzug hart durchgreift und das Geschäftliche regelt. Daraus entzündet sich ein spannendes wie reibungsvolles Doppelspiel und innerer Widerstreit der Hauptheldin zwischen Gutsein und Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid anderer, zwischen Liebe und Geld, Mitgefühl und Eigennutz auf der kalt, metallenen Bühne, die immer mehr in Schräglage gerät.
Zu erleben war bilderstarkes, großartiges Schauspielertheater mit prägnanten, rauen und kantigen Figuren in Brechtscher Manier, körperintensiv, voller absurder, traurigkomischer, berührender Momente in dieser Inszenierung von Nora Schlocker. Wenn der lebensmüde Flieger Yang Sun (Matthias Reichwald) mit Seilschlinge auf dem Dach steht, Shen Te ihn rettet, eine Wasserflasche reicht. Beide auf der grauen Fläche mit ausgebreiteten Armen wie Liebende einen Augenblick zu schweben scheinen. Wie Geld verführt zeigt Yang Sun wenig später, als er die adrette Hausbesitzerin im pinkfarbenen Kleid Mi Tzü (Deleila Piasko) gierig umschlingt und kopfüber schüttelt bis alle Münzen aus ihrem Dekolletée herausgefallen sind. Oder wenn Shen Tes Vetter im glänzenden Gewand wie ein Geldheiliger auf dem Gipfel der Macht thront, bis die Bettelarmen ihn herunterstürzen. Die Götter agieren als unsichtbarer, salbungsvoll säuselnder und Durchhalteparolen rufender Chor (Kammerchor Pesterwitz). Die Frage nach einem guten Schluss aus dem Schlamassel gibt Shen Te ans Publikum weiter. Viel Beifall.
Text (lv)