Weniger bissig, als nachdenklich lässt der Kabarettist Philipp Schaller seinen Gedanken freien Lauf in einer Welt voller Fragen und Widersprüche. Foto: Herkuleskeule
Ein paradoxer Abend voller Vorbemerkungen
In seinem neuen Soloprogramm teilt Philipp Schaller nach allen Seiten aus, denkt ausführlich nach über seine Texte und Aufgabe als Kabarettist. Doch leider wird kaum deutlich, was und woran er wirklich glaubt.
Man muss mit allem rechnen bei Philipp Schaller. „Erwarten Sie keine Haltung! Meine Haltungen schwanken…“, verlangt er von seinem Publikum. So bewegt er sich hin und her laufend, wie ein Schiffsbrüchiger das rettende Ufer suchend auf der Bühne. “Sie mich auch!“, so der Titel seines ersten Best-of-Programms, hatte am Dienstagabend Premiere in der Herkuleskeule.
Er trägt weißes Hemd, schwarze Weste und eine quer umgehängte Tasche mit seinen Texten. Auf und ab gehend mit dem Mikro in der Hand beginnt Philipp Schaller mit einigen Vorbemerkungen, seine Rolle als Kabarettist betreffend und erklärt dem Kabarettpublikum, was Ironie ist: Das Gesagte sei nicht das Gemeinte. Das zieht sich eine Stunde hin und bald wird klar, dass diese Vorbemerkungen, gefolgt von Nachbemerkungen und einer Zwischenbemerkung das eigentliche Programm sind. Das wirkt, als traue der Autor und neue künstlerische Leiter der Herkuleskeule nicht mehr seinen eigenen Texten und Pointen.
Er erzählt bekannte Nummern von trivial, wie er selbst zugibt, wie atmungsaktive Socken und Hightech-Mode beim Skifahren in Ischgl, dem plötzlich menschenleeren Ort. Er jongliert witzig-absurd mit gendergerechten, geschlechtsneutralen Wortungetümen, die mehr verbergen als erhellen oder dem neuen, beliebig benutzbaren pädagogischen Wort „verhaltensoriginell“ bis hin zum makabren, noch größeren Abstandsverhalten gegenüber Flüchtlingen und fettabsaugenden Best-Agern auf Kreuzfahrtschiffen. Er weiß um billige Gags wie den mit dem geplatzten Kondom von Bernd Höckes Eltern und erntet viele Lacher für seinen Bandwurmsatz über diffizilen deutschen Humor.
Das Reizthema Corona-Politik und die Protestbewegung erwähnt Schaller nur am Rande: „Alle Probleme, die es vor Corona gab, werden jetzt erst richtig sichtbar.“ Es gäbe Probleme, die gefährden die Welt mehr, so Schaller. Und nennt die Waffengeschäfte Deutschlands in Krisengebieten, keine staatliche Hilfe mehr für Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer und Kampfdrohnen.
Das Licht bleibt an im halb vollen Saal mit vorwiegend älteren Zuschauern. Philipp Schaller will das Publikum sehen. Er agiert auffällig zurückhaltend, ohne den gewohnten Biss und Klarheit. Eine Folge des Bierglaswurfs von rechten Störern auf Mitglieder des Ensembles oder eine Sinnkrise? Einem Zuschauer, der sein Bierglas auf der Bühne abgestellt hat, sagt er mehrmals, es dort wegzunehmen, sonst trinke er es aus.
Eine Schwäche des Abends: Es wird nicht erkennbar für den Zuschauer, wer da konkret spricht und spielt. Es gibt keine Figur und keine eindeutige Haltung. Die Deutung des Gesagten bleibt jedem selbst überlassen, Missverständnisse nicht ausgeschlossen. Stattdessen steht ein Kabarettautor auf der Bühne, der sich weigert seine Texte zu lesen, sondern sie und seine Aufgabe als Kabarettist ausführlich hinterfragt. Der in alle politischen Richtungen austeilt, dabei ist seine Unsicherheit und Ambivalenz zu spüren angesichts der tiefen politischen, das Land spaltenden Gräben. Es fehlt an Zwischentönen. Philipp Schaller sagt von sich, der Platz zwischen den Stühlen sei für ihn der produktivste. Sitzt aber bequem in einem gepolsterten roten Lehnstuhl auf der Bühne beim Nachdenken.
Zum Schluss kommt er doch noch auf den Punkt, nahegehend mit einer Parabel von Gisela Oechselhäuser über einen deutschen Soldaten, der versehentlich in einen russischen Schützengraben springt, sich „verrettet“, wieder zurückkehrt und auf beiden Seiten lachen die Soldaten so darüber, dass an diesem Tag kein Schuss fällt. Mäßiger, freundlicher Beifall vom Publikum, das offensichtlich ebenso hin und hergerissen war wie der Kabarettist selbst.
Text (lv)
Nächste Termine: 11., 13. und 20. September in der Herkuleskeule im Kulturpalast.